Bei der Neuauflage der Eugen Onegin-Inszenierung des polnischen Theaterregisseurs Krzysztof Warlikowski an der Bayerischen Staatsoper wurde leider wie auch 2007 viel Potential verschenkt. Potential, das in der Musik steckt, aber auch in der Qualität der durchwegs hervorragenden Sängerinnen und Sänger. Warlikowski verlegt die Handlung ins Texas der 60er Jahre, Cowboyhüte und nackte Oberkörper der Balletttänzer inklusive. Doch besser muskulöse Körper als Kostüme, die fast gänzlich fad und einfallslos sind; mehr noch: vielfach hemmen sie die Sänger sichtlich im souveränen Spiel.
Dabei gibt es doch so viele Möglichkeiten, die stets bewegte, ja streckenweise fast wabernde Partitur Tschaikowskys in spannende Bühnendynamik zu übersetzen. Da wäre zum Beispiel die große Ballszene im vierten Bild. Wenn schon professionelle Tänzer des Opernballetts der Bayerischen Staatsoper Teil der Produktion sind, warum müssen dann Mitglieder des Chors ungenügend geprobt über die Bühne walzern? Aber auch die Tanzchoreographien mit den Profitänzern kamen oft ungelenk und teilweise grotesk burlesk daher. Man muss am rauschenden Ballabend keine anbiedernde Sisi-Seligkeit heraufbeschwören, aber die artgerechte Verwendung des musikalischen Materials darf man bei jeder Inszenierung und Choreographie erwarten.
Auf der Bühne ist zwar grundsätzlich alles erlaubt, und freilich kann man Balletttänzer in Frauenkleidern über die Bühne staksen lassen, aber einmal hätte auch gereicht – und selbst beim ersten Mal entlockte dieser Gag den Zuschauern allenfalls ein angestrengtes Schmunzeln. Vielleicht wirkt die Inszenierung gerade deshalb so abgenutzt, weil man mit derartigen Ideen heutzutage keine starken Irritationen mehr hervorruft. Dazu hat das Publikum schon zu viel gesehen. Wenn man also irritieren oder aufrütteln will, dann doch bitte raffinierter. Die Deutung des Puschkin’schen Sujets als Erzählung der unterdrückten Homosexualität Eugen Onegins ist zwar interessant, aber reicht als solches noch nicht für große Inszenierungskunst. Auch hier wurde Potential verschenkt beim Entwickeln dieser spannenden und gesellschaftlich relevanten Idee.
Das Orchester fügte sich ins unbefriedigende Bild und erlaubte sich in den ersten Minuten gar grobe Patzer. Das Niveau wurde besser, aber insgesamt vermisste man bis auf wenige Passagen die Leidenschaft und Stringenz, die das Bayerische Staatsorchester mit seiner 500-jährigen Geschichte durchaus zu liefern imstande ist. Dies lag nicht so sehr am 28-jährigen russischen Dirigier-Jungstar Timur Zangiev, der Orchester und Ensemble gut zusammenhielt und große Bögen spannte, sondern vielmehr schien einfach die Konzentration nicht besonders hoch zu sein an diesem Abend; der zweiten Aufführung nach der gelobten Premiere vor einigen Tagen. Es bestätigte sich insofern die alte Theaterweisheit, dass die zweite Aufführung qualitativ oft deutlich abfällt.
Roman Burdenko als Eugen Onegin reichte nicht an die Leistung der formidablen Elena Guseva heran was Klarheit und sängerische Brillanz anbelangt, die ihre stimmliche Ausdruckskraft von der lahmen Inszenierung und den Kostümen lösen konnte. Sein Onegin war dennoch klangschön und schauspielerisch konsistent. Ein wenig mehr Körperspannung und Präsenz vermisste man jedoch besonders am Ende, als der Kontrast zum stählernen Bass Günther Groissböcks deutlicher nicht hätte sein können. Dieser mimte den Fürsten Gremin überzeugend viril und mit rundem kraftvollem Tiefgang, stimmlich wie darstellerisch.
Victoria Karkacheva gab eine souveräne Olga und Lindsay Ammann überzeugte als Larina. Bogdan Volkov war besonders in der zweiten Hälfte ein dem Onegin mehr als ebenbürtiger Lenski, der seinen strahlenden und doch weichen Tenor prächtig in Szene setzte. Trotz dieser teils exzellenten Leistungen war es jedoch ein insgesamt durchwachsener Opernabend, der deutlich hinter seinen Möglichkeiten zurückblieb.