Georg Friedrich Händel lebte und arbeitete ab 1712 in London, wo er 1723 ein neues Haus in der Brook Street im noblen Stadtteil Mayfair bezog. Im Jahr darauf komponierte er dort seine Oper Giulio Cesare, die bis heute neben Messiah eines seiner beliebtesten Stücke ist. Neben Händels Haus in der Brook Street wohnte 200 Jahre später eine Zeit lang das Gitarrenidol Jimi Hendrix. Im Mai 2023 wird das Museum Handel & Hendrix an historischer Stelle in London nach Renovierungsarbeiten wieder seine Türen öffnen.

Giulio Cesare
© Monika Rittershaus | Dutch National Opera

An der Niederländischen Nationaloper in Amsterdam haben nun Emmanuelle Haïm und Calixto Bieito mit einem hervorragenden Sängerensemble Giulio Cesare im multifunktionellen, dem saudi-arabischen Pavillon der Weltausstellung 2020 in Dubai nachempfundenen Bühnenbild von Rebecca Ringst spektakulär und ein wenig jugendlich-rabaukig auf die Bühne gebracht: mit viel Glitter und wenig Pomp, dafür aber mit durchdachten Nachdruck auf die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den superreichen römischen und ägyptischen Machthabern.

Bieito erklärt sein Regiekonzept so: „... ich kritisiere nicht. Ich fühle mehr wie Ödön von Horváth, in dem Sinne, dass ich eine Beobachtung auf die Bühne bringe ohne Kommentar. Wir zeigen eine Welt, die anders ist als unsere eigene. Eine Welt des extremen Wohlstands.”

Giulio Cesare
© Monika Rittershaus | Dutch National Opera

Die Kostüme von Ingo Krügler sind der Haute Couture nachempfunden und werden sowohl exzessiv zur Schau gestellt, als auch immerfort gewechselt und selbst wutentbrannt zerrissen. Im Mittelpunkt der Bühne steht das futuristische Bauwerk, in, vor und auf dem der schauspielerisch wie stimmlich hochpotente Cast seine Da-Capo-Arien abfeuert. Wer dabei an die landläufige Praxis einer wörtlichen Wiederholung des ersten Teils der Arien dachte, wurde von Haïm und ihren aus hervorragenden Musikern und Musikwissenschaftlern bestehenden Ensemble Le Concert d’Astrée eines Besseren belehrt. Gerade in den jeweils letzten Teilen der Arien wurde Händels Musik von allen Sängern raffiniert verziert und mit intensiven Stimmungswechseln angefüllt. So rückte Haïm die individuellen stimmlichen Qualitäten eines jeden Solisten ins beste Licht.

Teresa Iervolino (Cornelia)
© Monika Rittershaus | Dutch National Opera

Christophe Dumaux beginnt seine anspruchsvollen Titelpartie angeseilt in luftiger Höhe auf dem Pavillon im ansonsten offenen technisch-kahlen Bühnenraum. Sein Countertenor-Timbre ist filigran und braucht eine kleine Weile, um durchzukommen. In seinen vielen von Händel für einen Kastratensänger mit Superstarstatus geschriebenen Arien und Rezitativen glänzt er mit ausgefeilter Technik und überlegenem auch schauspielerischen Können. Julie Fuchs jedoch stiehlt ihm als virtuose Cleopatra mit ihrem scheinbar mühelos schwebenden Sopran in fast jeder Hinsicht die Show. Sie wickelt ihn in der Verführungsszene mühelos um ihren Finger und weiß sich auch gegen ihren Bruder Tolomeo wirkungsvoll durchzusetzen. Tolomeo ist der Bösewicht der Oper und wird durch den zweiten Countertenor Cameron Shahbazi exzellent auf die Bühne gebracht. Shahbazi wagt alles, er weiß seinen emotionalen Arien mit regelmäßigen Ausflügen in die Bruststimme eine überzeugende Portion nachfühlbaren Wut und Hass mitzugeben und singt sich so in die Herzen des Publikums. Und er weiß wovon er singt: „Die menschlichen Emotionen sind unglaublich komplex – ich selbst habe viel Geld allein für Therapien ausgegeben.“

Giulio Cesare
© Monika Rittershaus | Dutch National Opera

Den dritten Counter in der Rolle von Cleopatras Vertrauten Nireno singt Jake Ingbar, der mit viel Humor und akrobatischen Tanzeinlagen seinen jugendlichen Charme in klingende Münze umsetzt. Frederik Bergmans Achilla hat mit seinem wuchtigen Bassbariton dass größte Volumen der Männerstimmen und setzt seine ulkige unglückliche Verliebtheit in Cornelia hoffnungsfroh strahlend in begeisternde Melodielinien um. Teresa Iervolinos Cornelia singt den Schmerz um den Verlust ihres von Tolomeo ermordeten Mannes sehr berührend und wundervoll von Traurigkeit getragen, ist aber ebenso überzeugend, wenn sie ihren Sohn Sesto zur Rachetat anstachelt. Auch Cecilia Molinari als Sesto beweist sich mit makelloser Stimmpräsenz in einer ihrer Arien von hoch oben auf dem Palastdach.

Sarah Derendingers Videoclips, die wie auf dem echten Pavillon auf die Außenwände projektiert werden, sind in ihrer grellen Farbdichte konfrontierend und gewöhnungsbedürftig. Insgesamt jedoch bietet diese sehr zeitgemäße Inszenierung neben zauberhafter Musik auf höchstem Aufführungsniveau starke Bilder allzu menschlicher Emotionen und meist unterdrückter Triebe, die sich in das Gedächtnis einbrennen und sicherlich für viele noch auf längere Zeit Stoff zum Nachdenken bieten.

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