Geliebte, Spionin, Racheengel, Märtyrerin und Betrogene – Umbero Giordanos Titelfigur seiner Oper Fedora ist eine ideale Vertreterin ihres Genres, eine Verismo-Heldin par excellence die sich sich zwischen persönlichen, gesellschaftlichen und emotionalen Ausmahmesituationen bewegt. Um den Mord an ihrem Verlobten (einen Tag vor der Hochzeit) zu rächen, begibt sie sich in den Dienst der Sankt Petersburger Polizei, um schließlich in Paris den Täter zu stellen. Doch als sich herausstellt, dass dieser, Loris Ipanow, Fedoras Verlobten und Ipanows Gattin in flagranti erwischt hat, ist es bereits zu spät. Die Polizei wurde schon verständigt und zugleich wird aus den früheren Feinden ein leidenschaftliches Liebespaar.
Um der Vergangenheit zu entfliehen, ziehen sie sich in die idyllische Ruhe eines Schweizer Dorfes zurück, doch es kommt, wie es kommen muss – Fedora wird von ihrer Vergangenheit eingeholt. Noch in Paris hat sie die Behörden über Ipanows Aufenthalt benachrichtigt. Im Zuge unglücklicher Verkettungen seien darauf zuerst sein Bruder festgenommen und gestorben und über die Trauer auch seine Mutter aus dem Leben geschieden. In einem dramatischen Finale kämpft Fedora mit ihrer Schuld und bittet zunächst für die Spionin um Vergebung. Doch Loris erkennt, wer wirklich hinter der Intrige steckt. Keinen anderen Ausweg wissend vergiftet sich Fedora schließlich selbst und stirbt in den Armen ihres Geliebten, der nun noch einen weiteren Menschen verloren hat.
Giordanos Oper, basierend auf dem Drama von Victorien Sardou, ist ein echter Verismo-Thriller. Mit geradezu filmischen Tempo ist die Handlung auf circa 115 Minuten verdichtet. Diese filmische Erzählweise greift der Regisseur Christof Loy für seine Inszenierung an der Oper Frankfurt auf. In einem barock anmutenden Raum, mit Brokatwänden, goldenen Bilderrahmen und versteckten Tapetentüren lässt er die feine St. Petersburger Gesellschaft auftreten. Fedora ist der Fixpunkt der Oper und wird auf einer großen, goldgerahmten Leinwand eingeführt. Lange Kameraverfolgungen, fokussiert auf ihre eleganten Gesichtszüge, mondäne Kleidung und einem selbstbewussten einnehmenden Auftreten. Ebenso wie in einer Old Hollywood-Tragödie kommen die Videos der schwedischen Produktionsfirma Velourfilm AB auch nicht ohne die so tragenden und ausgedehnten Nahaufnahmen aus. Auch durch Backstage-Elemente, in denen man sieht wie Fedora geschminkt wird oder durch die dunklen Gänge hin zur Bühne läuft, wird dem Ganzen eine Metaebene hinzugefügt. Doch statt einer zusätzlichen Deutung geht dabei nur die Glaubwürdigkeit und Spannung des Dramas verloren.
Loys Inszenierung beweist einen steten Hang zum Kitsch und zu Klischees. Statt großer Oper wirken die eingesetzten szenischen Mittel eher banal. Da jeder Akt an einem anderen Ort spielt, porträtiert er im ersten Aufzug trinkende, sich duellierende Russen, anschließend eine exaltierte und frivole Pariser Gesellschaft und im finalen Akt eine biedere heimische Schweizer Lebenskultur. Diese Vorurteile finden sich bereits in der Partitur – so komponierte Giordano Pariser Klavier-Salonmusik für den zweiten Aufzug und lässt die Hörner in den Schweizer Bergen ertönen. Die Inszenierung will sich nicht so recht festlegen. Weder die Auswahl der Kostüme, noch die Bühne ist ästhetisch eindeutig verortet – von edlen Ballkleidern über eine Mid-century-Anbauwand, bis hin zu ein paar gestapelten Europaletten ist alles dabei.
Musikalisch bot der Abend dagegen mehr Eindeutiges. Bereits in der Ouvertüre kündigten der italienische Dirigent Lorenzo Passerini und das Frankfurter Opern- und Museumsorchester gehaltvoll an, was dieser Opernabend verheißt: Große Gefühle, Leidenschaft und ein emotionales Drama. Die lang vergessene und vernachlässigte Oper lässt Passerini in einem frischen, spritzigen und überaus elegant dramatischen Dirigat zu neuem Leben erwecken, was kein einfaches Unterfangen ist, denn die Oper kommt im Gegensatz zu Giordanos bekanntestem Werk Andrea Chénier ohne große Arien und griffige Melodien aus. Aus dem versprochenen Thriller wurde zeitweise eher ein zäher deutungsmagerer Verismo-Schinken. Lediglich die Sänger*innen, ergänzt von vielen hochkarätigen Ensemblestimmen, beschwerten der Produktion die versprochenen großen Emotionen und herzzerreißenden Gefühle.
Intendant Bernd Loebe, der gern in die Nachbar-Opernhäuser schaut, um spannende Sänger*innen für seine Frankfurter Produktionen zu engagieren, wurde diesmal im benachbarten Mainz fündig. Nadja Stefanoff, Emsemblemitglied im dortigen Staatstheater, gab ihr Hausdebüt und porträtierte Fedora als passionierte, selbstbewusste Frau, und zeigte mit müheloser, agiler Sopranstimme und feinen Spitzentönen echte Primadonna-Qualitäten. Zusammen mit dem Tenor Jonathan Tetelman als Loris Ipanow ergaben sie ein wahres Opern-Traumpaar. Tetelman setzte seine kraftvolle, feste Stimme kontrolliert ein und sang sich so mühelos ins Forte. Mit jugendlichen Übermut ging er oft in die Vollen, behielt jedoch seine Stimme im Griff und so verzieh man ihm auch seinen Hang zum Singen an der Rampe.
Diese Produktion von Giordanos Fedora war nicht nur eine weitere Rarität in der ohnehin mit einigen selten aufgeführten und ungewöhnlichen Opern gespickten Spielzeit, sondern auch wieder eine Frankfurter Erstaufführung. Bei der bevorstehenden Vorstellung der kommenden Spielzeit 2022/23 sind die Erwartungen dementsprechend hoch und werden nur von der aktuellen Debatte um die Etatkürzungen der Städtischen Bühnen überschattet.