Im Festspielsommer 2017 übernahm die iranische Videokünstlerin Shirin Neshat in Salzburg erstmals die Regie einer Opernproduktion; fünf Jahre später überarbeitete sie nun ihre Inszenierung von Giuseppe Verdis Aida im Rahmen einer Neueinstudierung. Und das Konzept wäre durchaus spannend: Gezeigt werden die Schrecken eines Regimes, in dem weltliche und vor allem geistliche Oberhäupter willkürlich herrschen und das Individuum keinerlei Freiheit zugestanden bekommt.
In bzw. hinter einem weißen Kubus, auf dem Filme der Künstlerin projiziert werden, folgt das Leben starren (Kriegs-)Ritualen, unter denen letztlich alle leiden. Dabei macht die Regisseurin unmissverständlich deutlich, dass es im Krieg nur Verlierer gibt. So muss etwa der traumatisiert wirkende Radamès bei der Siegesfeier seine Hände in Blut waschen und vor den Augen Aidas eine Sklavin töten – dieser Kontrast zwischen Horror und Triumphmarsch ist der stärkste Moment der Inszenierung. Gute Ideen und einzelne starke Bilder machen aber leider noch keine überzeugende Inszenierung, vor allem wenn es an Personenregie fehlt. Denn über weite Strecken des Abends wähnt man sich in einer statischen Kunstinstallation, in der Sänger an der Rampe stehen, ziellos herumgehen oder die Hände in die Luft strecken. Einiges ergibt auch schlicht und einfach keinen Sinn: So wird Amonasro im zweiten Akt ermordet, um dann nach der Pause für das Duett mit Aida wieder aufzuerstehen; und dass Radamès in der finalen Szene davon singen muss, dass nicht einmal er den Stein des Grabs bewegen kann, nachdem ein paar Sekunden zuvor einige düstere Gestalten (optisch eine Mischung aus Ku-Klux-Klan-Mitgliedern und Dementoren) den Raum durch Türen verlassen haben, ist einfach nur absurd.
Musikalisch gab es hingegen beinahe nichts auszusetzen an diesem Abend, auch wenn im Graben verschiedene Herangehensweisen an Verdis Werk aufeinandertrafen. Auf der einen Seite kostete Alain Altinoglu Lautstärke und knalligen Effekt voll aus, auf der anderen Seite bemühten sich die Wiener Philharmoniker um sanfte Intimität des Klangs. Letztlich kamen beide Parteien auf ihre Kosten, denn das Orchester folgte dem Dirigenten bereitwillig in Momenten überbordender Forte-Dramatik und behielt dabei trotzdem stets eine verführerische Süße des Tons bei, während Altinoglu sich nobel zurückhielt, wann immer die Philharmoniker in berückende Pianissimo-Passagen abtauchten.
Stets einwandfrei funktionierte außerdem die Abstimmung zwischen Graben und Bühne, sodass die Sänger ihrerseits glänzen konnten. In der Titelrolle überzeugte Elena Stikhina mit viel Emotion in der Stimme, das Gefühlschaos der Aida gestaltete sie differenziert und berührend – besonders das mit verzweifelter Emphase vorgetragene „O patria mia“ ließ wohl das ganze Festspielhaus mit der Figur mitleiden. Ihr dunkel timbrierter Sopran blieb dabei sowohl in der Höhe als auch bei dramatischen Ausbrüchen ebenmäßig und klangschön, nie hatte man das Gefühl, dass sie ihre vokalen Reserven angreifen muss. Ein echtes Highlight waren außerdem die fein gesponnenen Piani, die ewig im Raum zu schweben schienen.
Piotr Beczała brachte an ihrer Seite stimmlich ebenfalls alles mit, was ein Radamès braucht: lyrische Piani, dramatische Attacke und eine gute Balance zwischen tenoralem Schmelz und stählernem Kern in der Stimme. Von zarten Piani (herrlich der Schlusston beim „Celeste Aida“!) über die klangfarbenreich verdeutlichte Gestaltung der inneren Zerrissenheit im dritten Akt bis hin zum kämpferischen Helden-Forte gelang ihm wirklich alles. Und während die darstellerische Chemie zwischen Stikhina und Beczała leider nur auf Sparflamme köchelte und die beiden von der Regie meist nur irgendwo auf der Bühne geparkt wurden, verbanden sich die Stimmen ideal und sorgten so im Schlussduett für herzergreifende Momente und entrückt-himmlische Klangschönheit.
Ève-Maud Hubeaux setzte ihren samtigen Mezzo als Amneris effektvoll ein – insbesondere im letzten Akt drehte sie bei den dramatischen Ausbrüchen voll auf – und konnte vor allem in der Mittellage und der Höhe mit eleganten Phrasierungen punkten. Dennoch schwebte die Frage über der Vorstellung, ob es der Stimme nicht langfristig zuträglicher wäre, mit dieser Partie noch ein paar Jahre zu warten: so wirkte das Timbre in tieferen Lagen nämlich unnatürlich verschattet und immer wieder musste Hubeaux auch ziemlich forcieren, etwa um sich in der Konfrontation mit Aida Gehör zu verschaffen.
Der Amonasro lag bei Luca Salsi in bewährten Händen, er schaffte es, den Spagat zwischen liebendem Vater und rachsüchtigem König mit seinem sonoren Bariton zu verdeutlichen und dabei nicht nur mit dramatischem Aplomb, sondern auch feiner gestalterischer Klinge ans Werk zu gehen. Der ansonsten gerne exaltiert auftretende Erwin Schrott legte den Ramfis gänzlich ohne darstellerische Mätzchen, sondern dezent und würdevoll an; seine Stimme strömte üppig durch die Partie und füllte das Festspielhaus dabei mühelos mit düsterer Autorität. Roberto Tagliavini gab einen totalitär herrschenden König, wobei er die Rolle mit kühlen Farben in seinem Bass gestaltete, während er von der Regie zu schauspielerischer Tatenlosigkeit verdonnert wurde. Riccardo Della Sciucca als energischer Bote und Flore van Meerssche, die als Oberpriesterin mit wunderbar klarem und warm timbriertem Sopran auffiel, komplettierten die Solistenriege und trugen ebenso zu den musikalischen Glücksgefühlen des Abends bei wie der klangschön und differenziert singende Chor.