Verschwörungstheorien haben spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie Hochkonjunktur, und Lotte de Beer, neue Direktorin der Volksoper Wien, wünschte sich eine Operettenuraufführung an ihrem Haus – warum also nicht beides verbinden? Es folgte ein Kompositionsauftrag an Moritz Eggert, der sich laut Programmheft mit Die letzte Verschwörung*seine Verzweiflung über die immer irrer werdende Welt als Komponist und Librettist von der Seele geschrieben hat. Herausgekommen ist eine surreal-absurde Handlung, die mit Eggerts gefälliger und tonaler Musik kontrastiert.
Es beginnt damit, dass ein TV-Moderator namens Friedrich Quant einen prominenten „Flat-Earther“ in seiner Show zu Gast hat, weil sich Idioten auf Quoten reimen. Doch allmählich stolpert Quant in einen Strudel aus Verschwörungstheorien, die sich allesamt als wahr herausstellen, oder zumindest als das, was er für wahr hält.
„Weißt du, was du sahst?“ Für diese Frage von Gurnemanz an Parsifal hätte Quant einen ganzen Antwortkatalog parat: Frau und Kinder, die nicht mehr wissen, wer er ist und mit seinem Freund zusammenleben, und eine Geliebte, die, bevor sie sich als Android entpuppt, von einem außerirdischen Wesen geschwängert werden soll... Diese Geliebte hat für Quant den Flat-Earther verlassen (welcher nebenbei FBI-Agent ist, oder ist das doch jemand anderer?), und der Bundeskanzler und die russische Oligarchin, die mit 6H-Mobilfunk die Menschheit kontrollieren wollen, verwandeln sich beim Sex in Reptilien (weshalb sie von Quant erschossen werden). Das Restaurant-Hinterzimmer voller Kinderleichen für den Pizza-Belag ist ein weiterer grotesker Schauplatz.
Das klingt wie der Plot eines trashigen Hollywood-Film mit Ambition auf die Goldene Himbeere, und wer diese Art von Genre mag oder einmal „etwas Anderes” auf einer Operettenbühne sehen will, wird dem Abend etwas abgewinnen können, zumal für die Umsetzung keine Kosten und Mühen gescheut wurden. Die Perfektion, mit der Roman Hansis Videodesign mit den Bühnenbildern von Christof Hetzer auf der Drehbühne interagiert, ist so beeindruckend wie unheimlich und vermittelt die Schwurbler-Stimmung perfekt. Jorine van Beek darf sich kostümbildnerisch insbesondere im Hinblick auf die Aliens austoben (der übergriffige Alien hat einen Knoten seiner Version von Geschlechtsorgan), führt dabei aber eine ästhetisch feine Klinge – da passt sogar Quants Hemd zum orangefarbenen Mistkübel.
Trotzdem bleibt ein schales Gefühl, denn auch der spektakulärste Trash ist letztendlich nur Humbug, egal, ob man im Kino oder im Theater sitzt; da mag die Idee dahinter – also die Bloßstellung von Verschwörungstheorien – noch so gut sein. Der erste Akt, in dem der Protagonist noch überwiegend Kontakt zur Konsensrealität hält, ist spannend, aber mit dem Abdriften ins Nur-Absurde wird der zweite Akt für einige zur Geduldsprobe. Da ist man geradezu froh, wenn am Schluss die Hausherrin, die bei dieser Produktion Regie führt, auf der Bühne erscheint und das Ganze als Theaterprobe enttarnt, und von ihren Darstellern mehr Gefühl verlangt. Ironischerweise sind es aber gerade die zwischenmenschlichen Emotionen, die dieser Operette fehlen. Quants Ehefrau (als diese wie als Oligarchin tadellos: Wallis Giunta) besingt zwar ihr häusliches Glück, doch ist in dieser Ehe der erotische Ofen aus, und auch die Romanze zwischen Lara Lechner (mit Pop-Anklängen: Rebecca Nelsen) und Quant kann man schwer nachvollziehen.
Neben mehr Gefühl hätte das Werk auch mehr Tiefgang und Mut vertragen. Nachdem sich Eggert für ein Best-of der skurrilsten, nicht aber der gefährlichsten Verschwörungstheorien entschieden hat, bleibt die Sache harmlos und – anders als die klassische Operette – gesellschaftsunkritisch. Natürlich will man nicht belehrt werden, doch zum Nachdenken wird man auch nicht angeregt. Von Auswegen aus dem Verschwörungsdschungel ist ebenso keine Rede wie von Corona-Mythen – das Risiko, mit einer klaren Positionierung Publikum zu vergrämen, wollte man wohl nicht eingehen.
Geglückt ist immerhin die Zeichnung von Quants innerer Zerrissenheit, die Timothy Fallon mit voluminösem Tenor glaubwürdig darstellt, und die vor allem von den Begegnungen mit Orhan Yildiz als Schwurbler/FBI-Agent getrieben wird. Aaron Pendleton mischt als Freund und Alien Quants Welt weiter auf. Gesanglich gibt es bei keinem der Genannten etwas auszusetzen, die Sprechstellen wirken aber hörbar herausfordernd. Die Deutsch-Muttersprachler (Jakob Semotan als Quants Manager, Annelie Sophie Müller als TV-Chefin und nicht zuletzt Daniel Schmutzhard als Kanzler-Reptil) sind hier im Vorteil. Spaß an der Sache haben sie aber offenkundig alle.
Das Ballett tanzt nicht mit Aluhüten, sondern in hautengen, silberglänzenden Kostümen und in Formation an. Als sich wiederholendes Element bringt es ebenso wie die kirchenmusikartigen Chöre aus dem Off, die die Pseudo-Religiosität der Verschwörungsgläubigen kommentieren, etwas Kontinuität ins Chaos, das musikalisch abwechslungsreich und unter mit klugem Einsatz von Schlagzeug und Xylophon gestaltet ist. Auf eine Hitmelodie wurde wegen des wenig greifbaren Themas offenbar bewusst verzichtet.
Zutrauen würde man sie diesem Komponisten, der als Stimme aus dem Off ebenso den richtigen Ton trifft, wie ihn Steven Sloane am Pult dem Orchester entlockt, durchaus. Bei Lotte de Beers Vergleich mit Puccini werden aber einige so dreinschauen wie die Stummfilm-Dame, mit der das Werk beworben wird – auf Österreichisch: „Wie der Uhu, wenn’s blitzt“. Zum Augenaufreißen und -reiben gab es an diesem Abend auch sonst reichlich.