Es dauert kaum zehn Takte, da sind bereits zwei Menschen tot. Ein Lustmord durch einen derangierten Tyrannen, der andere Mann wird kaltblütig für einen Schluck Wasser erschlagen. Das MusikTheater an der Wien macht George Friedrich Händels Oratorium Belshazzar zum Lehrstück über hydraulischen Despotismus.
Passend dazu ist die Bühne in der Halle E des Wiener Museumsquartiert eng in sandgraue Lehmziegel eingefasst, Symbol für mächtigen Mauern um Babylon, die die darbenden Massen davor verdursten lassen. Sie fungieren gleichsam auch als Videoproduktionsfläche, die, dank zweier Kameramänner auf der Bühne, das hedonistische Treiben im Inneren minutiös protokollieren.
Mit diesen Live-Bildern vom Tatort versucht Marie-Ève Signeyrole in ihrer Inszenierung den biederen biblischen Stoff von Händels Oratorium in die Gegenwart zu hieven. Kaum zehn Minuten vergehen, da wird die Nächste vergewaltigt. Und wer schon immer mal wissen wollte, was Waterboarding ist, findet wenig später zahlreiches praktisches Anschauungsmaterial, auf welche Arten man sonst noch Menschen wegen, mit und im Wasser umbringen kann.
Und trotz, oder gerade wegen, dieser Nahaufnahmen gelingt die Verbindung zum Zuschauerraum nicht. Zu viel passiert gleichzeitig auf und um die Bühne. Der Fokus verschwimmt vollkommen. Alle fünf Minuten wird die durchaus intelligente Bühne umgebaut. Worauf soll man schauen? Die Instagram Stories des Königs? Das Geschehen rund um die völlig fiktive Kings Water Company, die mit ihrem Wassermonopol die Koffer des babylonischen Herrscherhauses zu fluten scheint? Die Sänger? Oder achtet man doch lieber auf das Treiben von Statisten und Chor im Graben? Wer dann noch ab und zu auf den Untertitel schauen möchte, ist gänzlich verloren.
Gegen dieses eklektisches Bildinferno kann sich einzig Jeanine De Bique als Königin Nitocris durchsetzen. Unglaublich elegant und wohl konturiert nuanciert sie ihre Koloraturen mit der Verzweiflung einer Mutter, die den Wahnsinn ihres Sohnes nicht verstehen kann und dennoch aufhalten zu versucht. Auch der Arnold Schoenberg Chor unter der Leitung von Erwin Ortner kann für opulente Glanzpunkte sorgen.
Robert Murray als Titelfigur geht zwar sichtbar in der manisch-diabolischen Rolle des Belshazzars auf, bleibt stimmlich aber schwach. Sowohl Vivica Genaux als persischer Prinz Cyrus, als auch Michael Nagl als ihr Unterstützer Gobrias kämpfen sichtbar mit dem Libretto und können das stimmliche Potential ihrer Rollen ebenfalls nicht vollständig ausschöpfen.
Begleitet wird das digitalisierte Epos um die Wasserverknappung vom Ensemble L'Arpeggiata unter der Leitung von Christina Pluhar. Klanglich bleibt sie routiniert und überzeugt durch stimmigen und angenehm dynamischen spätbarocken Klang. Doch im Grunde ist die Musik bei dieser Inszenierung nur Nebensache.
Stattdessen will Signeyrole mit dem Wimmelbild auf der Bühne dem Zuschauer eine ideenschwangeres Konzept nach dem anderen näher bringen. Wollte Sie etwa auch den Klimaklebern zuvor kommen? Jedenfalls wird gegen Mitte des Stückes ein Transparent mit der Aufschrift „Wasser für alle“ gehisst.
Doch ist auch diese Aktion eher ein Schlag ins Wasser. Wie dieser eine Kollege, der immer diese Powerpoint-Präsentation mit der kleinsten Schriftgröße verfasst, wird wenige Takte später ein Wasser-Manifest auf die Mauern projiziert. Zehn verschwommene Stichpunkte auf English, die, wie ein Seitenhieb auf Nestel & Co, ein Subsistenzrecht verteidigen sollen. Dass Prinz Cyrus dieses omenverheißende Werk, zwei Tafeln gleich und im die Bühne teilenden Wasser stehend, hoch heben muss, versteht sich von selbst. Dazwischen wird am Quell der ewigen Jugend geforscht und ein Rockkonzert veranstaltet; am Ende werden ein paar Juden aus ihren elektronischen und rot leuchtenden Fesseln um den Hals freigelassen.
Coco Chanel soll einmal gesagt haben: Bevor du aus dem Haus gehst, schau in den Spiegel, und lass ein Ding weg. Eine stärke Konzentration auf die im einzelnen durchaus soliden Ansatzpunkte hätte dieser optisch opulenten Inszenierung wohl gut getan. So war der Abend leider im ganzen zu viel und von allem zu wenig.