So man die Redewendung „Aller guten Dinge sind drei“ nur bei vorangegangen erfolglosen Versuchen verwendet, kann dies bei Raphaël Pichons Reihe Die Wege Bachs keinesfalls gelten, wenn sie mir in numerischer Symbolik und einfach rein wörtlich genommener Bedeutung nach den gehörten Etappen zuvor dazu dient, die Trilogie auch mit dem letzten Konzert einleitend knapp zusammenzufassen. Wohlwissend, dass in jeder Kürze die Problematik steckt, einiges nicht hundertprozentig zu treffen. Wie die Sinn ergebende und ebenfalls erneut magische Ausführung der gespielten Stücke von Dietrich Buxtehude, Johann Christoph Bach, Nicolaus Bruhns und natürlich Johann Sebastian Bach, für die das im Adjektiv „gut“ steckende, qualitative Wertungsurteil also merklich nur eine Annäherung sein kann. Daher werden die folgenden Beobachtungen der finalen, mit „Die Reise nach Lübeck“ überschriebenen Station Pygmalions Saisonprojekts in Bezug auf die historische Auseinandersetzung mit Bachs Kantatenmusik der Aufführungsdarbietung gerechter.

Raphaël Pichon
© Fred Mortagne

Nicht minder als gewaltig geriet denn schon der Einstieg in den gedanklich vollzogenen Fußmarsch Bachs, obwohl dieser am Abend im Amsterdamer Muziekgebouw – man wagt es kaum zu sagen – balancetechnisch noch als der eher herantastende Weg selbst an die ganze Pracht und so unvergleichlich einnehmenden Vorzüge Pygmalions und Pichons Einfälle qualifizierbar war. In J. C. Bachs bombastischer Michaeliskantate Es erhub sich ein Streit bestand eine solche Idee Pichons zunächst „äußerlich“ in der Adaptierung der eigentlich zweiundzwanzigstimmigen Komposition für sein wie in vorherigen Konzerten angetretenes Ensemble ohne Bratschen, indem der Dirigent anstelle derer wieder mit Gamben und vollem Posaunenconsort aufwartete. Der bläserne Zusatz haute mit dem Doppelchortutti wirkmächtig herein, nachdem der eigentliche Musikmarsch mit der Armada der vier Trompeten und Pauken der bassreichen, schlichten Sinfonia folgte. Am Schlagwerk dabei Koen Plaetnick, der Garant war für eindrücklichste Fulminanz, zu der die militärisch strenge Prägnanz und die strikten, sukzessive wie abrupt auftretenden Dynamiken und Akzente im Verlauf der Kantate mit vokalsolistischen Favoriteinsätzen wahrlich dazustießen.

Ensemble Pygmalion
© Pierre-Gabriel Pichon

Den Michaelispreis voranzustellen – ihn hatte Bach quasi im Ohr, als er im Oktober 1705 sein Bündel für Lübeck schnürte –, bestellte neben dem festlichen Einleitungs- und folgenden Kontrasteffekt durch die Reinigung des Himmelsreichs „innerlich“ das theologische Feld für die ostergefärbten Werke danach. Zunächst Bruhns' Fragment des novemberlichen und jetzt karreferenziellen Klagegesang De profundis clamavi, dem Alt Lucile Richardot – ebenfalls einzelpersönlicher Garant der Genussüberwältigung – in der von mir bei ihr so geliebten Vokaldeutlichkeit, Diktion, Kraft und Agilität sowie die federnd-gewichtige Begleitung sinnliche Wärme und Schärfe, also maximale Konturen verliehen. Herausragende Phrasierungen kennzeichneten dann die Übergänge und vor allem die Verse III und IV Buxtehudes Nimm von uns, Herr, du treuer Gott, an dessen „Amen“ sich mit wuchtigerem Schall durch Pauken und nun aufgeteilte seitliche Trompeten ein mitreißendes, spritziges, ausgewogen strahlendes, spannendes Benedicam Dominum in omni tempore anschloss, das als Gesamterlebnis Pygmalion und den Lübecker Großmeister seiner Zeit in bestem Licht erscheinen ließ.

Ohne Pauken, aber in umso intensiverer in Artikulation, Dramatik, Emotionalität und Dynamik herausgeformter Textlichkeit führte Buxtehudes glänzend gewandeltes Herzlich lieb hab ich dich, o Herr zu Bachs frühester Ostersonntagskantate Christ lag in Todesbanden. Sie war einserseits in eben Leipziger Fassung mit Posaunenconsort, Fagott sowie angepasster Besetzung ohne Bratschen gehalten und überraschte andererseits darüber hinaus mit geändertem, auf erstem Chor beruhendem „Halleluja“-Satz des Schlusschorals. Pichon gelang dabei das Kunststück, das Alla-breve-„Halleluja“ selbst im extrem schnellen Chor-Vers I noch abzusetzen, ergreifende, technisch schwebende, klarste Momente mit Sopranen und Alti im Versus II zu schaffen und die weiteren Solisten Maïlys de Villoutreys, Antonin Rondepierre und Manuel Walser mit flinker, gelöster, thronender, angenehmster Unerschrockenheit auszustatten. Sie bestätigte nicht nur die traditionelle Botschaft auf erfrischendste Weise, sondern die Eingriffe und Kniffe des Dirigenten, die Haltung Bachs vor und bei seinem Weg nach Lübeck und Pygmalions Projekt generell. Nach diesem – um mit anderer Redewendung zu enden – ist vor dem nächsten.

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