Dass das groß erwartete Beethoven-Jahr sich nunmehr mit großen Schritten nähert, zeigt sich nicht zuletzt an den zunehmend auf dem Markt erscheinenden Neueinspielungen seiner Werke oder der Herausgabe aufpolierter Aufnahmen von den Größen der Klassikwelt. Auch das Philharmonische Staatsorchester Hamburg bereitet sich quasi schon einmal auf den Geburtstag des Jubilars im kommenden Jahr vor und präsentierte gemeinsam mit dem Chor der Staatsoper Hamburg gleich zwei Chorwerke von Ludwig van Beethoven in der Elbphilharmonie. Gemeinsam mit dem Schicksalslied von Johannes Brahms ergab sich so eine abwechslungsreiche und nicht allzu häufig zu hörende erste Konzerthälfte zur im zweiten Teil erklingenden Symphonie Nr. 1, ebenfalls aus Brahms' Feder.
Meeresstille und glückliche Fahrt und der Elegische Gesang bildeten den Auftakt des Konzerts. Beide Werke schrieb Beethoven im Jahr 1814 und trotz dieser zeitlichen Nähe könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Die Vertonung des Goethe-Textes Meeresstille und glückliche Fahrt schildert zunächst das Verharren eines Schiffes bei Flaute, ehe Wind anhebt und es flugs ans Ziel geht – den Elegischen Gesang schrieb Beethoven anlässlich des plötzlichen Todes der Tochter eines Bekannten auf einen Text von Ignaz Castelli. Jubelnde Heiterkeit im ersten und ergriffene Trauer im zweiten Fall standen sich somit im Konzert auf engstem Raum gegenüber. Diese Kontraste überhöhte Generalmusikdirektor Kent Nagano am Pult noch zusätzlich durch seine Differenzierungen suchende Interpretation, die das Orchester bereitwillig mitging. Der Chor zeigte sich bestens einstudiert und hellwach gegenüber Naganos minimalistischem Dirigat. Eine wahre Freude war die genaue, sehr deutliche Artikulation und somit gute Textverständlichkeit, die einzig in der Glücklichen Fahrt durch ein äußerst zügig gewähltes Tempo etwas einbüßte. Johannes Brahms, dem zweiten „großen B“ an diesem Sonntag, wandten sich die Ausführenden mit dessen Schicksalslied zu. Im Vor- und Nachspiel bestachen die Holzbläser mit sphärischen Klängen über sattem Streicherklang, während letztere im Mittelteil mit ihren wirbelnden Notenfolgen glänzen konnten. Im Chor, insbesondere im Sopran, wäre hier auf den hohen Tönen ein obertonreicherer und schlankerer, nicht so sehr vom Vibrato getragener Klang wünschenswert gewesen. Dies blieb bei der hervorragenden Gesamtpräsentation des Klangkörpers ein vernachlässigbares Detail.
In der zweiten Hälfte wandte man sich Brahms' symphonischen Erstling zu, den Zeitgenossen seinerzeit gar als „Beethovens Zehnte“ gescholten wurde, so ähnlich schien ihnen dieses Werk zu Beethovens Symphonien. Heute ist Brahms' Erste freilich zu einem Klassiker der Repertoires avanciert. Den allgemeinen Bekanntheitsgrad sah Kent Nagano offenbar als Herausforderung, dem Werk dennoch etwas Neues abzugewinnen. Das Mittel der Wahl dazu waren ein Bewusstsein um die zahllosen hübschen Nebenstimmen, die allzu selten deutlich hörbar gemacht werden, und die Wahl fast extremer Tempi. Der erste Satz begann äußerst verhalten und steigerte sich dann immer weiter zu einem großen Jubeltaumel. Schon in den ersten Takten machte der auswendig spielende Solo-Paukist Brian Barker nachdrücklich durch sein jederzeit präsentes und konturgebendes Spiel auf sich aufmerksam. Der zweite Satz gelang zurückgenommen und ganz verinnerlicht. In der Solopassage des Konzertmeisters gab Konradin Seitzer eine eindrückliche Kostprobe seines herrlich schwelgenden Spiels. Der dritte Satz zeigte sich als mal keck musiziertes Intermezzo, mal als idyllische Pastorale. Für die kontrastreiche, bisweilen fast exzentrische, aber nie unpassende Tempowahl war der vierte Satz schließlich noch einmal ein gutes Beispiel: Die Pizzicato-Stellen am Anfang stagnierten nahezu und bauten so eine enorme Spannung aus. Fast frei im Tempo gelang die hymnische Überleitung der Bläser zu dem so bekannten, fließenden Kernthema des Satzes, das wiederum in ein äußerst munteres, zügig vorwärtsschreitendes Tempo gekleidet war. Nagano gelang so eine niemals langweilige Interpretation, in der selbst Brahms-Kenner noch die eine oder andere Überraschung entdecken konnten.