Für jemanden, dessen erste Oper diesen Monat beim Aldeburgh Festival aufgeführt wird, hat der österreichische Komponist Thomas Larcher eine erstaunlich ambivalente Beziehung zur menschlichen Stimme. „Ich habe Opernstimmen gehasst. Ich erinnere mich daran, dass ich einen Sänger in einem Plattengeschäft in Wien – in der Zeit als es noch Plattenläden gab – gehört und den Verkäufer gefragt habe, ob es Florence Foster Jenkins sei. Das Vibrato war so ausladend, dass man nicht verstehen konnte, was eigentlich gesungen wurde. Später habe ich andere Möglichkeiten entdeckt, mit der Stimme zu arbeiten, indem ich Folk Music gehört habe und Sänger wie Billie Holiday, Ray Charles und Stevie Wonder.”
Und auch Mark Padmore. Es war der britische Tenor, der wie Larcher dieses Jahr Artist in Residence in Aldeburgh ist, der den Komponisten von der Wichtigkeit (und Überlegenheit) des Texts beim Schreiben für die Stimme überzeugte. „Mark war mein Katalysator; er hat mir gezeigt, dass die Synthese zwischen Text und Musik viel mehr als die einzelnen Elemente ist”, sagt Larcher.
Seine Oper Das Jagdgewehr basiert auf der gleichnamigen Novelle von Yasushi Inoue. Bevor sie mit der Arbeit begonnen haben, haben Larcher und seine Librettistin Friederike Gösweiner das Buch genau studiert, jeden Abschnitt eingehend diskutiert, um vollkommen vertraut mit dem Material zu sein, bevor sie es zum gesungen Text verfeinert haben. „Es ist eine ziemlich komplexe Handlung und ich wollte mein Bestes geben, um den Text in der Musik so treu wie möglich wiederzugeben.”
Deshalb hat er auch die Anfrage abgelehnt, eine englische Version für Aldeburgh bereitzustellen. „Ich sah keine Möglichkeit. Die Stimmlinie ist so stark mit dem Deutschen vernetzt, dass es in einer anderen Sprache einfach nicht funktionieren würde”, erklärt er.
Das Buch zeigt fünf Charaktere, jeder mit seinen eigenen persönlichen Qualen. „Als ich die Geschichte des Jagdgewehrs zum ersten Mal gelesen habe, war ich sofort von deren Zeitlosigkeit gefesselt”, sagt Larcher. „Es befasst sich mit Fragen, die sich jeder schon mal gestellt hat, der in einer Beziehung war oder ist, mich selbst eingeschlossen, zum Beispiel, ob man bleiben oder gehen, es aussprechen oder lieber schweigen soll, daran festhalten oder loslassen.”
Larcher gibt jedem Charakter eine höchst individuelle Stimmlinie, oft akrobatisch und oft, für die Soprane, extrem hoch und technisch anspruchsvoll. Aber es ist vor allem seine Orchestrierung, die einen in seinen Bann zieht. Er kombiniert ein Streichquartett mit Akkordeon, Kontrabass, präpariertem Klavier und allem möglichen Schlagwerk – einige werden von einem siebenköpfigen Chor gesungen, als Teil der orchestralen Struktur – im Orchestergraben, nicht auf der Bühne. Ein riesiges Aufgebot an Instrumenten kommt ins Spiel, unter anderem Sand Blocks, Kolbenflöte, Vibraslap, Donnerbleche und Windmaschinen, und Unmengen and Glocken, Pauken, Marimba, Holzblöcken, eine Rührschüssel und eine kleine Keksdose.
„Ich will immer etwas kreieren, das die Musiker gerne machen; was sie gelernt haben und präsentieren wollen. Wenn man ihnen die Möglichkeit gibt zu glänzen, bringen sie ihre eigene Persönlichkeit in die Musik ein. Die armen Kerle sind die Schlagzeuger! Ihre Instrumente haben sich in den letzten 40, 50 Jahren so stark weiterentwickelt, dass sie jetzt zu den Klangfarben beitragen. Schlagzeuger sind für gewöhnlich die hilfreichsten Leute und es ergeben sich viele, viele Möglichkeiten – fast zu viele!”
Larcher hat erst in seinen Vierzigern mit dem Komponieren begonnen (er ist heute 55). Er war ein gefragter Konzertpianist, etwas, das seine Entwicklung als Komponist behindert hat. „Ich habe alles von Bach bis hin zu neuen Konzerten gespielt. Ich kannte die Werke von Schönberg, Bartók, Messiaen und jedes Mal, wenn ich versucht habe, etwas neue zu schreiben, kam mir der Gedanke: ,Oh, das kenne ich schon!’”
Erst als er damit begann, mit einem präparierten Klavier und Electronics zu experimentieren, fand er einen neuen Weg, seiner Kreativität freien Lauf zu lassen. Jetzt, da seine Symphonien und Streichquartette auf der ganzen Welt gespielt werden, gehört er zu den führenden zeitgenössischen Komponisten – bestätigt durch seine Residence in Aldeburgh, wo mehrere seiner Werke gespielt werden. „Ich bin unglaublich dankbar dafür. Ich hätte nie gedacht, dass ich so viel erreichen kann, als ich mit dem Komponieren begonnen habe.”
Das Festival bringt auch Larchers vier Streichquartette auf die Bühne und ein neues Werk für den Pianisten Paul Lewis, ein langjähriger Freund. „Für das Klavier muss ich mich in eine Art ungestörten Gemütszustand begeben – es ist immer das schwierigste Instrument, für das ich komponiere – und in diesem Fall ist es ein ziemlich rhapsodisches Stück geworden. Ich bin diesmal tatsächlich zufrieden damit!”
Larchers Orchesterwerk Red and Green wird ebenfalls aufgeführt, vom BBC Symphony Orchestra, und beim Schlusskonzert am 23. Juni spielen Alisa Weilerstein und das City of Birmingham Symphony Orchestra unter Edward Gardner Ouroboros für Cello und Orchester.
Er kann es nicht erwarten, seine Oper in der feinen Akustik von Snape Maltings zu hören. Bei der Uraufführung bei den Bregenzer Festspielen letztes Jahr gab es keinen Orchestergraben. Ohne diesen Problem hofft er, dass sich die Sänger befreit fühlen. „Ich will, dass sie sehr sanft singen und sich nicht gezwungen fühlen, laut zu singen – ich will, dass sie mehr Leonard Cohen und weniger Luciano Pavarotti sind.”
Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.