Die evangelische Kirche in Deutschland beschreibt auf ihrer Homepage das Pfingstfest als „großen Traum vom Miteinander aller Christen“. Sir John Eliot Gardiner arrangierte mit seinem Monteverdi Choir und den English Baroque Soloists für ihr Einspringen beim Abschluss der Salzburger Pfingstfestspiele unter dem Motto „Voci celesti“ ein Programm, welches das Verbinden der Christenheit mit der ökumenischen Zusammenstellung der katholischen Komponisten de Victoria und Monteverdi, der Protestanten Schütz, Buxtehude und Bach sowie dem Anglikaner Purcell mannigfaltig präsentierte. Und zudem die Musik der Zeit – entgegen damaliger Auseinandersetzung, aber jeher als universelle Sprache über die Religionen hinaus – mit der Entstehungsgeschichte der barocken, italienisch-deutschen Architektur des österreichischen Doms passend zusammenführte. Ein wahrhaftiger Traum mit himmlischen Stimmen!

Sir John Eliot Gardiner
© Marco Borelli

Das war einmal mehr dem zu zwanzigst angereisten Monteverdi Choir zu verdanken, der mit der kurzen Pfingstmotette Dum complerentur dies Pentecostes des spanischen Renaissance-Meisters de Victoria nach Ausklang des Glockengeläuts den auch nach der Entstehungszeit der jeweiligen Komposition gestaffelten Anfang machte. Und seiner unverwechselbaren Artikulation, die das naturalistische Brausen in sakralem Gewand immer in Bewegung hielt, sodass das fünfstimmige Werk nie streng anmutete. Vielmehr vermittelte Gardiner mit seiner Chorgemeinschaft einen menschlichen, lebhaften, leichten, doch gleich typisch theatralisch angestoßenen Ansatz, der erleuchtete und vor allem die Alleluia-Fuge am Ende jeden Verses spritzig auffrischte. Unter Ausnutzung der vier vorderen Orgel-Emporen widmete sich Gardiner Schütz' speziellem italienischem Pfingstkonzert Veni, sancte Spiritus zu vier Chören, zu dem er sich ein wenig in den Mittelgang vor der Altarbühne stellte, um die Favorit-Einsätze sichtbarer zu koordinieren. Erst zwei Soprane, Dulzian (am Abend Barockfagott) und Orgel, dann Bass, zwei Zinken und Continuo, danach zwei Tenöre, drei Sackbuts und Basso und schließlich Alt/Tenor samt zwei Violinen und Generalbass riefen die ersten Strophen herab, ehe sich zur fünften das Tutti mit den restlichen Stimmen zum wiederholten, eindringlich abgesetzten „O lux beatissima“ erhob. Darin aufgefächert bis zur neunten Anrufung „Heiliger Geist, wir bitten Dich“, deren Entfaltung sowohl vom virtuosen Diskant (Cornetto – mit leicht immanenten Timingschwierigkeiten) als auch von den Posaunen stark unterstützt wurde, steigerte sich der Hymnus bis zum befreiten, singhaft-versöhnten Finale.

Sir John Eliot Gardiner
© Marco Borelli

Allein von Kinga Gaborjanis Bassgambe begleitet, bereitete der Chor seinem Namen alle Ehre in Monteverdis Messa a quattro voci da Cappella. Den zärtlichen Kyrie-Beginn ließ Gardiner sukzessive dynamisch ausformen und aufgehen, um fortan jeden wechselvollen Kontrast innerhalb der Sequenzen wie die besonders herausgestellten Einsätze der Bassgruppe und traditionell jedes Wort des Textes unterschiedlich geistreich zu betonen. Beispielhaft das sprudelnd verzierte „Laudamus te“, dem ein stimmungsvolles „Qui tollis“ folgte, das Zeitgefühl und Drama des (Früh-)Barocks lebendig vor- und so alle näher zusammenführte. Noch intensiver übertrug der Monteverdi Choir das mitleidend-schöne, weich-erschütternde „Et incarnatus est“ und „Crucifixus“ des Credos, bei dem das Auditorium schon von der vorherigen Auffahrt beseelt gewesen schien, so leichtgängig war das Ensemble in seinem Element, die Erlösung „Et resurrexit“ gen Himmel und in die Köpfe zu senden. Gar in die Herzen bahnte sich das schlichte und doch derart bewegte, innige, luftige „Agnus Dei“, dem „Hosanna“-Einschübe von tippelnder, tänzelnder, fliegender Freude vorausgingen. Bei Buxtehudes rein instrumentaler Triosonate Nr. 14 konnten die Sängerinnen und Sänger im pausenlosen Konzert etwas verschnaufen. Dem Zuhörer bot es ebenfalls andere Reize, nämlich den fantastischen Stil italienischer Prägung mit englischem Gamben-Ursprung zu vernehmen, den Gaborjani an ihrem sonst als näselnd-matt tituliertem Spielgerät zum Vorschein brachte. Dabei griff sie die Figuren auf, die die Barockvioline Kati Debretzenis leichtfüßig, lustig und erquickend vorgab. Ergebnis des Vivace war unter dem Continuo des Organisten James Johnstone ein farbreiches, rhythmisch-fröhliches Duett, welches sich nach besinnlich-tiefgängigem Arien-Lento zum melodisch-harmonischen Spaß des Allegros vergrößerte, bei dem die Geige versiert herausstand, die Viola da Gamba zärtlich, aber genauso passioniert nachahmte.

Dom zu Salzburg
© Marco Borelli

Zum Höhepunkt geriet Purcells Music for the funeral of Queen Mary, für deren Trauermarsch Blech und Pauken von der Westempore durch das Kirchenschiff wuchteten. Sie erzeugten wirkungsvollen Affekt und Effekt, den der Monteverdi Choir aufgriff, um mit dynamischem, artikulatorischem Nachdruck in Staunen zu versetzen ob der fulminanten Ausdeutung der textlichen wie sentimentalen Erfassung seiner nahbaren Empfindungen. Berührte das süßlich-entrückte „he fleeth“ aus „Man that is born of a woman“, zog das Flehen von „In the midst of life“, hier das besetzte „Yet, O Lord“ in den himmlischen Bann. Nicht nur im gesanglichen Ausdruck voller Theatralik, sondern auch in der Gestik der schmerzlichen Erstarrung während der hinreißend strömenden Canzonae sogen die Ensembles alles auf und alle mit. Verhallte nach der anrührenden Bitte „Thou knowest, Lord“ und betörend-gütigem Amen der Fortissimo-Paukenwirbel des ausziehenden Marschs im Pianissimo des irdischen Verlusts, konnte nur Bach davon trösten. Mit seiner einzigartigen Trauerkomposition O Jesu Christ, mein's Lebens Licht, für die die Cornetti und Posaunen zwischen den jeweiligen Chorgruppen postiert wurden, während die Trompeten vorne diese manchmal überlagerten, sodass es nicht immer die erhoffte Organik hatte, verband Gardiner das zuversichtliche Musik-Geflecht Bachs Genies zum anfänglichen und durchgehenden menschlichen Himmelreich. In Salzburg dem Hort der „Voci celesti“.

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