Der Trompetenvirtuose Gábor Boldoczki ist ein äußerst vielseitiger Musiker: Sein Repertoire reicht vom Barock (Vivaldi) bis zu zeitgenössischen Kompositionen (Widmann). Als Solist konzertiert er an den großen Konzerthäusern Europas; Konzerttourneen führten ihn nach Südamerika, China und Japan. Er arrangiert für seine CD-Aufnahmen klassische Werke und spielt mindestens acht verschiedene Trompeten. Daneben vergibt er Kompositionsaufträge und berät gerne Komponisten über die technischen und klanglichen Möglichkeiten seines Instruments.

Gábor Boldoczki wurde der Titel des Doctor Liberalium Artium von der Franz-Liszt-Musikakademie Budapest verliehen, an der er als Professor im Fach Trompete lehrt. Des Weiteren wurde er mit dem Franz Liszt Ehrenpreis, der höchsten Auszeichnung des ungarischen Kultusministeriums im Fach Musik, und mit dem Ehrenpreis Musiker des Jahres der Ungarischen Akademie der Künste ausgezeichnet, erhielt zudem kürzlich den Béla Bartók-Ditta Pásztory Preis der Franz-Liszt-Musikakademie. Außerdem setzt er sich im Rahmen des Programmes Rhapsody in School als Musikvermittler an Schulen dafür ein, dass alle Kinder ausgezeichneten Musikunterricht bekommen.

Gábor Boldoczki
© Szilvia Csibi | Müpa Budapest

Für unser kurzfristig anberaumtes Interview erreiche ich ihn über Zoom in seinem Ferienhaus am Plattensee. „Es ist eine ganz große Ehre, Artist in Residence in der Saison 2022/23 bei Müpa zu sein“, sagt Boldoczki gleich zu Beginn. Umso mehr, da diese Anfrage ihn in der für alle Künstler schwierigen Covid-Zeit erreicht hat. „Es gab keine Konzerte und man hat trotzdem viel geübt“, sagt er und deshalb hat es ihn umso mehr gefreut, „eine solche Anfrage bekommen zu dürfen“. Der Fokus von dreien der vereinbarten vier Konzerte liegt auf zeitgenössischer Musik, mit dem Konzert am 24. Februar. ist jedoch auch ein reines Barockprogramm vertreten.

„Das erste Konzert ist verbunden mit der Komponistin Judit Varga, die Composer of the Season bei Müpa ist. Sie hat gerade ein Concerto grosso für mich geschrieben, Bending Space and Time. Das Konzert ist am 6. Oktober, also in zwei Monaten, und ich habe die Noten vor zwei Tagen bekommen“, sagt er mit einem fröhlichen „ja, so geht das“-Lachen. „Judit hatte mich gefragt, ob ich gerne auch improvisiere. Ich habe geantwortet: ‚Ich bin offen für neue Sachen, aber für mich ist es besser, wenn es notiert ist‘. Aber wenn sie es wirklich spontan haben möchte, dann mache ich das auch so. Ich habe jetzt aber in den Noten gesehen, dass alles ausgeschrieben ist. Sie ist sehr präzise in den Tempoangaben, sodass ich das Stück in der kurzen Zeit gut vorbereiten kann, und dann werden wir schauen“, sagt er.

„Ich finde es eine wichtige Verantwortung für mich, um Komponisten zu motivieren, für die Trompete neue Werke zu schreiben. Es war darum auch mein erster Wunsch, im Rahmen meiner Müpa- Residence eine Auftragskomposition geben zu dürfen. Dafür haben wir Fazıl Say gefragt, der für mich schon ein Konzert geschrieben hat. Und da ich immer wieder sehr gern mit Sergei Nakarjakow zusammenspiele und es eigentlich kein Konzert für zwei Trompeten und großes Symphonieorchester gibt, haben wir Fazıl gefragt, was er darüber denkt. Er war sehr, sehr motiviert, und nun wird die Uraufführung in meinem vierten Konzert im Frühling sein. Es ist eine fantastische Sache, dass ein neues Werk kommt, und wir sind alle sehr gespannt. Ich schätze Fazıl als Komponisten und auch als Pianisten. Wir haben öfter das Erste Klavierkonzert von Schostakowitsch zusammen gespielt und ich bin gespannt, wie er sich als Komponist in den letzten 12 Jahren verändert hat.“

Gábor Boldoczki
© Szilvia Csibi | Müpa Budapest

Befragt zu seinen Instrumenten erzählt Boldoczki, dass er schon seit 22 Jahren eine freundschaftliche Verbindung zu seiner Instrumentenfirma pflegt, dessen ehemaliger Besitzer Gerhard Meinl nun schon in der siebten Familiengeneration Instrumente baut. Boldoczki liebt die Piccolotrompete wegen ihres strahlenden Klangs, ist aber auch zunehmend fasziniert vom weichen Timbre des Flügelhorns. „Mein Flügelhorn hat ebenfalls vier Ventile. Das vierte Ventil ist dafür da, dass man tiefer spielen kann. Man bekommt eine Quarte nach unten dazu. Ich habe mir diese Anpassung erbeten, um mehr Möglichkeiten beim Spielen von Cellomusik zu haben. „Ich finde es immer sehr faszinierend, wenn man auf einem Blechblasinstrument Belcanto spielen kann. Viele Komponisten kennen die traditionelle Trompete als ein Fanfareninstrument, vor allem mit ihrem Glanz und der Lautstärke. Das Flügelhorn hat eine ganz eigene Farbe. Wir kennen das Instrument vom Jazz, aber es wird nun auch im klassischen Bereich immer öfter eingesetzt. Als ich einmal nach einem Konzert eine zweite Zugabe auf dem Flügelhorn spielte, reagierte das Publikum mit „Das war so ein schönes Stück!“ Danach dachte ich, ich muss einfach mehr auf dem Flügelhorn spielen, wenn es die Zuhörer so berührt, und mich auch, mit seinem weichen dunklen Ton.“

Boldoczki wuchs in Kiskőrös auf und bekam mit neun Jahren den ersten Unterricht von seinem Vater. „Mein Vater unterrichtete alle Blechblasinstrumente und ich habe bei ihm mit der Trompete angefangen. Es war nie ein Zwang, sondern es war viel, viel Spaß. Aber er hat mir auch gesagt, dass es noch mehr Spaß macht, wenn man regelmäßig übt.“ Im Alter von 14 Jahren gewann der junge Ausnahmetrompeter beim Nationalen Trompetenwettbewerb in Zalaegerszeg den ersten Preis.

In Budapest, wo er noch heute mit seiner Frau und seinem dreijährigen Sohn lebt, besuchte er das Leó-Weiner-Konservatorium und die Franz-Liszt-Musikakademie. „Die endgültige Entscheidung zum Musikerberuf kam aber erst ziemlich spät. 1996 nahm ich am International Wettbewerb ICES in Genf teil. An meinem Geburtstag bekam ich dort den dritten Preis und dachte: das will ich gern weitermachen. Und Solist zu werden war für mich auch nicht selbstverständlich. Ich habe einfach geübt und alles gemacht, was meine Lehrer mir gesagt haben, und war auch bereit, im Orchester zu spielen.“

Nach dem Diplom studierte Boldoczki in der Meisterklasse von Reinhold Friedrich an der Hochschule für Musik Karlsruhe. Die ersten Preise beim Musikwettbewerbs der ARD und beim Internationalen Dritten Maurice-André-Wettbewerb, dem bedeutendsten Trompetenwettbewerb überhaupt, brachten für ihn den endgültigen Durchbruch und den Beginn seiner internationalen Solokarriere: „Danach sind Konzerte gekommen, und es sind mehr und mehr Konzerte gekommen.“

Maurice André und Reinhold Friedrich sind Vorbild für ihn, weiter nennt er Albrecht Mayer und Emmanuel Pahud, neben vielen anderen großen Musikern, bei deren Spiel er neue Energien schöpft. Seinen Schülern rät er aus demselben Grund, sich viele verschiedene Solisten anzuhören.

„Meine Karriere hat interessanterweise im Ausland angefangen. Erst nachdem ich schon einige Male im Wiener Musikverein gespielt hatte, bin ich dann auch nach Budapest eingeladen worden. Es ist für mich immer eine besonders große Freude, wenn ich in meinem Heimatland spielen darf, wo alle meine Freunde, Familie und Schüler zuhören können.“ Das sei auch gar nicht so einfach, gibt er wiederum lachend zu, „weil man emotional verbunden ist“. Er ist stolz auf die fantastischen Konzertsäle seiner Heimat, allen voran auf das 2005 eröffnete Palace of Arts in Budapest, direkt an der Donau.

Was Boldoczki hingegen bedauert ist, dass das Trompeterrepertoire so begrenzt ist. Beginnende Pianisten beneidet er darum, dass sie schon früh Stücke von großen Komponisten spielen können. Um diesen Mangel auszugleichen, bearbeitet er viele bekannte Stücke selbst für sein Instrument. Eine Reihe dieser Bearbeitungen sind in den letzten Jahren auf zahlreichen CD-Produktionen bei Sony Classical erschienen. Auf seinem Album Tromba Veneziana widmete sich Boldoczki beispielsweise verschiedenen Werken von Antonio Vivaldi.

Gábor Boldoczki
© Szilvia Csibi | Müpa Budapest

Nicht erst seit den rückläufigen Publikumszahlen im Zusammenhang mit Covid ist Boldoczki überzeugt davon, dass man als Musiker auch außerhalb des Konzertsaals über die Wichtigkeit von Musik reden muss. In früheren Jahren hat er viele Schulen besucht: „Jedes Kind muss etwas über klassische Musik wissen, auch und gerade dann, wenn es darüber von seinen Eltern nichts mitbekommt. Ich spiele den Kindern sehr gerne etwas vor, erzähle etwas über die Musik und über die verschiedenen Trompeten und freue mich sehr, die leuchtenden Augen sehen zu dürfen“, erzählt er.

„Wir alle müssen etwas tun für die nächsten Generationen, damit Menschen weiterhin in die Konzertsäle kommen.“ Boldoczki ist deswegen auch sehr froh, dass Müpa sehr viele Kinderkonzerte programmiert. Das größte Kompliment bekam er im Zusammenhang mit der Heranführung an die Klassik jedoch von seinem Tischler, der keine Erfahrung mit klassischer Musik hatte. Seitdem er von Boldoczki eine seiner CDs geschenkt bekommen hat, besucht er all seine Konzerte.

„Ein Konzertprogramm möchte ich immer so zusammenstellen, dass ich es selbst genießen könnte, wenn ich im Publikum säße. Deshalb muss das Programm abwechslungsreich sein und müssen zeitgenössische Werke in einen logischen Zusammenhang eingebettet sein.“

Denselben Anspruch hat er auch für seine CD-Aufnahmen. Neben seinem aktuellen Album Versailles gehören dazu Bohemian Rhapsody, Bach und Italian Concerts. Für sein spannendes Album Oriental Trumpet Concertos wurde er mit dem ICM Award für die beste zeitgenössische Aufnahme und mit dem ECHO Klassik Award für den Instrumentalisten des Jahres ausgezeichnet.

Gefragt nach seinen Träumen freut Boldoczki sich in der Zukunft auf die Zusammenarbeit mit zeitgenössischen Komponisten und erwähnt eine weitere Uraufführung seines Landsmanns Péter Eötvös im September nächsten Jahres in der Kölner Philharmonie.  Ein anderer Traum von Gábor Boldoczki scheint gerade in den Bereich des Möglichen zu rücken: Sein Sohn hat begonnen, Trompete zu lernen. „Er muss nicht unbedingt Musiker werden, aber dass er die Trompete mit solcher Freude spielt, macht uns glücklich.“


Dieses Interview entstand im Auftrag von Wavemaker Hungary im Namen von MÜPA.