Wer sich am vergangenen Mittwochabend den Weg durch ein Meer aus „Suche Karten“-Schildern bahnte, dann in Schlangenlinien, vorbei an dem opulenten Gedränge aus Betuchten und Connaisseuren – schon leicht gestresst – am Sitzplatz einfinden konnte, dem wurde an der Wiener Staatsoper etwas einmaliges geboten.
Guiseppe Verdis Aida steht wieder auf den Spielplan, der Vorhang hebt sich, und nur wenige Takte später tummeln sich Jonas Kaufmann, Anna Netrebko und Elīna Garanča auf der Bühne. Letztere auch noch mit einem Rollendebüt als Amneris. Drei vielbeachtete internationale Weltstars, die in dieser Dreierkonstellation so noch nie in Wien zu sehen waren. Entsprechend hoch waren die Erwartungen – und auch die Preise der Karten. Gleichwohl, der Plan von Intendant Bogdan Roščić, die Wiener für die betagte Inszenierung von Nicolas Joël erneut zu begeistern, ging auf. Das Haus am Ring war, erwartungsgemäß, restlos ausverkauft.
Die majestätischen Tableaus ägyptischer Megalomanie sind auch fast 30 Jahre nach der Premiere (1984) nicht minder beindruckend und bieten der herausragenden Sangeskunst immer noch die perfekte Bühne. Zyniker würden sagen belanglos, veraltet oder gar kitschig, aber freilich kann dagegen gehalten werden, dass die Aida aber eben genau das ist: Opernkitsch in Reinstform.
Und der funktioniert. Netrebko gibt sich als Aida unglaublich angriffslustig, wechselt mühelos und mit unglaublichem Volumen in die hohen Lagen. Mit Dauerforte sorgt die für höchstdramatische Kontraste und starke Klangfarben. Durchaus zeigt sie an diesem Abend auch, dass sie leise und intim sein kann (und es sind vielleicht sogar ihre gesanglich stärksten Momente), aber als Zuschauer wird man vor allem von dieser unglaublichen Stimmgewalt weggeblasen, die selbst an den Rändern niemals abbricht. Es ist fast unvorstellbar, wie ihr das gelingt. Der fantastische Verdi-Chor drängt sich auf der Bühne, neben ihr Kaufmann und Garanča, davor das angriffslustige Orchester und trotzdem hört man selbst im klanglichen Wimmelbild des zweiten Finale vor allem sie und noch jedes einzelne Wort – und wahrscheinlich sogar noch im Café Mozart um die Ecke.
Mit Blick auf die horrenden Kartenpreise, darf dies nicht ohne Kritik bleiben. Wenn sie „O patria mia” singt, dann fehlt ihr das Einfühlungsvermögen – sowohl in der Stimme wie im Spiel. Immer wieder die gleichen stummfilmhaften Gesten, der Umhang wird zum zwanzigsten Mal dramatisch geworfen, die Hände greifen nach Luft – das lässt mehr als nur ein Quäntchen Etwas vermissen, damit das Publikum sich auch wirklich in den zerreißenden Zwiespalt der Aida hineinfühlen kann.
Im Zusammenspiel mit Jonas Kaufman wirkt das, gerade in dieser Nil-Szene, beinahe komisch. Im Kontrast dazu wagt der Münchner nämlich echtes Schauspiel, sucht den Blickkontakt, doch die Netrebko singt daneben für die Rampe. Kaufmann brilliert als Radames mit einer sehr detailverliebten, exakten, und intimen Interpretation. Seine unverkennbare, elegante, federleichte Strahlkraft, dieser fantastische Schmelz ist doch da, aber die Fassade bröckelt. Insbesondere mit den Höhenlagen kämpft er, haucht sie zeitweise fast brüchig, und kommt so über weite Strecken des Abends nur mit großer Mühe über den furios aufbrausenden Orchestergraben hinweg. Gerade wenn die Netrebko neben ihm ihre Lunge entleert, da fehlen mindestens 10 Dezibel. Aber selbst alleine, wie beim „Celeste Aida“ gleich am Anfang, bleibt das Volumen auf dem Niveau eines intimen Schubert Liedes. Schade eigentlich.
Unter den vielen Glanzlichtern des Abends stach sicherlich Elīna Garanča am meisten hervor, was das Publikum an Ende mit vielen Brava-Rufen quittierte. Unglaublich sinnlich, stets kontrolliert und wunderbar vielschichtig ist ihre Amneris. Und was für eine fantastische Bühnenpräsenz! Mit ihrem lasziven Schauspiel führt sie die anderen Solist*innen vor. In der „Traditor“-Szene verschlägt es dem Publikum dann wirklich den Atem. Das dringliche Forte ist mindestens genauso überzeugend wie die dunkle Tiefe ihres Mezzos. Eifersucht, Verzweiflung und Ausweglosigkeit werden nicht nur hör- und spürbar, sondern fast greifbar. Was für ein fantastisches Rollendebüt! Bravissima!
Nicola Luisotti steht am Pult und hat sein Dirigat, so scheint es jedenfalls streckenweise, ganz an der Netrebko ausgerichtet. Und so fährt er mehrmals über das Ensemble hinweg, gerade wenn es etwas leiser im monumentalen Säulenwald auf der Bühne wird. Gleichwohl, das Orchester der Wiener Staatsoper ist fulminant, einsatzstark und in jeder Hinsicht das, was sich wohl jeder Verdi-Fan erwartet. Gemäßigte Tempi überraschen, gleichwohl wunderbar eingängig, jeder Ton sitzt, und mit diesem fabelhaften ägyptischen Flair, aber eben doch zu laut für Teile des Ensembles.
Auch die Balletteinlagen, mit ihrer klischeebelasteten Choreographie und überbordenden Ausstattung ziehen sich wie zähes Kautschuk und über die Synchronität und Standfestigkeit der Tänzer ließe sich auch das eine oder andere Wort verlieren.
Gleichzeitig würde dies nur ein falsches Bild vermitteln. Der Abend war, im gesamten, fantastisch. Was selbst von den kleineren Rollen sängerisch geleistet wird, haut einen schlichtweg um. Ilja Kazakov hat als König sichtlich Spaß an seiner Rolle und auch Luca Salsi kann als Amonasro, trotz etwas statischem Spiel, sängerisch durchweg überzeugen.
Kurzum, in dieser außergewöhnlichen Besetzung war auch die 126. Aufführung dieser Inszenierung mehr als nur besuchenswert. Trotz kleiner Kritikpunkte auf höchstem Niveau, ein echtes Fest für die Ohren.