Die Opern aus der Feder von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal sind aus den Spielplänen der Opernhäuser weltweit nicht wegzudenken. Während Elektra, Salome und Der Rosenkavalier mit einer selbstverständlichen Regelmäßigkeit aufgeführt werden, setzte sich Die Frau ohne Schatten nur bedingt durch. Die symbolüberfrachtete, märchenhafte Geschichte, die sich mit diffizilen Themen wie Ehe, Elternschaft, aber auch Prüfungen und Gewissensfragen auseinandersetzt, ist nur schwer zu inszenieren. Und auch musikalisch verlangt sie mit einem riesigen Orchesterapparat, zahlreichen Spezialinstrumenten und gleich fünf anspruchsvollen Hauptpartien einiges ab.
In den letzten Jahren wurde die von Strauss liebevoll als FroSch bezeichnete Oper hier und da aufgeführt, jedoch meist von männlichen Regisseuren. Nun eröffnet die amerikanische Regisseurin Lydia Steier einen überaus weiblichen Blick auf das so phantastisch rätselhafte Werk, das von seinen Schöpfern als die letzte romantische Oper bezeichnet wurde.
Steier lässt die Oper in einem Mädchenkloster beginnen, in dem junge, fast selbst noch kindliche Mütter gesteckt werden, damit sie ihre Kinder fernab der Öffentlichkeit austragen können. Als zusätzlichen, stummen Charakter führt sie ein Mädchen ein, das eines dieser werdenden Mütter war, jedoch eine Fehlgeburt erlitt. Geplagt von Trauer, Verlust und Schmerzen beginnt sich die Oper als zunächst eindrucksvoller Traum zu entwickeln, ein Traum wie ihn auch die Kaiserin noch erleben wird. Doch die nächtlichen Fantastereien des Mädchens werden schnell zum Albtraum, lassen die Grenze zur Realität immer mehr verschwimmen – ein Aufwachen scheint unmöglich.
Vivien Hartert stellt dieses Mädchen einnehmend und packend dar und wird so zum verbindenden und dem Werk zusätzlich Tiefe verleihenden Element. Sie wandelt durch die Traumwelten; versucht Halt zu finden in der einfachen Häuslichkeit der Färberin und Baraks, aber klammert sich ebenso an die Kaiserin als potenzielle Mutterfigur. Verstoßen von ihren eigenen Eltern ringt sie um ihren Platz in einer intakten Familie.
Steier spielt visuell immer wieder mit den Kontrasten zwischen Farben, Emotionen und Stimmungen. Wie sich die Wände stets drehen und ihre Schattenseiten preisgeben, so haben ihre Bilder auch immer wieder eine Kehrseite. Auf den dämmrigen Schlafsaal folgen Hollywood und Broadway Glamour. Steier weiß um die Kunst des Entertainments und möchte das Publikum verführen. Ihre bunten, verzaubernden Bilder sind jedoch stets auch mit Bedeutung gefüllt. Sie bezaubern ebenso wie sie schockieren. Paul Zollers Bühnenbild, die Kostüme von Katharina Schlipf und das Lichtdesign von Elana Siberski bilden hier ein magisches, Strauss’sches Gesamtkunstwerk.
Aus der einfachen Hütte des Färbers wird Barak's Babies – eine Art Convenience Store, ein pinkfarbener Albtraum der Traumfabrik für werdende Eltern in der Kinderwunschträume wahr werden und man sich den Nachwuchs vorbestellen kann. Während die Einzelteile im Hintergrund noch montiert werden, verkauft die Färberin die fertige Ware luftdicht verpackt an (zahlungs)willige Konsument*innen.
Dies ist nur eines der bitterbösen Bilder, mit der Lydia Steier überfällige Fragen aufwirft, die ihre männlichen Kollegen meist verweigern: Sie wirft Themen über unerfüllte Mutterschaft, unerwünschte Schwangerschaft auf, spricht aber ebenso auch ausbeuterische Mechanismen der Leihmutterschaft, forcierter Adoptionen und letztlich Menschenhandel an – Schattenseite und bittere Realität des Mutterseins, die immer noch tabuisiert werden. Letztlich ist ihre Herangehensweise jedoch eine zutiefst menschliche und gefühlvolle, deren Durchschlagskraft man sich nicht entziehen kann. Die Frauen befinden sich alle in einem Kampf zwischen Selbstbestimmung und Ohnmacht, unerfüllten Sehnsüchten und unausgesprochenen Wünschen.
Elza van den Heever gilt seit ein paar Jahren als absolute Strauss-Königin, und man konnte hören und sehen warum: Zart und kraftvoll, feingliedrig und stark zugleich erklang ihre einzigartige Sopranstimme und tanzte schwerelos über dem enormen Orchesterapparat in die Weiten des Festspielhauses. Ebenso beeindruckte auch Michaela Schuster, deren Amme als Paraderolle gilt und die sie mit unnachahmlichem Charisma und Bedrohlichkeit darbot. Dank ihres facettenreichen Mezzos und ihrer einnehmenden Darstellung ließ sie das Publikum von Beginn an ihr „Übermächte sind im Spiel“ antizipieren. Dem Heldentenor Clay Hilley, vormals Siegfried des Deutsche Oper-Rings in Berlin, gelangen dank seiner hellen Stimmen zwar die Spitzentöne, dennoch vermisst man das frei fließende seiner Stimme. Wolfgang Kochs Stimme findet in Barak eine ideale Stimmlage. Er füllte die Rolle stimmlich und szenisch mit Wärme und Mitgefühl. Miina-Liisa Värelä rundete das Ensemble trotz minimaler Indisponiertheit gebührend ab, so kraftvoll und präsent war ihre Darstellung.
Auch im Graben des Festspielhauses wurde gezaubert: Kirill Petrenko und die Berliner Philharmoniker schöpfen aus allem, was diese Oper zu bieten hat. Und das ist eine ganze Menge. Bereits die ersten Akkorde, wie ein dreifaches Anklopfen des Schicksals, erklingt so markerschütternd, dass man auch die kommenden vier Stunden wie gebannt von der Musik ist. Petrenko weiß um die verführerische Wirkung der großen, sich aufbäumenden Tutti, beherrscht aber auch das Filigrane, wie beispielsweise Ludwig Quandt am Cello in der Solopartie im zweiten Akt rührend demonstriert.
Nachdem sich der Vorhang schließt bleiben in Steiers Inszenierung einige Fragen offen. Unmöglich ist es, bei dieser reichhaltigen Bildsprache und Symbolik alles sofort zu begreifen. Doch es ist gerade diese geheimnisvolle, rätselhafte Visualisierung und nicht zuletzt ein neuer, weiblicher Blick, der den Reiz dieser Produktion ausmacht und noch lang nachhallt…