Gefangen zwischen dauerhafter Selbstoptimierung, traditionellen Rollenbildern, vorgehaltenem Feminismus, ewiger Treue und eigenen Erwartungen. Kirill Serebrennikov inszeniert an der Komischen Oper in Berlin Così fan tutte als eine Idee infantiler Jungs in einer oberflächlich-voyeuristischen Gesellschaft. Dabei bemüht sich der Regisseur gar nicht erst um Plausibilität im Verwechselspiel: Als Sempronio und Tizio lässt er zwei muskelbepackte Schauspieler die Frauen verführen. Das sorgt zwar immer wieder für komische Momente, kann aber einen fehlenden Tiefgang nicht verdecken.

Nadja Mchantaf (Fiordiligi) und Susan Zarrabi (Dorabella)
© Monika Rittershaus

Und warum gehen Sie ins Fitnessstudio? Fiordiligi und Dorabella, Guglielmo und Ferrando tun es vor allem des Sehens und Gesehenwerdens wegen, Dauerselfiemodus inklusive. Während die Männer dauerpumpen, üben sich die Frauen in allerlei Yogapositionen. Eines Tages platzt in diese Welt der Selbstdarstellung und Daueroptimierung ein Fremdkörper, der vor allem durch seinen Alkohol- und Nikotinkonsum auffällt. Es kommt wie es kommen muss: Im Umkleideraumgespräch mit Don Alfonso entsteht das Treueexperiment als Wette unter infantilen Jungs. Hätte nur noch gefehlt, dass es um einen Kasten Bier geht. Es entspinnt sich die (fast) bekannte Geschichte: Hier sterben Guglielmo und Ferrando vermeintlich im Krieg, kehren als kommentierende Geister heim, um am Ende doch wahrhaftig zu werden.

Hubert Zapiór (Guglielmo), Susan Zarrabi (Dorabella) und Goran Jurenec (Tizio)
© Monika Rittershaus

Dabei versucht Serebrennikov die Absurdität der Handlung herauszukehren, rutscht aber allzu häufig in die Klischeeschublade ab ohne diese ausreichend zu kommentieren. Da müssen die adonisgestählten Sempronio und Tizio auch gleichzeitig als immerhungrige arabische Scheichs verkleidet werden, Fiordiligi und Dorabella werden zu dauerfrustshoppenden Designerkleiderträgerinnen, die auch gerne mal ein Selfie mit der Urne ihrer Verflossenen machen. Nichtsdestotrotz schafft Serebrennikov auch starke Bilder gerade was die widersprüchliche gesellschaftliche Erwartung an die Rolle der Frauen angeht: Fiordiligi mit Kreuz als Jungfrau Maria zwischen eigenem Verlangen und vorgezeichneter Erwartung ebenso wie beide Schwestern in traditionell-folkloristisch anmutenden albanischen Hochzeitskleidern ihre vermeintliche Unbeflecktheit zelebrierend Momente nach der Verführung. Dabei beweist der Regisseur durchweg komödiantisches Timing, auch wenn mancher Witz etwas flach ausfällt.

Das alles geschieht in einem sich über zwei Stockwerke erstreckenden, sich mehrmals verändernden Bühnenbild (ebenfalls von Serebrennikov), das gesangs- und musiktechnisch ebenso wie für die Zusehenden manchmal zur Herausforderung wird. Kombiniert mit verschiedenen Videoinstallationen, die mal Krieg, mal Kriegsspiele, mal feministische Dokumentationen, mal den voyeuristischen Blick der Gesellschaft in Big-Brother-Optik zeigen, ist das streckenweise fast überbordend.

Così fan tutte
© Monika Rittershaus

Am Pult muss dieses herausfordernde Bühnenbild in dieser Premierenserie Katharina Müllner, die das Dirigat von Kapellmeisterin Erina Yashima übernommen hat, meistern. Müllners Mozart ist frisch und leicht, im Gegensatz zu vielen ihrer Dirigentenkolleg*innen in der Komischen Oper verdeckt sie niemals die Sänger*innen. Die Dirigentin weiß, viele Feinheiten herauszuarbeiten, sorgt immer wieder für interessante Klangakzente. Liebhaber*innen eines ausladend-warmen Mozartklangs kommen hier zwar nicht auf ihre Kosten, dennoch bietet Müllner mit ihrem Ansatz neue und spannende Einblicke in die Partitur. Das kleine Manko dabei, manchmal geht die Leichtigkeit, die sich über den gesamten Abend zieht, auf Kosten der Konturen. Phasenweise plätschert die Musik eher dahin, als dass dramatische Akzente gesetzt werden. Die entstehen eher durch Anleihen aus Mozarts Don Giovanni kurz vor Ende.

Goran Jurenec (Tizio), Susan Zarrabi, Nadja Mchantaf und Amer El-Erwadi (Sempronio)
© Monika Rittershaus

In weiten Teilen lebt die Inszenierung von den überzeugenden darstellerischen Fähigkeiten und der Risikobereitschaft der Sänger*innen, fast alle Ensemblemitglieder der Komischen Oper. Besonders beeindruckt dabei Alma Sadé als gestalterisch-abwechslungsreiche und feministisch-selbstbestimmte Despina. Nadja Mchantaf ist eine berührend-kämpferische Fiordiligi, Susan Zarrabi eine spielfreudig-ausdrucksstarke Dorabella. Ihnen gegenüber stehen Hubert Zapiór als Guglielmo und der stimmlich geschmeidig-schlanke Caspar Singh als Ferrando. Günter Papendell gibt einen herben Don Alfonso als einen von der Liebe enttäuschten Einzelgänger, der am Ende die Erkenntnis des Abends liefert: Nicht nur die Frauen machen es so – sondern alle.

Susan Zarrabi, Caspar Singh (Ferrando), Hubert Zapiór (Guglielmo) und Nadja Mchantaf
© Monika Rittershaus

Groß geschrieben steht das auf der Rückwand des Bühnenbildes. Am Ende von dreieinhalb Stunden Oper (vor allem in den Rezitativen sind zahlreiche Kürzungen vorgenommen), ist diese Aussage ohne wesentliche Untermauerung, abgesehen von querverweisenden Don Giovanni-Ouvertürenklängen, dann aber doch zu einfach. Così fan tutte ist Serebrennikovs erste Mozart-Inszenierung – eine vorherige Version wurde in Zürich gezeigt, als der russische Regisseur noch im Hausarrest in seiner Heimat saß – und der Auftakt zu einem Da Ponte-Zyklus an der Komischen Oper. Bleibt zu hoffen, dass der Regisseur seine zweifellos interessanten Ideen in den künftigen Inszenierungen mit mehr Tiefgang unterfüttert.

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