Caravaggio, Gesualdo und Monteverdi. Gleich drei überragende Argumente allein namentlich programmatischer Art brachte Klangvokal Dortmund vor, endlich die Cappella Mariana zu erleben. Das tschechische Ensemble begab sich nämlich mit genanntem Maler und beiden Musikern samt am Abend enthüllter zahlreicher Zeitgenossen in die stets reizauslösende Umwälzungsepoche von Spätrenaissance und Frühbarock, der zumindest ich mich aufgrund ihrer Stilistik und Neuerung, ihrer wahnsinnig spannenden Künstler und natürlich deren wunderbarer Meisterwerke kaum entziehen kann. Die bekannten italienischen Größen bilden dabei quasi ein Triumvirat eines ganz nach der Maltechnik kommenden hellen und dunklen Lebens, das im Falle des skrupellos-schillernden Malteserritters h.c. Caravaggio sowie des fürstlichen Depris und Straftäterkollegen Carlo Gesualdo die voyeurristisch-literarische Faszination von Totschlag, Flucht, Ehrung und schmerzlich-schönsten Darstellungen hervorruft; beim gesitteten, im illustren Umkreis verkehrenden, weniger mit Geld als mit Plagen gebeutelten Kämpfer, (priesterlichen) Alchemist und Witwer Claudio Monteverdi wiederum die neuen Ausdrucksweisen zur geplanten Vermittlung des Affekts in unübertrefflicher Stärke und nicht wegzudenkender, ruhmreicher Bedeutung.

Cappella Mariana
© Bülent Kirschbaum

Und was soll ich sagen!? Vor der im Konzertsaal des Reinoldihauses aufgebauten Leinwand mit zwölf Chiaroscuro-Stücken Caravaggios sowie dem Porträt Ottavio Lenzis zur mit vierzehn Etappenstücken festgehaltenen geografischen, kunstübergreifenden Zeitreise zu den Lebensstationen des Malers zeichneten die in Formation von fünf bis sieben aufgetretenen Sängerinnen und Sänger ein Klangbild, als erlebte man zum einen den geschickten Malprozess mit seinen erstaunlichen Lichteinfällen und Perspektiven hautnah mit; zum anderen, als schien in den vorgetragenen Zeilen der ausgewählten Madrigale und Lieder das reflexionshafte, einleitend angesprochene, gegenseitig inspiratorische Gedankensetting der existenziellen Fragen des Damals' und überdauernden Heute wirkungsvoll auf, deren profane und sakrale Hauptmotivik von Vergänglichkeit, Tod, Unausweichlichkeit, Schuld, Liebe und im wahrsten Sinne des Wortes lebensnotwendiger Beistandsbitte gerade auch in persönlicher Nachvollziehbarkeit Caravaggios einen schauerlich-realen Weg pflasterte.

Im Einzelnen bedeutete das, dass diese Auseinandersetzung der Cappella Mariana zum lombardischen Lebensbeginn mit Monteverdi, Gioseppe Caimo und Luca Marenzio in akkuratester Bewegung, Ansprache und vibratolos-stilistischer, timbre-abgestimmter Homogenität stattfand. Dabei fungierten die Soprane mit dem Bass als Pinsel, Rahmen, Grundierung und Spezialeffekte, Alt und Tenöre als farbige Illustrationskomponenten und Detailfüller. In ausdrücklicher Leidenschaft setzten sie bei Monteverdis „Non si levava ancor“ Text, Ausleuchtmittel und Gefühle in Szene, ebenso umsichtig in Caimos hellerer Kalte-Füße-Klage in Sachen Liebe und mit noch intensiverem Eingehen in Marenzios Schicksalsfragen. Da fügte sich mit den süßlich-lieblichen Tönen von Sopran und Alt in Deckung mit der nachdenklichen, ratlich-geborgenen Empathie aller ein Bild aus Sagen-Können, Fühlen-Dürfen und Auffangen-Müssen regelrecht zusammen. Aus der italienischen Region um deren Hauptstadt Mailand kam später noch Gregorio Zucchini hinzu, dessen Gaudium semper à 7 gläubige Zuversicht präzise mit dem natürlich-vokalen Enthusiasmus des Ensembles verband.

Diese war mit zuvor warmherzig vorgetragenem Gebet „Congragati sunt“ Fernando de las Infantas' rettende Erforderlichkeit nach eindringlichen, mühseligen Dem-Tod-ins-Auge-blicken-Lamenti im Abschnitt von Lebensmitte und tatsächlichem Ende mit den Städten Rom, Valletta, Palermo und weiteren sizilianischen Orten sowie Neapel. Andacht und besonders verständige wie weiche Verbindlichkeit tat sich in ganzer Pracht bei „Feria VI“ der Lamentationes Ieremiae Prophetae von Petersdomprimas Pierluigi da Palestrina auf, pure Verzweiflung in Pomponio Nennas und überdeutlich akzentuierter Schmerz in Giovanni de Macques Madrigali. In das Warum des Leides und Leidens zog die Cappella Mariana reichlich vital mit Antonio Il Versos „Io vivo, io sospiro ancora“, jenes irgendwie dauergrübelnd-unloslassenden Schreckens, den sie in unheimlich gefangennehmender, reißender, merklich theatralischer, expressiver und dynamischer Artikulation bei den von harmonisch-verstörenden Extremen lebenden Beispielen Gesualdos herausarbeiteten. So wie bedrückendste Schwere im organischen Ineinandergreifen der Stimmen dort beeindruckte, berührten Hana Blažíková, Barbora Kabátková, Daniela Čermaková, Vojtěch Semerád, Tomáš Lajtkep, Ondřej Holub und Jaromír Nosek final in stechender Abhebung mit Gesualdos überstehens- und sterbenssehnsüchtigen Wandlungen. Eine hervorragende Expo!

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