Oft kann man bereits zu Beginn eines Konzertes ahnen, dass es großer Abend werden wird. So auch beim zweiten Konzert Herbert Blomstedts mit dem Gewandhausorchester Leipzig in dieser Spielzeit, das ausschließlich Brahms gewidmet war. Denn schon die eröffnenden beiden Akkorde der Tragischen Ouvertüre wurden von Blomstedt so gewissenhaft und vielversprechend herausgearbeitet, dass sie Lust auf mehr machten.

Herbert Blomstedt
© Jens Gerber

Wie oft dröhnen oder scheppern diese beiden Klänge, weil sich das Orchester noch finden muss. Bei Blomstedt krachte das Forte jedoch nie, weil es intensiv durchgehört war. Bei jeder Wiederkehr klangen diese beiden Akkorde ein wenig anders – je nachdem, ob sie von Brahms als Anfangs- oder Schlussakkorde gesetzt sind. Zu Beginn der Durchführung nahm Blomstedt das Tempo zurück und gestaltete aus dem Nachsatz des Hauptthemas eine Prozession. Stets waren dabei die vorzüglichen Holzbläser zu hören, weil sie nie von den Streichern überdeckt waren.

Die Akademische Fest-Ouvertüre gehört zu den wenigen repräsentativen Werken in Brahms' Schaffen. Geschrieben hatte er sie für die Feierlichkeiten anlässlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Breslau. Er selbst nannte sie eine „Potpourri-Ouvertüre à la Suppé“. Blomstedt und das Gewandhausorchester ließen sich den Spaß nicht nehmen. Sie suchten nicht nach möglicherweise doch darin versteckten Tiefsinnigkeiten, sondern breiteten Brahms eine Festwiese aus. Auch die Gaudeamus igitur-Apotheose hatte nichts Gebrochen-Ironisches an sich, bestenfalls war etwas Augenzwinkerndes dabei. Wann hört man schon einmal eine große Trommel bei Brahms? Die eigentliche, weil schwer errungene Apotheose sparten sie sich für den zweiten Teil auf.

Die Darbietung der Zweiten Symphonie ist nur mit dem Prädikat „große Kunst“ angemessen gewürdigt. Mit Sicherheit weiß Blomstedt darum, dass Brahms dem Verleger weismachen wollte, dass er „noch nie so was Trauriges, Molliges geschrieben“ hätte. Nun gibt es allerdings nicht einen Satz, der in Moll steht. Dank seines heiter-gelassenen Wesens erscheint mir der altersweise Blomstedt geradezu prädestiniert dafür zu sein, diese Symphonie wirklich als das „liebliche Ungeheuer“ zu dirigieren, als das Brahms seine Zweite dann wohl doch treffend charakterisierte. Blomstedt belud die Symphonie nicht mit mehr Ballast, als sie ohnehin trägt, sondern machte ein Mozart verpflichtetes „Ideal einer errungenen Heiterkeit“ zum Nährboden dieser Aufführung. Das Posaunenmotiv in d-Moll klang dunkel und rätselhaft, bevor Blomstedt die Geigen in höchster Seligkeit die erste Variante des eröffnenden Motivs spielen ließ. Ganz organisch musizierten Dirigent und Orchester den sich nun entfaltenden Sonatensatz mit einer Inbrunst und Sorgfalt, dass diese so häufig gespielte Musik tatsächlich wie neugeboren klang. Auf dem Höhepunkt der Durchführung prallten die Motive so unversöhnlich aufeinander, dass Spuren davon die Reprise zeichneten. Blomstedt hielt die Fäden in der Hand, doch allein, um die Dinge ihren Lauf nehmen zu lassen. Der Reprise des Hauptthemas folgt ein großes Nachsinnen, das in abgründige Tonarten und so ins Dunkel führt. Nach der Zerstörung der Idylle und der Vergewisserung darüber, konnte die Musik nicht mehr in die Geleise der Exposition zurückfinden. Die Elegie des Hauptthemas wurde vom Ersten Solo-Hornisten Bernhard Krug eindringlich gespielt. Doch alles, auch das kleine Scherzando blieb im Konjunktiv. Der Satz klang verhalten aus.

Den langsamen Satz knüpfte Blomstedt im Ton an die Verinnerlichung an, mit der Brahms die Reprise mit dunklen Tönen färbte. Die tonartliche Verbindung der beiden Stellen gab dem Dirigenten das Recht dazu und er machte so satzübergreifende Bezüge hörbar, die sonst im Verborgenen bleiben. Blomstedt und das Orchester nahmen diesen Satz als groß besetzte Kammermusik, in der jede Stimme wie solistisch ins Gefüge eingebunden war und die Führung übernehmen oder sich zur Begleitstimme zurücknehmen konnte. Bei Blomstedt raunte das die Tonleiter abwärts fallende Motiv mit den betonten Vorhalten, weil er es wie von Brahms komponiert als metrisch verschoben im Takt verschoben auffasste. Erst ab dem Allegretto grazioso des dritten Satzes wandte sich das symphonische Drama zum Guten. Die Musiker und Musikerinnen des Orchesters konnten nun in ihrer Musizierfreude je auf die Phrase des Anderen hören. Dies war das Grundrezept aller vier Sätze. Im dritten Satz gelang es in schöner Leichtigkeit, weil er der unproblematischste der Symphonie ist.

Das Finale, Allegro con spirito, begann im Flüsterton. Blomstedt gab den Quarten, vorausschauend auf Späteres, ein deutliches Gewicht: Im Zentrum des Satzes erklangen diese Quarten dann vergrößert, das glorreiche Ende ankündigend. Das zweite Thema, das Brahms am Ende zum Hauptthema aufsteigen lässt, ließ Blomstedt mit großer Emphase auf die Apotheose zusteuern. Ein kurzes Innehalten erinnerte noch einmal an die Hindernisse und Zögerlichkeiten aus den ersten beiden Sätzen. Dann jubelte das zweite triumphal die Krönung des Werkes.

*****