Sich einen Platz in der Welt der großen internationalen Musikfestivals zu erkämpfen, ist kein leichtes Unterfangen. Für das Riga Jurmala Music Festival war es eine Achterbahnfahrt: Das erste Festival im Jahr 2019 war ein herausragender Erfolg, gefolgt von der bitteren Enttäuschung über die Absage im Jahr 2020. In einer Zeit, in der die meisten Veranstalter klassischer Musik ängstlich um sich blicken, schreitet Riga Jurmala voran: Am 1. Oktober gab das Festival sein Programm für den Sommer 2021 bekannt, und der Kartenverkauf ist in vollem Gange.
Für die Eröffnung 2019, erklärt der künstlerische Leiter Martin T:son Engstroem, wollte Riga Jurmala seine Präsenz spürbar machen, „um sofort auf der Landkarte zu erscheinen. Man könnte bescheiden beginnen und in den folgenden Jahren darauf aufbauen. Oder man tut, was wir getan haben, und investiert vom ersten Moment an viel”. Mit 20 Jahren Erfahrung an der Spitze des von ihm gegründeten Verbier Festivals weiß Engstroem, was es braucht, um sich einen Namen zu machen; mit einer ersten Besetzung im Jahr 2019 mit dem Russischen Nationalorchester, dem Israel Philharmonic, dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks und dem London Symphony Orchestra hätte ihm niemand vorwerfen können, zu wenig zu investieren.
Das Ziel war von Anfang an, internationale Spitzentalente auf die Letten aufmerksam zu machen – und Lettland den internationalen Musikern nahe zu bringen. Viele der Spitzenkünstler des Landes, die eine internationale Karriere verfolgen, verbringen ihre Sommer zu Hause bei ihren Familien, so dass „die Letten ziemlich verwöhnt werden”, erklärt Festival CEO Zane Čulkstēna, „und im Sommer finden in jeder Ecke des Landes wunderbare kleinere Festivals statt. Was uns viele Jahre lang besonders gefehlt hat, sind internationale Künstler, die nach Lettland kommen". Das erste Festival, das an vier Sommerwochenenden stattfand, zog mehr als 15.000 Besucher an, von denen 80% aus der Region stammten. Čulkstēna hält dies für eine bemerkenswerte Leistung, insbesondere angesichts der begrenzten Zeit, die Engstroem und dem stellvertretenden Direktor Miguel Esteban zur Verfügung stand, um das Programm zusammenzustellen und zu bewerben.
Die größten Orchesterkonzerte finden in der Dzintari Concert Hall statt, einer Halb-Open-Air-Bühne in Jurmala, an der Ostseeküste, eine halbe Autostunde von der Hauptstadt entfernt. Engstroems Verbundenheit mit Jurmala reicht weit zurück: 1978 verbrachte er dort seine Flitterwochen. „Ich lernte Jurmala als eine historische Residenz für das russische Musikleben kennen. Damals gab es in Moskau eine Staatsagentur namens Gosconcert, die alle Aufenthaltsorte der Künstler in der Sowjetunion verwaltete. Russische Künstler galten für die Sowjetunion mehr oder weniger als Soldaten, und Gosconcert hatte Wohnungen in Jurmala, in diesem Badeort, für die man sich anmelden konnte. Wenn man Oistrakh oder Richter oder was auch immer war, konnte man eine Wohnung nehmen, und so gab es eine große Gemeinschaft von phänomenalen Künstlern, die jeden Sommer nach Jurmala kamen und dort auch auftraten. Es war sehr sentimental für mich, an diesen Ort zurückzukehren.” Riga mit seinem schönen Opernhaus sei eine fantastische Stadt, sagt er, aber es ist Jurmala, das einen Platz im Herzen Engstroems einnimmt.
Die Dzintari ist ein sehr ungewöhnlicher Veranstaltungsort: ein Saal, der ein Dach hat, aber keine Wände. Auf der einen Seite ist man 200 Meter vom Meer entfernt und auf der anderen sogar noch näher am Wald. Wenn eine Brise weht, können die Musiker das Meer hören, während sie spielen. „Das ist wahrscheinlich das beste Gefühl für ein Sommerfestival, und es ist wichtig, dass Sommerfestivals im Allgemeinen für das Publikum eine andere Erfahrung sind als ein Konzertbesuch im Herbst.”
Hat das Auswirkungen auf die Wahl des Repertoires? „Nun, man muss sich ein bisschen von Schönberg oder Webern oder von Musik, die empfindlich auf Außengeräusche reagiert, fernhalten. Man kann dort alles spielen, aber wenn man sich auf Musik einlässt, die zu leise ist, könnte man von Vögeln oder vom Wind oder von der Natur gestört werden.”
Wenn die künstlerischen Inhalte des Festivals von Engstroems Musikalität, Erfahrung und Beziehungen bestimmt werden, so wird die Organisation des Festivals von der grenzenlosen Energie und dem Optimismus von Čulkstēna angetrieben – was diesen Sommer auf eine harte Probe gestellt wurde. „Wir haben ab dem 31. März einen Monat lang an vier Szenarien gearbeitet und die Möglichkeiten diskutiert, das Festival in einem kleineren Rahmen oder zu einem späteren Zeitpunkt zu veranstalten. Aber nach einem Monat wurde allen klar, dass es nicht möglich sein würde. Anstatt die Absage sofort bekannt zu geben, nahm sich Čulkstēna einen weiteren Monat Zeit, um die schlechte Nachricht mit der Ankündigung zu verbinden, dass das Festival 2021 stattfinden würde. Um das Festival in der Erinnerung der Menschen frisch zu halten, organisierten sie auf einigen öffentlichen Plätzen Rigas Freiluftveranstaltungen mit aufgezeichneten Aufführungen. Diese erwiesen sich als so beliebt, dass Čulkstēna sich unter Druck gesetzt fühlt, sie auch dann fortzusetzen, wenn sich der Live-Teil des Festivals wieder normalisiert, nicht zuletzt deshalb, weil sie das Festival Menschen außerhalb des regulären Publikums, insbesondere Familien mit kleinen Kindern, näher brachten.
Während Engstroem das Verbier Festival in diesen Sommer stark auf den digitalen Weg gebracht hat, ist Riga Jurmala ein zu junges Festival, um den Backkatalog zu haben, um einen ähnlichen Zugang zu ermöglichen. Aber die Einführung von Live-Meisterklassen war ein großer Erfolg und zog über 150.000 Menschen an (wir werden im Laufe dieses Monats ein Interview mit dem Direktor der Festivalakademie, Toms Ostrovskis, veröffentlichen). Außerdem hat Engstroem für nächstes Jahr eine digitale Initiative in Form einer filmischen Hommage an den im Dezember verstorbenen Mariss Jansons gestartet: Die Idee besteht darin, seine vier Hauptorchester (BRSO, Oslo, Concertgebouw, Pittsburgh) zusammenzubringen und jeweils einen Satz einer Symphonie aufführen zu lassen.
Das Festival 2021 ist trotz der unvermeidlichen Unsicherheiten bereits in den Verkauf gegangen. „Wir wussten, dass die zweite Welle kommen würde”, sagt Čulkstēna, „aber wir wollten den Menschen etwas geben, auf das sie sich freuen können, wir wollten ihnen etwas Optimismus vermitteln.” Die bisherige Erfahrung ist, dass das Publikum begeistert war, ein wenig Licht am Ende des Tunnels zu sehen, denn der Vorverkauf der Eintrittskarten ist extrem gut verlaufen, um 35% höher als in den Vorjahren; das kam angesichts des pandemiebedingten Kaufkraftverlusts überraschend. Es hat geholfen, dass der Verkauf jetzt vollständig online ist und dass die Zuschauer wissen, dass sie sofort die komplette Rückerstattung erhalten, wenn das Festival abgesagt wird („es ist nicht wie bei Flugtickets, wo man ein halbes Jahr mit Diskussionen verbringen kann”).
Engstroem hofft sehr, dass sich das Festival zu einem wichtigen Instrument entwickeln wird, um ein internationales Publikum nach Lettland zu locken; vorerst hält er das Land für einen Geheimtipp. „Mit airBaltic gibt es nun wirklich keine Ausreden mehr, nicht hinzugehen. Wir hoffen also, dass mit den Jahren der internationale Teil des Publikums wächst und dass die Menschen Lettland als ein sehr interessantes, historisch faszinierendes und zugleich sehr modernes Land mit vielen fantastischen Restaurants wahrnehmen werden. Einfach eine lustige Stadt mit vielen lustigen Menschen.”
Diese Interview wurde vom Riga Tourism Development Bureau gesponsert.
Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.