Bei unserem vorab organisierten Zoom-Call springt Nikolaus Bachler förmlich ins Bild. Während andere Kulturschaffende von der elfmonatigen Pandemie zermürbt scheinen, sagt der Intendant der Bayerischen Staatsoper, dass er die Chancen liebt, die eine Krise mit sich bringt: „Wir haben in diesem einen Jahr so viele Neuerungen geschaffen. Die Energie im Haus ist unglaublich positiv, weil jeder merkt, dass das, was wir machen, nicht selbstverständlich ist, sondern dass wir dafür kämpfen müssen.” Diese Energie sei höher als je zuvor in den letzten Jahren, sagt er, und spricht lieber darüber als über Probleme oder Einschränkungen.
Wie alle anderen musste auch die Staatsoper viele Produktionen absagen, verschieben, mit reduziertem Publikum oder sogar vor leerem Haus aufführen. Aber Bachler ist stolz darauf, dass sie es geschafft haben, während der gesamten Pandemie zu arbeiten, keinen einzigen Tag zu schließen, Urlaube zu verschieben und hinter den Kulissen zu arbeiten, wenn es nicht möglich war zu spielen (manchmal, so gibt er zu, war es wie in einem Kloster). Die Aufführungen fanden in jeder Ecke des Hauses statt, darunter auch ein Hornkonzert für zehn Personen im Keller unter der Hauptbühne. Lehárs Operette Schön ist die Welt, die von Bachtrack in den höchsten Tönen gelobt wurde, wurde in vier Tagen komplett neu einstudiert.
Möglich wurde das durch die große Unterstützung der Bayerischen Landesregierung. „Wir sind ein echtes Staatstheater, haben einen guten Draht zum Finanzministerium und zur Verwaltung. Und das hat uns bei allem ein gewisses Sicherheitsnetz gegeben.” Zu Beginn der Pandemie wurden zum Beispiel im Rahmen einer Universitätsstudie täglich 50 Personen im Haus getestet. Es wurden Hygienekonzepte entwickelt, und das Haus blieb bis zum zweiten Lockdown im November für ein (reduziertes) Publikum geöffnet.
Es ist Bachlers dreizehnte und letzte Spielzeit an der Staatsoper und ich bin gespannt auf die Diskussion über seine Amtszeit. Seine Sicht auf seine Ziele ist kurz und bündig: „Was wir in den großen Opernhäusern haben, ist ein hoher musikalischer Standard. Musikalisch ausgezeichnete Produktionen und eine sehr konventionelle und konservative Art, Oper zu machen. Dann haben wir die Avantgarde-Häuser von Brüssel bis Frankfurt: Die haben eine durchschnittliche musikalische Situierung, aber interessante Musiktheater-Interpretationen. Was wir versucht haben, ist, diese miteinander zu verbinden: eine interessante Inszenierung mit Kaufmann und Harteros, beispielsweise, und mit Petrenko als Dirigent.” Er führt eine Liste von Regisseuren auf: Warlikowski, Tcherniakov, Bieito, Castellucci. „Die haben alle hier gearbeitet. Aber sie haben auf höchstem musikalischen Niveau gearbeitet.”
Er betont, wie unterschiedlich Operninszenierungen in Deutschland im Vergleich zu Häusern wie Covent Garden oder der Met sind. „Das Münchner Publikum hat schon einiges gesehen. Vor dreißig Jahren hatten sie Konwitschny und Hans Neuenfels. Da gab es einen langsamen Prozess des Zusammenwachsens in eine bestimmte Richtung. Und deshalb ist es natürlich auch schwierig, sagen wir mal für ein Londoner Publikum, wenn sie plötzlich eine sehr schockierende Inszenierung sehen und alle irritiert sind. Weil es wie das Erlernen einer neuen Sprache ist. Und natürlich hat die Entwicklung des Musiktheaters in den letzten fünfzig Jahren hauptsächlich in Deutschland stattgefunden, mit Ruth Berghaus, Herz, Neuenfels, Felsenstein und all diesen Leuten. Ich glaube einfach, dass es einen natürlichen Weg gab, sich weiterzuentwickeln und sich nicht in ein Museum zu verwandeln.”
Wenn ich einige der Merkmale der deutschen Regiewelt anspreche, mit denen britische Opernbesucher zu kämpfen haben – zum Beispiel die Flut an unzureichend erklärten Ideen in Frank Castorfs Bayreuther Ring – ist Bachler kompromisslos. „Das ist im Grunde das, worum es in der Kunst im Allgemeinen geht, in der bildenden Kunst oder auch in moderner Architektur. Der Künstler gibt die Regeln vor. Und es wird wahrscheinlich nicht in dem Moment verstanden werden, und wahrscheinlich gibt es falsche Vorstellungen, die nirgendwo hinführen. Aber es ist immer eine Frage von Jahren. Als man Mao Zedong nach den Folgen der Französischen Revolution gefragt hat, hat er gesagt: ,Es ist zu früh, das zu beurteilen'. Ich glaube, in der Kunst ist es dasselbe. Das Einzige, was notwendig ist und woran man nicht herumkommt, ist, dass man sich weiterentwickeln muss. Es ist eine lebendige Kunstform und eine zeitgenössische Kunstform, auch wenn wir ein Stück aus der Barockzeit zeigen.”
„Wenn man sagt ,wir wollen Mozart wie Mozart aufführen, wie zu Mozarts Zeiten', ist das nicht machbar, wir sind ja schließlich nicht in Mozarts Zeiten. Es ist also immer eine Umgestaltung oder eine Übertragung. Wie intelligent oder wie tiefgründig: das ist die Frage. Und das muss man bei jeder Produktion hinterfragen. Natürlich haben wir auch Misserfolge. Aber es muss sich bewegen. In so vielen Theatern haben wir heute noch das, was ich ,eine konzertante Aufführung mit Bühnenbild und Kostümen' nenne”.
Das Münchner Publikum sei schon sehr aufgeschlossen gewesen, als er zur Staatsoper kam, sagt Bachler, aber da 40 Prozent der Einnahmen des Hauses aus dem Kartenverkauf stammen, kann er es sich nicht leisten, sie durch ein allzu radikales Programm zu verlieren, und er behält seine Zuschauerzahlen ständig im Auge. Bisher gibt es kein Problem: „Das Schönste ist, dass wir nicht versuchen, ein populistisches oder populäres Programm zu gestalten. Wir beschäftigen uns nur mit dem, was wir künstlerisch interessant und tiefgründig finden. Und wir sind fast jeden Tag ausverkauft.”
Ich erwähne, dass es an der Staatsoper zwar viele radikale Neuinszenierungen gibt, aber keine neu komponierten Opern. „Wir versuchen, eine pro Jahr zu machen. Das Problem – und das sehe ich an den großen Häusern, Paris, London, Wien – ist, dass die Komponisten von heute nicht unbedingt für dieses große Format schreiben, das wir brauchen. Es gibt so viele interessante Komponisten für Kammeropern und für kleinere Konzerte.“ In München fehlt eine kleinere zweite Bühne, die für diese Werke geeignet wäre, und Bachler verspürt keine besondere Lust, eine solche zu schaffen: „Ich bin gegen das ,Jeder muss alles machen'. Natürlich geben wir eine neue Oper wie South Pole in Auftrag, aber das ist nicht die alltägliche Situation.”
Seine erste Oper sah Bachler mit sechs Jahren, als ihn seine Mutter, eine Geigerin, zum Parsifal mitnahm („können Sie sich das vorstellen?”) – sie habe das offenbar für eine geeignete Geschichte für Kinder gehalten, meint er augenzwinkernd. Da er aber immer noch im Operngeschäft ist, ist klar, dass keine Langzeitschäden entstanden sind. „Ich bin in Österreich in einem Haus voller Musik aufgewachsen. Ich glaube, meine Mutter war sehr enttäuscht, dass ich Schauspieler und nicht Musiker geworden bin.”
1987 wurde er Intendant des Berliner Schillertheaters und blieb seither im Management tätig. 1996 folgte die Intendanz der Wiener Volksoper, aber er hat nie persönlich eine Oper inszeniert, weil er der festen Überzeugung ist, dass man bei seinem eigenen Beruf bleiben sollte. „Theatermanager zu sein, ist ein Beruf. Ich bin nicht sonderlich überzeugt von Sängern, die ein Theater leiten, oder von Dirigenten, die Regie führen. Die Regisseure, die mich am meisten interessieren, sind Künstler mit einer starken Vision.”
Und wie wählt er diese Regisseure aus? „Das ist eine schwierige Frage, weil sie aus dem Bauch heraus kommt. Ich persönlich komme von der Bühne, und als Schauspieler hat man eine Intuition.” Aber er macht zwei klare Aussagen: Er versucht, darauf zu achten, dass er Regisseure unterschiedlichster Nationalitäten auswählt (er erwähnt Russland, Polen, Neuseeland, Australien) und er versucht, auf Kontinuität zu achten, damit sich seine Beziehungen zu den Künstlern über die Zeit entwickeln können.
Bachler wird die Bayerische Staatsoper am Ende dieser Spielzeit verlassen und an Serge Dorny von der Opéra de Lyon übergeben. Hat er eine Erwartungshaltung, was für ein Intendant Dorny sein wird? „Er steht für Musiktheater und darum geht es an diesem Haus. Man geht jetzt nicht dahin zurück, Konzerte in alten Kostümen zu geben; das wäre schade für die Stadt und für das Haus. Alles andere kann ich nicht sagen. Er kommt von einer kleinen Jacht und lenkt jetzt den großen Tanker – hoffentlich nicht die Titanic! Man führt hier jedes Jahr 40-45 Opern auf und muss ausreichend Geld an der Abendkasse einnehmen. Man ist also zum Erfolg verdammt.”
Ursprünglich hatte sich Bachler gegen einen weiteren Job an einem großen Haus entschieden, ließ sich dann aber doch in seine Heimat Österreich und an die Spitze der Salzburger Osterfestspiele zurücklocken. Es ist die Aussicht, etwas aufzurütteln, die ihn reizt: „Es scheint, als ob sie immer noch in der Ära Karajan sind. Ich habe angefangen, darüber nachzudenken, wie wir dort in den nächsten Jahren eine Neugestaltung vornehmen könnten.” Es wird eine knifflige Übergangsphase von Christian Thielemann geben (der bis 2023 Intendant bleibt), und COVID-19 hat die Planungen für die diesjährigen Festspiele durcheinander gebracht, aber Bachler bleibt hartnäckig optimistisch: „Ich bevorzuge schwierige Situationen, denn es sind ja gerade die, die einen in diesem Leben lebendig machen. Solange wir gleichermaßen im Leben und auf der Bühne spielen, glaube ich, dass wir am Leben sind.”
Dmitri Tcherniakovs Neuinszenierung von Der Freischütz hat am 13. Februar Premiere gefeiert. Sehen Sie sich hier den Stream an.
Ins Deutsche übersetzt von Elisabeth Schwarz.