Andris Nelsons ist bei den Berliner Philharmonikern mittlerweile so beliebt, dass im Orchester ihre besten Musiker und Musikerinnen sitzen, wenn er am Pult steht. Gemeinsam brachten sie einen großartigen Bruckner zu Gehör, wogegen im ersten Teil, in dem sie mit Mitsuko Uchida Schönbergs Klavierkonzert aufführten, doch manches nicht zum Klingen gebracht wurde, was zumindest von mir gerne gehört worden wäre.

Andris Nelsons dirigiert die Berliner Philharmoniker
© Monika Rittershaus

Für die vier Teile seines einsätzigen Klavierkonzerts hatte Schönberg eine ganz einfache programmatische Skizze angefertigt, die zwar unveröffentlicht geblieben ist, der Form des Werkes aber dennoch ihr Leben eingehaucht hat: Das Leben war so leicht – Plötzlich brach Hass aus (Presto) – Eine ernste Situation entstand (Adagio) – Doch das Leben geht weiter (Rondo). Wer darum weiß, wird den Anfang im Soloklavier wie ein lyrisches Klavierstück, ja wie einen Walzer von Strauß vortragen, was Schönberg sogar in den Überbindungen im Klavierpart hervorgehoben hat. Doch unter Uchidas Fingern klang dieser Beginn leider so, wie Schönberg so oft klingt: Wie technisch gut gespielter, aber uninspirierter Brahms mit falschen Tönen. Lebendig wurde die Aufführung erst im zweiten Abschnitt, im dämonischen Scherzo, in dem es zu kurzatmigen Dialogen zwischen Klavier und Orchester kam, die völlig zu Recht wie ein moderner Liszt klangen. Da der Walzer zu Beginn überspielt worden war, konnte im Schlussteil, worin im konzertanten Sonatenrondo das Leben im Exil musikalisiert worden ist, die Pointe nicht herauskommen. In der apotheotischen Reprise trat das Hauptthema in vergrößerten Notenwerten zwar mächtig hervor, doch Schönberg hatte ihm alle Walzer-Anklänge genommen. An diesem Abend donnerte das Thema nur hervor, doch der mit dem Triumph einhergehende Verlust war nicht zu vernehmen. Das Konzert endet mit einem typischen Jazz-Schluss – allerdings in einer Lage, die ganz untypisch im Jazz ist. In meinen Ohren wirkte der Schluss in dieser Aufführung nicht augenzwinkernd ironisch, sondern etwas verlegen.

Dankbar war ich trotzdem, dieses Konzert wieder einmal gehört zu haben. Auch der große Joachim Kaiser wusste, dass Aufführungen, an denen man etwas auszusetzen hat, am Ende oft lehrreicher und erhellender sind, als diejenigen, in denen „alles gelingt“.

Mitsuko Uchida mit Andris Nelsons und den Berliner Philharmonikern
© Monika Rittershaus

Sehr überzeugend gelang nach der Pause jedoch Anton Bruckners Siebente Symphonie. Bei ihr hängen die Trauben in Berlin sehr hoch. Wer hat sie nicht schon mit den Philharmoniker gemacht! Andris Nelsons legte mit seinen 44 Jahren eine Aufführung hin, die Staunen erregte, was dieser junge Dirigent bereits an Erfahrung mit dieser geschichtsträchtigen Musik hat. Er entschloss sich dazu, die Tempi langsam zu nehmen, was den musikalischen Aufbau aber nicht zum Stocken, sondern ins Fließen brachte, ja erlaubte, manches regelrecht zu zelebrieren. So konnte Nelsons, um nur ein Beispiel zu nennen, im Kopfsatz die Themen, die zunächst im Original, dann in der Umkehrung erklangen, organisch auseinander entwickeln, wo in weniger guten Aufführungen oft nur Blöcke aneinander gereiht werden. Und so gelang es, den c-Moll-Ausbruch, auf dem gleichzeitig die beiden Modi von Original und Umkehrung des Hauptthemas miteinander kontrapunktiert sind, als Höhepunkt des Kopfsatzes erfahrbar zu machen.

Im Adagio wurde in epischer Musizierlust der große Höhepunkt beim C-Dur-Quartsextakkord mit dem Beckenschlag sorgfältig angestrebt. Dies gelang, weil im Satz keine Klangmassen übereinander geschichtet wurden. Der Höhepunkt war das Resultat einer farbenreichen Modulation, so dass der Akkord im Zentrum des gesamten Werkes seine Strahlkraft bis in Finale leuchten ließ. 

Im Finale gelang es Nelsons und dem glänzend aufgelegten Orchester, die beiden Themen des letzten Satzes als Varianten einer Substanz auszuleuchten und daraus alle Formentwicklung abzuleiten. Wenn sich anstelle der Reprise des Hauptthemas das dritte Thema mächtig an seine Stelle setzt, sind die beiden endgültig miteinander verschmolzen. Ein dann daraus entwickeltes „neues Thema“ hat allein die Aufgabe, dem Wiedererklingen des Hauptthemas des ersten Satzes in der Coda den Weg zu bereiten. Dies war selten so unaufdringlich, so schlüssig musiziert zu hören.

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