Der österreichische Multi-Perkussionist Martin Grubinger spielt alles von Kammermusik und zeitgenössischer klassischer Musik bis hin zu Salsa und Rock. Er stand mit Orchestern auf der ganzen Welt auf der Bühne – den Berliner Philharmonikern, BBC Philharmonic, New York Philharmonic, um nur ein paar zu nennen – aber er war auch die Pauseneinlage beim Finale des Eurovision Song Contests. Komponisten wie HK Gruber, Olga Neuwirth und Peter Eötvös haben Konzerte für ihn und sein Ensemble, das er zusammen mit seinem Schlagzeuger-Vater gegründet hat, geschrieben. Außerdem ist er Professor für Schlaginstrumente und leitet ein Musikmagazin im deutschen Fernsehen.
Seine ansteckende positive Energie ist sofort spürbar als wir uns am Telefon unterhalten, sein freundliches und peppiges Wesen erhellt einen ziemlich grauen Nachmittag in London.
Ein schneller Blick auf YouTube zeigt, dass Grubinger mit allem Musik machen kann, von einem Glockenspiel bis zum Gartenzaun, aber mit einer persönlichen Sammlung von hunderten Instrumenten – alle werden zuhause wie Familienmitglieder behandelt – ist es schwer, Favoriten auszumachen. „Es hängt davon ab, welches Stück ich für mein nächstes Konzert vorbereite, oder manchmal an meiner Stimmung. Ich wache vielleicht in der Früh auf und will die kleine Trommel spielen, die Marimba oder das Vibraphon, aber am Ende ist es die Vielfalt der Möglichkeiten [die ich mag], nicht nur die Vielfalt der Instrumente, sondern die Vielfalt der Stile. Meine größte Aufmerksamkeit liegt auf zeitgenössischer Klassik, aber auch auf afrikanischem Trommeln, afro-kubanische Musik, Taiko-Trommeln, Salsa, Samba, Tango, Funk, Rock, Pop, Jazz, Fusion… es gibt so viele, und das Schlagzeug spielt immer eine zentrale Rolle. Ich liebe es, zu improvisieren, neue Instrumente zu entwickeln… Beim Schlagzeug gibt es immer neue Ziele zu erreichen.”
Ein Beispiel seiner Vielfältigkeit kann man in der Partitur sehen, was Grubinger oft als „das perfekte Stück” beschreibt. „Pléïades von Iannis Xenakis ist eine Schlagzeug-Symphonie”, erklärt er. „Es dauert 60 Minuten, hat vier Sätze, und im zweiten schreibt er ein sogenanntes Sixxen vor.” Der Komponist erklärt, was es ist, welche Materialien verwendet werden sollen, aber die Anleitung lässt absichtlich Raum für Interpretationen.
„Es war so faszinierend für uns, es zu entwickeln”, sagt Grubinger. „Xenakis beschenkt die Solisten mit der Möglichkeit, ihr eigenes Instrument herzustellen. Wenn man also verschiedene Videos des Stückes ansieht, merkt man, dass jeder ein unterschiedliches Instrument verwendet. Das ist nur ein Beispiel, aber es gibt so viele Möglichkeiten, und das macht das Schlagzeug so besonders.”
Wie auch bei Sportlern, fordert das Fitnesslevel eines Schlagzeugers strenges Training, aufgrund der oft anstrengenden Natur der Vorstellung. „Während eines Konzerts in Frankfurt, vor zwei Wochen, haben wir einen Test gemacht, um zu sehen, was die physischen Belastungen eines Schlagzeugers auf der Bühne sind. Wir waren ziemlich überrascht, weil die maximale Herzfrequenz bei 198 lag, die durchschnittliche Herzfrequenz war 165, und diese Statistiken kann man mit denen von Fußballspielern vergleichen. Wenn ich zuhause bin, versuche ich jeden Tag zu trainieren. Wir haben momentan jedemenge Schnee in Österreich, also gehe ich oft Skifahren.”
Zumindest ist Grubinger bei seinen musikalischen Marathons nicht alleine. Mit dem Ensemble Percussive Planet spielt er neben seinem Vater, seinen Freunden und Studenten.
„Wir hatten die Idee für das Ensemble vor 15 Jahren, mein Vater und ich saßen gerade im Auto in die Schweiz. Wir dachten, dass es cool wäre, wenn wir ein Ensemble gründen, das dem Publikum die Vielfältigkeit der Schlagzeugwelt zeigt, nicht nur die Instrumente, sondern auch die Spieler und natürlich das Repertoire. Wir haben Schlagzeuger aus der ganzen Welt eingeladen, aus Venezuela, Burkina Faso, Brasilien, Chile, Marokko, Türkei, um unterschiedliche Projekte mit uns zu starten. Wir wollten zeitgenössische Musik spielen, aber wir haben alles in unser Programm aufgenommen, von dem wir dachten, dass es Spaß macht, sogar mit Blechbläsern, um Big Band-Stücke aufzuführen. Es macht wirklich Spaß, mit diesem Ensemble zu spielen, weil wir mit vielen seit über zwei Jahrzehnten befreundet sind und dieselbe Faszination für Musik teilen. Wir haben neue Programme zusammengestellt, die Musik von Bach, John Williams, Strawinsky, aber auch Rock, Funk und Pop verbinden, um dem Publikum zu zeigen, dass Musik keine Grenzen hat, und dass besonders das Schlagzeug ein globales Instrument ist, das von so vielen Traditionen und Kulturen beeinflusst wird.”
Eine Solistin, die mit dem Percussive Planet auftritt, ist die gefeierte Pianistin Yuja Wang. „Ich habe Yuja 2012 beim Beethovenfest in Bonn getroffen. Sie ist nach dem Konzert hinter die Bühne gekommen und hat gesagt: „Martin, wir müssen zusammenarbeiten. Das würde soviel Spaß machen.” Also haben wir verschiedene Arrangements für diese Kombination erstellt, für Klavier und Schlagzeug. Der Vater von Yuja ist Schlagzeuger, also interessiert sie sich wirklich dafür. Es ist toll, mit ihr auf der Bühne zu stehen, weil sie selbst fast wie ein Schlagzeuger spielt, und das macht die Sache wesentlich einfacher für uns. Sie ist ein großartiger Mensch, so kreativ, und so lustig in den Proben. Ich freue mich schon auf unsere nächsten Konzerte.”
Als Eröffnungskonzert der Spielzeit 2018/19 im Wiener Konzerthaus präsentierte Grubinger – ein Preisträger des Bernstein Awards des Schleswig-Holstein Musik Festivals – ein Multi-Percussion Programm mit dem Titel The Bernstein Experience, das einen 25-minütigen Teil beinhaltet, das die Beteiligung des gesamten 2,500-köpfigen Publikums fordert. „Wir wissen alle, dass Bernstein ein fantastischer Dirigent und Komponist war, aber er war auch ein fantastischer Pädagoge. Wenn man sich die Videos anschaut, in denen er gemeinsam mit den New York Philharmonic Kindern Musik erklärt, sieht man seine Leidenschaft dafür, und wie fasziniert das Publikum von ihm ist. Es ist großartig. Er war auch ein fantastischer Mensch, mit dem großen Wunsch, eine bessere Gesellschaft zu gestalten. Er hat immer gesagt: „Ich bin liberal und ich bin stolz darauf” und besonders in Zeiten wie diesen, mit so vielen rechten Parteien, die an die Macht kommen, ist es so wichtig, zu jemandem wie Bernstein aufzublicken, der wirklich daran geglaubt hat, dass er als Mensch und durch seine Musik etwas bewirken kann. Ich bin mir ziemlich dass er ein Schlagzeug-Konzert schreiben würde, wäre er heute noch am Leben.”
Ein Teil seines vollen Terminplanes ist das Musikmagazin Klick Klack, das Grubinger gemeinsam mit Sol Gabetta im deutschen Fernsehen leitet. „Ich liebe es”, strahlt Grubinger. „Es gibt uns die Möglichkeit, verschiedene Musikstile zu präsentieren sowie kulturelle Traditionen und viele junge Künstler. Ich treffe Musiker, Komponisten und Dirigenten, die mich inspirieren und motivieren. Nach zehn Jahren haben wir viele Unterstützer, viele davon sehen das Programm online auf der ganzen Welt. Egal wohin ich komme, Leute fragen mich danach. Glücklicherweise folgt uns die Crew überall mit hin, diesen Monat sind wir zum Beispiel in Göteborg und wir werden die Show dort aufnehmen.”
Grubingers Konzert mit den Göteborger Symphonikern, dirigiert von Santtu-Matias Rouvali, können Sie am 15. Februar LIVE auf Bachtrack ansehen.
„Wir werden Siedi, das Schlagzeug-Konzert des finnischen Komponisten Kalevi Aho, spielen. Es ist eines meiner Lieblingsstücke. Erst vor ein paar Tagen hat mir Kalevi gesagt, dass es das zweitbeliebteste Konzert eines finnischen Komponisten ist, hinter Sibelius’ Violinkonzert, was großartig ist. Es ist ein fantastisches Stück, mit einigen netten Instrumenten: die Djembe aus Afrika, die Darbuka aus den arabischen Ländern, ein Schlagzeug aus der nordamerikanischen und europäischen Tradition, die Marimba aus Mittelamerika, das Vibraphon, das eine lange Tradition in Nordamerika hat, Holzblöcke und Tomtoms aus Asien. Es ist eine Reise, von der linken Seite der Bühne auf die rechte und zurück. Das Stück ist eine gute Kombination aus zeitgenössischer Musik mit starken Emotionen und das ist es, was ich an diesem Stück so mag.”
Grubinger ist Professor für Schlaginstrumente an der Zürcher Hochschule der Künste und an der Universität Mozarteum in Salzburg.
„Wir haben das Pre-College-System in Österreich, das es jungen Leuten im Alter von 12 bis 18 Jahren erlaubt, Unterricht an unserer Universität zu nehmen. Es ist faszinierend, wie schnell sie sind, und es macht Spaß, mit jungen Leuten zu arbeiten, zu sehen, wie schnell sie Fortschritte machen. Auf der anderen Seite haben wir nur zwei Mädchen in unserer Schlagzeugklasse, und mein größter Wunsch für die nächsten 10 bis 20 Jahre ist es, mehr Frauen zu sehen, die Schlagzeug spielen und studieren. Es ist noch immer ein „Bubeninstrument”. Selbst in meinem eigenen Ensemble haben wir manchmal 35 Musiker auf der Bühne und es sind maximal ein, zwei Frauen, was etwas traurig ist. Es sollten mehr sein.”
Und obwohl er sichtlich Freude an seinem Job hat, ist harte Arbeit die Grundlage von Grubingers Erfolg.
„Mein Ratschlag an aufstrebende Schlagzeuger ist, kreativ zu sein, versuche motiviert zu sein und arbeite hart, denn um ehrlich zu sein – und das sage ich meinen Studenten – natürlich liegt es manchmal am Talent, aber das Wichtigste ist Disziplin. Es macht nicht immer Spaß, um zwei Uhr morgens im Probenraum zu stehen und eine weitere Stunde zu üben, aber es macht einen Unterschied. Sei offen, reise, höre andere Musikstile und andere Musiker, versuche mit zeitgenössischen Komponisten in Kontakt zu treten, aber zur selben Zeit sei fokussiert, und – das ist, was ich wirklich von meinem Vater gelernt habe – versuche, die Musik zu lieben und genieße was du machst.”
„Ich habe noch nie in Afrika gespielt, was wirklich traurig ist, weil ich diesen Kontinent so wichtig für Schlagzeuger finde. Ich habe Afrika bereist, um mehr über die Musiktradition zu erfahren, um neue Schlagzeuger und neue Schlaginstrumente zu entdecken, aber ich bin dort noch nie als Musiker aufgetreten, das ist ein Traum für die Zukunft.”
Finden Sie hier Martin Grubingers zukünftige Konzerte.
Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.