Das Festival für Alte Musik in Utrecht, vielleicht das größte seiner Art, hat erst vor Kurzem seine neue Videoplattform gestartet: EMTV wird über 200 im Rahmen des Festivals aufgezeichnete Konzerte, Dokumentationen und Vorlesungen anbieten, angetrieben von einem aktiven Livestream-Kalender neuer Konzerte, sowohl des Festivals als auch saisonaler Konzertreisen. Das Festival bietet seit 2018 Onlineinhalte an, doch von jetzt an werden dem dank des neuen digitalen Raumes monatlich drei neue Titel hinzugefügt. Ab 2023 plant EMTV zusätzliche Konzerte von Partnerorganisationen mit dem Ziel, in fünf Jahren über 700 Titel auf Abruf verfügbar zu haben. 

Dreharbeiten beim Festival
© Utrecht Early Music Festival

Ich spreche mit Juliette Dufornee, EMTVs stellvertretender Direktorin, die zugibt, dass der Name „eine Anspielung auf das Musikfernsehen [ist]. Das Gute daran“, erklärt sie, „ist, dass das für viele Menschen mit Nostalgie zu tun hat. Und für diejenigen, die nicht wirklich wissen, wovon ich rede, ist dennoch ersichtlich, was sie bei uns bekommen. EMTV ist eine eigene Marke.“

Mit einem Abschluss in Journalismus und Musikwissenschaft bewaffnet arbeitete Dufornee bei MonteVerdi Media und BravaHDTV, Vorläufer von EMTV, bevor sie vor 10 Jahren zum Festival kam. Zu diesen Pionierunternehmen sagt sie: „Es war viel zu früh. Damals gab es noch kein iPhone, oder Netflix, oder Apps. Aber der Gedanke war der gleiche, nämlich eine Medienplattform zu schaffen, um für jeden Aspekt der klassischen Musik zu werben und großen Absatzmarkt für Klassik zu schaffen. Ich habe es genossen, daran zu arbeiten, und dabei auch viel gelernt.“

Im EMTV-Katalog kann man Inhalte nach Epoche – Mittelalter, Renaissance und Barock – sowie nach Gattung suchen. Die Künstler stammen aus den Festivalreihen, zählen also zu den besten der Welt, einschließlich Richard Egarr, Lucie Horsch, Bob van Asperen, Skip Sempé und sogar die Harmonious Society of Tickle-Fiddle Gentlemen, um nur einige wenige zu nennen. Der Katalog beinhaltet außerdem 10 Konzerte der renommierten Internationalen Van Wassenaer-Wettbewerbe für junge Alte Musik-Ensembles.

„Ein EMTV-Abonnement verspricht Zugang zum Besten, was die Alte Musik zu bieten hat“, schrieb das Europäische Netzwerk für Alte Musik. Während des diesjährigen Festivals, das vom 26. August bis zum 4. September unter dem Motto Galanterie stattfindet, wird das Produktionsteam täglich fünf Livestreams und dann zwischen September und Juni 15 weitere, neue Videotitel von Tourkonzerten aufnehmen.

Zwar waren die Künstler für das diesjährige Festival zum Zeitpunkt unseres Gesprächs noch nicht offiziell bekanntgegeben, doch das Motto der Galanterie, mit seinem besonderen Augenmerk auf Bach und seine Söhne, schließt die Feier des 100. Jubiläums der Niederländischen Bachgesellschaft und deren Diskussion zum Thema „gallant (wo)man“ von mittelalterlicher Minne hin zur Renaissance mit ein. 

„Wir versuchen, Jordi Savall zu gewinnen“, verrät Dufornee. „Er war in vergangenen Jahren bereits Gast beim Festival, und ich hoffe, er wird an den Livestreams teilnehmen. Die Bachgesellschaft wird Artist-in-Residence sein und zwei oder drei Konzerte live übertragen. Ich bin fast sicher, dass wir das Orchestra of the 18th Century für die Abschlusskonzerte haben, und relativ sicher, dass wir auch sie live streamen werden. Und viele, viele weitere...“

Dreharbeiten beim Festival
© Utrecht Early Music Festival

Obwohl man denken könnte, ein Festival Alter Musik richtet sich primär an Kenner, sieht Juliette Dufornee das völlig anders. „Das Gute am Festival ist, dass wir ganz unbekanntes Repertoire präsentieren, da macht es kaum einen Unterschied, wieviel – oder wie wenig – man über Alte Musik weiß, weil das meiste davon wirklich neue Alte Musik ist. Jedem, der ihr sein Herz öffnet, wird sie gefallen.

Als Dufornee beim Festival anfing, wurden kaum Videos von Alter Musik aufgenommen, erinnert sie sich. „Es gab Mahler und Beethoven aus allen möglichen Blickwinkeln, doch wenn man nur nach Renaissancemusik suchte, gab es nicht wirklich etwas. Und dann dachte ich: Wir haben ein Festival. Wir haben die besten Interpreten im Bereich Alte Musik. Her mit der Kamera und los!”

Und das haben sie getan, Anfang 2018. „Das Festival bot den idealen Rahmen, das aufzubauen“, erklärt Dufornee. „Es gab so viele gute Konzerte, da konnten wir schnell eine Menge Inhalt sammeln, dadurch hatten wir einen guten Start beim Vertrieb.“ Doch als das Team pandemiebedingt gezwungen war, sowohl das Festival als auch die Konzertreisen abzusagen, war das doch eine Herausforderung. „Wir wollten Kontakt zu unserem Publikum aufbauen und ihm eine Art Trost in dieser schwierigen Zeit spenden“, erzählt sie mir. Mithilfe finanzieller Unterstützung der Regierung bot das Festival die bereits aufgenommenen Konzerte kostenfrei im Stream.

„Ich war überrascht, wie gut und weitläufig das Angebot angenommen wurde. Wir haben nicht besonders viel Marketing betrieben”, sagt sie, „doch ehe wir uns versahen, schauten Leute aus Indien, Argentinien und dem Rest der Welt zu. Wir hatten ein internationales Publikum für das Live-Festival, doch nicht so international wie bei den Online-Streams. Wir dachten, dass wir – soweit ich weiß – die einzige Organisation sind, die Livestreams in diesem Umfang anbot, und als wir die Reichweite des internationalen Zuspruchs sahen, wurde uns schnell klar: wir waren möglicherweise auf musikalisches Gold gestoßen.”

Und tatsächlich: Dufornees Augenmerk liegt zwar eindeutig darauf, die Plattform auf die Beine zu stellen und durch das diesjährige Festival zu kommen, doch sie plant auch, dieses Gold der Alten Musik zu schürfen. „Wir haben einen Softwareentwickler, der in Kontakt mit Ensembles, Plattenfirmen und anderen Interessierten an originalen oder koproduzierten Inhalten steht, einschließlich Programmieren für Kinder. Wir wollen den Katalog wirklich öffnen und Produktionen hinzufügen, die wir selbst nicht anbieten, beispielsweise Operninszenierungen. Jetzt, da wir die Plattform haben”, fährt Dufornee fort, „haben wir eine Streamingbühne für all unsere Künstler – und auch für andere Festivals. Mit vereinten Kräften kann EMTV ein großer Erfolg werden.“

Und EMTV hat bereits ein internationales Publikum. An erster Stelle stehen die Niederlande, was zu erwarten war“, verrät sie. „Aber an zweiter Stelle stehen die Vereinigten Staaten, gefolgt von Singapur und Japan. Das war sehr überraschend! Wir dachten, unser Schlüsselmarkt würden Länder wie Belgien, Deutschland und vielleicht das Vereinigte Königreich sein.“ Nach der anfänglichen Überraschung erkannte Dufornee, dass EMTV eine andere Art Publikum ansprach, wie sie mir sagt, und nicht nur „das Publikum, das man im Konzertsaal hat“. Man befürchtete zunächst, dass die Leute nicht mehr zum Festival kommen würden, wenn es auf EMTV zu viele Livestreams von Konzerten gäbe. „Aber dem war nicht so. Es sind wirklich zwei verschiedene Arten Publikum.“

Doch als ich sie frage, ob das bedeutet, dass die live gestreamten Konzerte über EMTV ein separates Produkt sind, lacht sie. „Solange Sie die Musik genießen, die wir präsentieren, dann ist es doch egal, in welchem Format. Als ich jung war, bin ich nicht sehr oft ins Konzert gegangen, eigentlich fast nie“, erinnert sie sich. „Ich habe aber viel CD und Vorstellungen übers Radio gehört. Und das hat meine Leidenschaft befeuert.“ Dufornee glaubt, dass Onlinemedien ein Weg sind, „Alte Musik beliebter zu machen“ und ist sich „völlig sicher“, dass auch die Besucherzahlen im Konzertsaal steigen werden, wenn man mehr jüngere Leute dazu animiert, Alte Musik zu hören.

Bevor wir uns verabschieden, erzählt mir Dufornee, dass man während des Festivals zu jedweder Zeit erwarten kann, „15 oder 20 Leute auf Fahrrädern durch Utrecht rasen zu sehen, die Ausrüstung zu Drehorten bringen. Sie sind wunderbar, flexibel, nett und machen das gern“, sagte sie. „Ohne sie wäre das alles nicht möglich.“


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Dieser Artikel entstand im Auftrag des Utrecht Early Music Festival.

Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.