Der Karfreitag ist zwar in Österreich nach einigen politischen Mätzchen nun ganz offiziell kein Feiertag (weder halb noch ganz), in einen von der Regierung sogenannten persönlichen Feiertag investieren aber wohl ohnehin viele der Besucher regelmäßig, da sie Jahr für Jahr zu den Osterfestspielen nach Salzburg pilgern. Dort steht traditionell am Karfreitag das Chorkonzert auf dem Programm, in diesem Jahr Antonín Dvořáks Stabat Mater.
Das Werk, das 1880 seine Uraufführung erlebte und dem Komponisten zu internationalem Ruhm verhalf, ist eine seiner wenigen geistlichen Kompositionen und basiert auf der gleichnamigen lateinischen Dichtung aus dem Mittelalter. Entstanden ist das Stabat Mater in einer Zeit der persönlichen Schicksalsschläge – innerhalb weniger Jahre waren alle seine Kinder verstorben, was ihn dazu brachte, die Arbeit an der Vertonung des Gedichts, das die Gottesmutter Maria und ihren Schmerz um den gekreuzigten Sohn besingt, wieder aufzunehmen. Für Orchester, Chor und vier Solisten komponierte Dvořák sein knapp neunzigminütiges Werk, das den Bogen von Leid und Verzweiflung zu Freude und Hoffnung spannt und somit nicht nur inhaltlich, sondern auch symbolisch perfekt für eine Aufführung am Osterwochenende geeignet ist. Beherrschen in den Sätzen der ersten Hälfte noch Molltonarten und düstere Stimmungen die Musik, setzen sich mehr und mehr Durtonarten und hoffnungsvolles Strahlen durch, bevor das Stabat Mater feierlich mit einer Amen-Fuge schließt.
Die zentrale Rolle fällt in einem Chorkonzert naturgemäß dem Chor zu, in diesem Fall den Damen und Herren des Chors des Bayerischen Rundfunks. Auch wenn die Aufführung nicht in einem Kirchenraum, sondern dem großen Festspielhaus stattfand, schuf der Chor einen überirdisch entrückten Klang, der einerseits durch die pure Schönheit der Stimmen und andererseits durch meisterhafte dynamische Schattierungen und Farbspektren begeisterte. Wie sie sich beispielsweise im Zwiegespräch mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden dem schmerzerfülltem Aufbrausen hingaben oder sich als himmlische Schar in lichte Höhen schraubten, musste wohl auch Atheisten zum Nachdenken über etwas Göttliches bringen.
Ganz ohne Umbesetzung gingen allerdings auch die diesjährigen Osterfestspiele leider nicht vonstatten, Pavol Breslik musste krankheitsbedingt absagen, weswegen Tomislav Mužek den Tenorpart übernahm. Er erledigte seine Aufgabe solide, die Stimme ist hell timbriert, wird aber in der Höhe etwas eng und blieb im Gesamteindruck blass; ebenso erging es Venera Gimadieva, deren Sopran zu herrlich lang gesponnenen Phrasen, die über dem Orchester schwebten, fähig ist, aber leider über ein Timbre ohne allzu großen Wiedererkennungswert verfügt. Gut möglich, dass Sopran und Tenor auch nur deswegen etwas untergingen, weil die tiefen Stimmen so exzellent waren: Elisabeth Kulman und René Pape waren nämlich eine Klasse für sich. So führte Pape im Basssolo „Fac, ut ardeat cor meum“ in schwarz schimmernde Tiefen, die im herrlichen Kontrast zu den entrückten Chorklängen standen und so zwangsläufig an Mephisto und die himmlischen Engelschöre denken ließen. Wie er seine Stimme immer wieder aufwallen ließ, um sie dann bis ins leiseste Piano zurückzunehmen, das war nicht weniger als faszinierend. Und auch Kulman demonstrierte im Altsolo „Inflammatus et accensus“ ihre Decrescendo-Künste sowie auch die Agilität ihrer Stimme; dabei erweckte sie auch stets den Eindruck, dass ihr Mezzo mit einer Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit aus der Kehle strömt, als wäre das Singen das natürlichste Mittel der menschlichen Kommunikation. Alle vier Solostimmen verbanden sich überdies in den Quartetten zu einem homogenen Klangbild und harmonierten nicht nur miteinander, sondern auch in Verbindung mit Chor und Orchester ganz ausgezeichnet.
Unter der Leitung von Dirigent Christoph Eschenbach interpretierte die Sächsische Staatskapelle Dresden Dvořáks Stabat Mater zwar einwandfrei, aber zu kalkuliert und technisch-kühl, um wirklich ins Herz zu treffen. Die beinahe apokalyptischen Passagen – etwa die himmlischen Donnerschläge, die das Schlagwerk beisteuerte – lagen dem Orchester dabei deutlich mehr, als jene, in denen sich die Musik lustvoll am Leiden weiden sollte. Zwar lieferte das Orchester feine Schattierungen der Dynamik, agierte ideal im Zwiegespräch mit den Stimmen von Chor und Solisten, aber der letzte Funke, nennen wir ihn die slawische Seele, fehlte. Schön war es schon, keine Frage; dafür sorgte alleine schon Dvořáks Komposition. Aber um einen wirklich erhebenden Effekt zu entfalten, fehlte der Interpretation einiges an Pathos und Melancholie, was weder der großartige Chor noch die vier Solisten wettmachen konnten. Der vielleicht berührendste Moment des Abends war schließlich die kollektive Stille nach dem letzten Ton, die das Publikum, das sich zuvor durch lautstarke Hustenäußerungen zwischen den Sätzen penetrant Gehör verschafft hatte, zunächst auffallend lange mittrug, bevor ein paar Eilige dann doch meinten, schon applaudieren zu müssen, noch bevor der Dirigent seine Hände gesenkt hatte.