Für meine Rückkehr nach Malta und dem Valletta Baroque Festival des Inselstaats standen zwei abendliche Händel-Konzerte im barockhistorisch-ehrwürdigen und schmucken Teatru Manoel an, dem Sitz der künstlerischen Direktion, die die frühen italienischen Stücke des Komponisten sowie thematisch oder aufführungshintergründlich die seit fast Menschheitsgedenken steten Anlässe von Liebesschicksal und ehefester Bindung in Form der Kantate beinhalteten. Ersteres – und damit erstmals beim Festival eine konzertante Aufführung aus dem vorgelagerten Sujet der Oper – war die Jawort-Serenata Aci, Galatea e Polifemo, die Händel anlässlich einer am 19. Juli 1708 in Neapel begangenen Feier premiert hatte. Das Orchestra of the Age of Enlightenment unter Maestro-al-Cembalo-Leitung Steven Devines brachte die ansonsten ohne den Zyklopen Polifemo bei Händel bekanntere Geschichte des Paares auf die Bühne, das hier nach Vorgabe der Sage im und bis in den Tod vereint bleibt, stürzt sich Galatea in die nach Acis Tötung durch den einäugigen Riesen vom Bach zum Fluss gewordenen Fänge des Geliebten.
In die Partitur stürzten sich dafür die Instrumentalisten mit erfreulich anlassgerechtem, sprich festlichem wie selbstbewusstem Schwung, und theatralischer, aber nicht aus schicklichem Rahmen fallender Temperatur, für die Devine mit untrüglichem Gespür für Verlauf, Inszenesetzung und Aufbereitung der affektprägenden italienischen Barockallegoriekonstanten stimmigste Ausdrücke und Tempi regelte. Besonders zu tun hatte in den Arien – wenn nicht lediglich vom Basso continuo begleitet – OAE-Oboist Leo Duarte, der ab der zweiten nach vorne schritt, um dort in exponierterer und dem Herzen zur Seite stehender Lage in warmem Ton die gefühligen Beteuerungsmonologe vor- und mitzusprechen. Tauchten darin zwar ab und zu minimale Hakler auf, verzückte am meisten der von arkadischem Baum zu Baum springende Vogel des natürlich unausweichlichen Schicksals in Acis „Qui l'augel da pianta in pianta lieto vola“, den Duarte gemeinsam mit den berührend-sauberen Arpeggien von Konzertmeister Huw Daniel federkleidbunt zeichnete.
Aus dem Inneren heraus flog er in allerschönster Schmerzlichkeit bei Julia Doyle, die ihre fabelhaft stilkontrollierte Stimme charakterlich als quellreinster Aci bestens ausspielen konnte. Dessen Aufrichtigkeit, Würde, reife Jugendlichkeit, beschlagende Demut und Dezenz trug ihr umfänglich ausgewogener und geschmeidig wie klar, schnörkellos und artikulatorisch einleuchtend ausgesprochener Sopran auch derart empfunden friedlich in sich, als er in der Sterbensarie „Verso già l'alma col sangue“ Abschied von hiesiger Gerechtigkeit nahm, um sie darauf in jenseitig verflüssigter Form durch das stärkste Band der Liebe verfestigt in tatsächlicher Ewigkeit zu erfahren. Sie hatte Galatea gelobt und gehalten, sprachen ihre Blicke und gesungenen Worte schon von erster Sekunde besagte Bände größter Zuneigung. Bethany Horak-Hallett verströmte dazu mit aufgeräumt schmückenden, eleganten, betörend dunkelfarbigen Reizen ihre Gefühlstiefen, bei denen an vereinzelten Stellen nur die Lautstärke des OAE etwas mehr balancierten Rückgang zu wünschen übrig ließ. Eben optimal zu Aci passend parierte sie in aufopferungsvoller Liebe und stilistisch reich verankerter, fast schon symbiotischer Haltung ruhender Bedingungslosigkeit jeglichen Angriff Polifemos – wunderbar standhaft in mit Rachel Becketts Altblockflöte takeliertem „S'agita in mezzo all'onde“, in Cupid'scher Continuo-Leidenshingabe „Se m'ami o caro“ oder in ihrem „Del mar fra l'onde“-Köpper.
Bevor die kräftigen Trompeten des Orchestra of the Age of Enlightenment zum Finalterzett die Hochzeitslosung der lebenslangen Treue oder Hoffnung auf solche feierten, selbst wenn sie in Polifemos Verzweiflung letztlich das trostlose oder weiter aufdringliche Bild des Badens im nunmal galateahaltigen Wasser umfasst, kündeten sie vom kontrastierten Dazwischentreten des Zyklopen. Trevor Eliot Bowes gab diesen – in gestendramatischerer Art – in verständlichen Impulsen des augenpaarlosen Paarausspannpetenten: einerseits mit eindeutig ungehobeltem Verlangen, fassungslos und anfällig zurechtbiegend, wobei die Dacapi formgebend austariertere Effekte und stilistischere Annehmlichkeiten aufwiesen; andererseits auf der Galanztabulatur spielend, um so menschliches Mitgefühl zumindest ja beim Zuhörer statt vergebens bei Galatea zu erzeugen. Beeindruckend gelang Bowes dies – vor allem immer in tiefer Lage – und absolut herausstechend mit der berüchtigten Arie „Fra l'ombre e gl'orrori“, in der er scheinbar ohne beschwerliche Anstrengung im grundigsten Bass weilte und seine Oktavwechsel vollführte, die ihn am Ende in die Kopfstimme jagten. Verrückte, einzigartige Welt, du Liebe und Barockmusik!
Die Pressereise (Reise- und Hotelkosten) von Jens Klier wurde vom Valletta Baroque Festival bezahlt.