Als das Bach Collegium Japan das letzte Mal in der Kölner Philharmonie war, fand es zur Johannespassion Bachs anlässlich der Europatournee zum 30-jährigen Bestehen des Ensembles einen fast komplett leeren Saal vor. Außer ihm gesellten sich lediglich Kameraleute sowie ein schnell und noch rechtzeitig eingetroffenes Team von BIS-Tontechnikern zu den Musikern, nachdem der erste Lockdown der Coronapandemie zum 14. März 2020 verhängt worden war, so dass sich Masaaki Suzuki mit den Verantwortlichen in Köln entschied, das angedachte Konzert am 15. März auf CD aufzunehmen und auch live zu streamen. Knapp 180.000 Menschen verfolgten die für eine Zeit lang neue Realität, ein genauso unglaubliches Resultat, das Anziehung, Fehlen und damit Sehnsucht und Bedürftigkeit nach dem direkten Hören von Bachs Musik und seiner renommiertesten Interpreten aus Japan erst recht unter und nach derartig umwälzenden Bedingungen verdeutlichte.

Masaaki Suzuki
© Marco Borggreve

Mehr als zweieinhalb Jahre später – Gott sei Dank ohne die Gefahr oder politische Verleitung, erneut im Auditorium resonanzlos zu bleiben – kamen Orchester, Chor und Solisten auf dem Weg ihrer europäischen h-Moll-Messe-Reise nach Köln zurück und traten vor physisch anwesendem Publikum in ihrem immerwährenden Kreislauf Bachs bestechender Ausformungen der theologischen Botschaften nachfeiernd mit drei Kantaten und der Vierten Orchestersuite, der einleitenden Klammer zur finalen Kantate des Abends, auf. Typisch straff erklang dabei jene Suite mit dem stehenden BCJ-Orchester, das ihr gleichzeitig die weiteren markenkernlichen Charakterzüge Suzukis spielphilosophischen Ansatzes von erhabener Eleganz, Gelassenheit und energetischer Kraftentfaltung durch Einser-Betonungs- und Paukenstringenz angedeihen ließ. Diese Merkmale fanden ihre Steigerung in abschließend fixer, resoluter Réjouissance, nachdem in den drei mittleren Sätzen deren musikalische Tanz-Effekte dank nötiger Artikulation und Phrasierung in Suzukis Umsicht bei allem Purismus und origamifaltender Akkuratesse nicht zu kurz gerieten.

Die Kantaten bildeten wiederum einen Dreiklang vom Bezug des Menschen zu Gott und der Welt, also von der hiesigen Vergänglichkeit, der Wahrhaftigkeit und Herausforderung des Glaubens sowie dem erlösenden Jubel über die Losung des ewigen Neubeginns der Zeit durch die Herabsendung des Heilands. So hielt Suzuki das BCJ in Was frag ich nach der Welt lautstärketechnisch sehr bedeckt, um das Interrogative sinnhaft zum dezent schleiernden, zweifelnden Kleid der Menschen zu knüpfen, denen am Ende im dynamisch abgesetzten Choral der gestärkte Mantel des frommen, bußfertigen Lebens im Vertrauen auf Jesu und Gott über den Schultern hing. Dies hatten nach flüchtig-belüftendem Concerto mit Kiyomi Sugas Traverso Christian Immler mit Sonorität und Mitgefühl, James Gilchrist mit lebendiger Textgestaltung, natürlicher Autorität und Überzegung trotz mittlerweile grenzenerreichter Höhe, Alexander Chance in mitnehmend strenger Klarheit und Vokalpräsenz und Joanne Lunn mit ihrer Wohltat-Referenz an leuchtender Phrasierung, Deklamation und universeller Deutlichkeit schmackhaft gemacht.

Von großer Bestimmtheit war dagegen die Kantate Herr, deine Augen sehen nach dem Glauben, in deren Eingang der BCJ-Chor seine kultivierte Beschlagenheit mit akzentgenauen theatralischen Einflüssen so eindrücklich unter Beweis stellte wie im flotten, knackigen Choral. Genauso eindrücklich trat Chance mit Wortgewalt und zu Masamitsu San'nomiyas Oboe kongruenter gerader Zieh- beziehungsweise Dehn-Artikulation in Erscheinung, während Gilchrist im aufrüttelnden „Erschrecke doch“ etwas unfein dramatisierte, den vermittelnden Glaubens-Kontrast aber mit Ryo Terakados gewandt miniaturfertig beherrschter winziger Violino piccolo behutsam und lyrisch leicht umzusetzen verstand.

Mit aufgegriffenem, um Flöten erweitertem, jetzt besonders vom Continuo mit Fagott und Kontrabass gefülltem Ouvertürensatz verfehlte Suzuki abermals nicht die Wirkung festlicher Freude, Erlösung und Dankbarkeit, die sich nun in Unser Mund sei voll Lachens Bahn brach. Der Chor bekräftigte sie mit spürbarer Hingabe, Chance mit ätherischer, in sich gekehrter Direktheit über die Menschwerdung des Herrn, Lunn und Gilchrist im verändert recycelten, anmutig wiegenden, sachten, lieblich schmückenden Weihnachtsduett und Immler gemeinsam mit Hidenori Saito in nicht fehlen dürfender, tänzerisch beschwingter Bass-Trompeten-Arie mit Motivation ohne weltfremde Überdrehung. Mit Essenz geglänzt!

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