Joost Honselaar ist Musikregisseur. Schon als Schüler wollte er auf die Filmakademie, er begann jedoch dem Wunsch seiner Mutter entsprechend nach dem Abitur ein Musikstudium. Nach seinem Bratschenstudium am Rotterdammer Konservatorium hat er in diversen (Rundfunk-)Orchestern gespielt, und auch ein halbes Jahr in einem Kammerorchester in Italien gearbeitet. Seinen Traum, Filmregisseur zu werden hat er aber nie ganz aufgegeben. Dank einer exquisiten Ausbildung an der Hilversummer Medienakademie konnte er schließlich seine Liebe zur Musik und zum Film miteinander verbinden. Heute ist er einer der interessantesten und gefragtesten Musikregisseure der Gegenwart und hat mit vielen der großen Orchestern, Solisten und Dirigenten zusammengearbeitet.

Joost Honselaar
© Joost Honselaar

Ich haben vor beinah 30 Jahren zusammen mit Joost Honselaar an einem Bratschenpult gesessen. Nun sprachen wir über Zoom.

Was ist für Dich wichtig in Deiner Arbeit als Musikregisseur?

Am Anfang meiner Vorbereitungen zur Aufnahme eines Musikstückes steht eine Idee. Mir geht es darum, die Musik in stimmige, der Komposition entsprechende Bilder umzusetzen. Dabei lasse ich mich in erster Linie durch die Partitur leiten. Ich analysiere die Musik, um zu verstehen, was dort passiert. Dann lasse ich mich durch den Konzertsaal, das Licht und die Gesichter der Musiker inspirieren. Es gibt Musiker, die mit ihrer Mimik zum Verständnis der Musik beitragen. Ich lasse aber nicht nur die Melodieinstrumente ins Bild kommen, sondern richte mich auch auf den Kontrapunkt. Welches Instrument gibt Antworten auf das erste Thema? Welche verschiedenen melodischen und rhythmischen Linien erklingen gleichzeitig? Ich möchte diese musikalischen Ebenen transparent machen, indem ich die Zuschauer mit den Augen von einem zum nächsten Klangereignis hinüberleite. Daraus entsteht ein persönliches Erzählen und meine Interpretation der Komposition.

Ich arbeite gern mit Verfremdungen. So habe ich für den Anfang von Strauss Alpensinfonie einen Bach aus Körperteilen montiert oder einen Sturm aus einer schnelle Abfolge von Close-ups zusammenmontiert. Genauso setze ich Schwarz-Weiß-Abschnitte ein oder filme Musiker als abstrakte Gruppen, die mir als Dekorum dienen.

Konzertiflm Denis Matsuev spiel Rachmaninow 3

Wie sieht Deine Vorbereitung für eine Aufnahme aus?

Ich mache nachdem ich die Partitur studiert habe ein Drehbuch für die Kameraleute. Darin habe ich die Kameraeinstellungen in sogenannten Shotlists minutiös beschrieben. Üblicherweise stehen mir maximal sechs bis sieben, in Ausnahmefällen neun Kameras zur Verfügung, von denen bis zu sechs auf Abstand bedient werden. Ein Kameramann bedient in der Regel zwei bis drei solcher Remote-Kameras aus dem Aufnahmeraum. Daneben gibt es dann auch einen oder mehrere Kameraleute auf der Bühne. Das Aufnahmeteam ist bei einigen Proben im Saal dabei, um den Ablauf zu proben. Das gibt mir die Möglichkeit das Drehbuch eventuell noch anzupassen. Heutzutage haben viele Auftraggeber leider immer weniger Budget und dadurch verringert sich die Anzahl der Kameras und Kameraleute.

Mariss Jansons dirigiert Mahlers Zweite Symphonie im Concertgebouw

Du machst auch Dokumentarfilme, u.a. mit Interviews großer Musiker und Künstler wie Bernard Haitink. Was ist Dir dabei wichtig?

Bei Interviews möchte ich die intime Gesprächsatmosphäre gut einfangen. Zu diesem Zweck lasse ich die Person der Interviewers teilweise sichtbar werden. Schon seit Jahren arbeite ich mit dem Musikjournalisten und Radio-Präsentator Hans Haffmans zusammen. Bei unseren gemeinsamen Interviews bediene ich dann die Kamera und oft auch die Audioapparatur, um das Gespräch so natürlich wie möglich einzufangen.

Ich habe in der Vergangenheit für den niederländischen Rundfunk mit verschiedene visuellen Mitteln experimentieren dürfen. So habe ich eine ganze Reihe von Gottesdiensten mit Lesung, Predigt und Orgelmeditation für das Fernsehpublikum umgesetzt. Es ging mir dabei vor allem darum, ein eigenes Format zu schaffen, in dem die Filmkunst das bloße Aufzeichnen ersetzt. Ähnliches habe ich bei der dramatischen Umsetzung der Musik Boulez' getan.

Für mein aktuelles Projekt einer filmischen Mahler-Biographie im Auftrag der Niederländischen Mahler-Gesellschaft wollte ich Gustav Mahler als Mensch in all seinen Facetten lebendig machen. Zu diesem Zweck habe ich 15 Perspektiven seiner Persönlichkeit gewählt: Mahler als Vater, als Sohn, als Opportunist und als Zweifler, usw. Dazu habe ich Fotomaterial und Zitate von Zeitgenossen gesammelt und eine Handlung entworfen. Mahler selbst wird von einem Schauspieler dargestellt. Mit den verschiedenen Kunstformen Schauspiel, Text, Bild, Soundscapes und Musik lasse ich den Menschen und Komponisten Mahler so umfassend möglich die Hintergründe seines Musikschaffens erklären.

It comes my way: Ein Film von Joost Honselaar und Hans Haffmans

Wie reagiert man auf Deine Musikfilme?

Das bisher schönste Kompliment über meine Arbeit bekam ich von der 17-jährigen Tochter eines Auftraggebers. Sie hatte sich meine DVD von Wagners Der fliegende Holländer vollständig angeschaut und war fasziniert von der spannenden Folge von Bühnenbildern und Close-ups der Sänger, die so miteinander verwoben waren, dass sie die Spannung über die gesamte Länge der Oper aufrecht hielten. Auch der Spiegel titelte in einer Rezension der DVD dieser Oper: „Endlich etwas Anderes als das Übliche!”

Welche Bedeutung hat für Dich das Filmen mit 360-Grad-Kameras und die damit entstehende Virtuelle Realität?

Ich habe mittlerweile mit einigen großen Dirigenten – Nelsons mit den Berliner Philharmonikern und Fischer mit dem London Symphony Orchestra – mit 360-Grad-Kameras („Virtual Reality”) experimentiert und wichtige klassische Werke aufgenommen. Der Zuschauer kann seinen Standpunkt selbst wählen und so an eigenem Leibe erfahren wie es ist, wenn man im Orchester vor den Trompeten oder mitten zwischen den Kontrabässen sitzt. Ich habe mir diese Technik zu eigen gemacht. Das Aufnehmen mit VR-Kameras ist aber eine andere „Grammatik”, mir fehlt dabei der persönliche Schaffensspielraum. Solche Aufnahmen kann im Prinzip jeder machen. Ich kenne wenig wirklich spannende VR-Konzertaufnahmen. Darum finde ich es für mich nicht interessant. Die Arbeiten meines Landsmannes Michel van der Aa dagegen sind eine Ausnahme, die finde ich bemerkenswert.

Michel van der Aa: Up-close

Was bedeuten die Corona-Beschränkungen für Deine Arbeit?

Ich habe gerade für die Philharmonie in Luxemburg wieder eine Reihe von Konzerten als Livestream aufgenommen. Diese Arbeit muss nun aber immer oft kostengünstiger geschehen, das heißt mit deutlich weniger Kameraleuten. Die Abstandsregeln gehen zu Lasten der Intimität auf der Leinwand.

Wie optimistisch schaust Du in die Zukunft?

In den Niederlanden gibt es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer weniger finanziellen Spielraum für Kunst und Kultur. Es verschieben sich durch den Generationenwechsel auch die Interessen weg vom Fernsehen. Als Freiberufler bin ich es gewohnt, flexibel mit den sich verändernden Rahmenbedingungen umzugehen. Es gibt jetzt eben Netflix und andere Anbieter im Internet. Da ich gleichzeitig mein eigener Kameramann und auch Soundman bin, produziere ich jetzt immer öfter Musikfilme für die Internetseiten von klassischen Radiosendern. Dabei werden dann zum Beispiel Dirigentenportraits (Reinbert de Leeuw, Edo de Waart) in Kurzfilmen angeboten. Diese Portraits können aber auch in ihrer ganzen Länge ausgestrahlt werden. Ich mache mir also um meine Zukunft keine Sorgen: mir macht die Beschäftigung mit Filmen und Musik immer noch großen Spaß!