Er ist seit 1989 Erster Konzertmeister bei den Wiener Symphonikern, konzertierte unter Herbert von Karajan und George Prêtre, gibt regelmäßig Kammermusikkonzerte und unterrichtet das Konzertfach Violine an der Musik und Kunst Privatuniversität Wien. Florian Zwiauer, der mit Ende dieser Saison das Konzertmeisterpult gegen den wohlverdienten Ruhestand eintauscht, ist zweifelsohne eine der Wiener Musikgrößen, die man nur schwer aus dem Musikverein oder Konzerthaus wegdenken kann. Mit uns spricht er darüber, wie er auch in Zukunft der Wiener Musikwelt erhalten bleiben wird.

Florian Zwiauer im Wiener Musikverein
© Martina Draper

Wie sah Ihr Weg zum Konzermeisterpult der Wiener Symphoniker aus?

Es war nicht der direkteste: Meine erste Liebe war die Kammermusik und speziell das Streichquartett. Meine Eltern waren beide begeisterte Amateurmusiker und haben schon in jungen Jahren immer wieder Freunde und Gäste zur Kammermusik geladen. Natürlich durfte ich da auch immer wieder mitspielen. Das war nicht immer ganz ohne – weil ich doch auch verzweifelte, wenn ich etwas nicht gleich zusammenbrachte. Es gab durchaus Tränen. Aber auch wenn mir nicht alle dieser Zusammenkünfte glorreich in Erinnerung sind, so waren sie doch ein ganz entscheidendes Element in meiner musikalischen Entwicklung. So habe ich mich dann später nach Abschluss meines Studiums, obwohl ich als Gewinner des gesamtösterreichischen Wettbewerbs „Jugend musiziert” und einem Zweiten Preis beim Internationalen Mozart-Violin-Wettbewerb in Salzburg 1978 durchaus auch eine Solistenlaufbahn hätte anstreben können, zunächst für die Kammermusik entschieden; als Mitglied des von mit begründeten Franz Schubert Quartetts. Mein Lehrer Franz Samohyl schrieb mir einmal ein Empfehlungsschreiben, auf das ich wahnsinnig stolz war. Stand dort doch: „Die Wiener Philharmoniker haben auf ihn als zukünftigen Konzertmeister bereits ein Auge geworfen.” Entschieden habe ich mich – zu seinem großen Bedauern – aber zunächst für das Streichquartett.

Ich habe die Entscheidung fürs Quartett nie bereut. Wir waren sehr erfolgreich, gewannen zum Beispiel den Ersten Preis beim Internationalen Streichquartettwettbewerb der EBU in Stockholm und spielten überall auf der Welt. Aber nach mehreren Jahren hatte sich meine Lebenssituation radikal geändert. Ich hatte eine Familie zu versorgen. Andererseits hatte ich zu der Zeit einen Studenten, der schon damals Mitglied der Wiener Symphoniker war. Er hat mich eindringlich gebeten, für die damals vakante Stelle des Ersten Konzertmeisters vorzuspielen: Ich überlegte monatelang und beschloss wenige Tage vor meinem 35. Geburtstag, der damaligen Altersgrenze, anzutreten – und gewann.

Florian Zwiauer
© Bubu Dujmic

Was schätzen Sie besonders an den Wiener Symphonikern?

Abgesehen von den persönlichen Beziehungen zu den wunderbaren Menschen, aus denen es besteht, die fantastische musikalische Qualität des Orchesters, sein breites Repertoire und natürlich seinen ganz spezifischen Wiener Klang.

Was zeichnet diesen speziellen Wiener Klang aus?

Er ist zwar schwer in Worte zu fassen, aber das heißt ja nicht, dass man ihn nicht hören kann. Er ergibt sich zum einen aus den spezifischen Wiener Instrumenten, die wir nutzen – von den Hörnern, den Oboen bis hin zu den Pauken – und den spezifischen, über Jahrhunderte entwickelten und gepflegten Spieltechniken, um diese Instrumente zu spielen. Beibehalten haben wir diesen Klang, weil wir ihn seit jeher sehr bewusst und gezielt gepflegt und geschützt haben. Es ist die Aufgabe eines Konzertmeisters, aber auch eines jeden Stimmführers der Wiener Symphoniker, neue Kolleginnen und Kollegen an diesen Klang heranzuführen, und sie zu unterstützen, in ihn hineinzuwachsen. Das passiert bei uns sehr behutsam und organisch, weil es uns allen ein großes Anliegen ist.

Sie haben über die Jahre mit den wichtigsten Dirigenten der Welt zusammengearbeitet. Hat sich die Art der Beziehung zwischen Konzertmeister und Dirigenten über die Jahrzehnte verändert? Man könnte sich vorstellen, dass die Meister der Alten Schule ganz anders mit dem Orchester arbeiten als die heutige junge Generation an Dirigenten.

Man muss natürlich aufpassen, dass man es nicht im Rückblick romantisiert und verklärt. Die Veränderungen passieren schrittweise und wenn man selbst in den Prozess involviert ist, bemerket man sie gar nicht. Aber was heute sicherlich anders ist, ist das Verhältnis zwischen Dirigent und Konzertmeister im speziellen, aber auch Dirigent und Orchester im allgemeinen. Das ist heute sicherlich ein mehr kameradschaftliches, freundliches, kollegiales Verhältnis auf Augenhöhe. Früher waren die Dirigenten immer auch Herrscher – Karajan war trotz seiner Liebenswürdigkeit ein Herrscher, wie es auch Sawallisch in seiner herzlich bajuwarischen Art im Herzen war. Ich will es nicht werten, weil ich auch die Art und Weise, wie man heute Musik macht, sehr genieße. Gleichzeitig vermisse ich aber diese „Großen Alten”, diese Persönlichkeiten, wenn man es so sagen darf, und die Art und Weise des Musizierens, für die sie standen. Sie stirbt einfach langsam aus.

Sie haben bestimmt auch einige gute Anekdoten zu erzählen?!

Wie viel Zeit haben Sie? Aber ganz ehrlich, ich hatte das große Glück, einen Lehrer und Mentor zu haben, der Richard Strauss noch persönlich kannte. Über ihn und seine Erzählungen hatte ich so einen fast direkten Kontakt zu einem Giganten der Musikgeschichte. Das hat eine Art innere Verbundenheit mit Musikgeschichte geschaffen, gleichzeitig weckte es aber eine große Demut in mir. Diese direkte Beziehung half mir, unsere Rolle als Musiker eher als eine Dienende, Ausführende zu verstehen – wir realisieren, was andere geschaffen haben. Unsere Verantwortung gilt ihnen.

Hatten bestimmte Dirigenten oder Solisten einen prägenden Einfluss auf Sie?

Ja natürlich. Ich habe bereits als Jugendlicher Herbert von Karajan verehrt und vergöttert und bin regelmäßig nach Salzburg gepilgert, um ihn dort zu erleben. Was schon rein finanziell mit großen Opfern verbunden war. In meiner Zeit bei den Symphonikern waren es vor allem Wolfgang Sawallisch, George Prêtre und Yakov Kreizberg, die mich nachhaltig musikalisch, aber auch persönlich beeinflusst haben – alle wurden zu engen Freunden. Unter den Solisten – natürlich schaue ich, was andere Geiger machen, wie sie etwas spielen – aber als Geiger waren es immer die großen Sängerinnen und Sänger, die mich am nachhaltigsten beeinflusst haben. Was sie mit der menschlichen Stimme kreieren, wollte ich mit der Geige nachahmen.

Wie haben sich nicht nur die Wiener Symphoniker, sondern Orchester im Allgemeinen über die Jahre verändert?

Ganz generell gesagt, das Musikleben ist internationaler geworden. Die Spitzenorchester können heute unter den besten Bewerberinnen und Bewerbern von der ganzen Welt auswählen. Das führt dazu, dass die Qualität insgesamt immer weiter zunimmt, aber auch, dass die Unterschiede zwischen den Orchestern und ihren Klangbildern ein Stück weit verschwimmen.

Florian Zwiauer mit Teodor Currentzis im Wiener Konzerthaus
© Julia Wesely

Inwiefern helfen einem Orchestermusiker die Erfahrungen aus der Kammermusik?

Meine musikalischen Wurzeln liegen in der Kammermusik – und ich denke, schon, dass mir meine Laufbahn als Kammermusiker auch als Orchestermusiker geholfen hat. Neben technischen Aspekten wie Intonation, Dynamik, Artikulation, lernt man als Kammermusiker natürlich auch viel über Reaktionsfähigkeit. Und natürlich übernimmt man in einem kleineren Ensemble automatisch mehr Verantwortung und Engagement. Das sind alles Qualitäten, die dem Musizieren im großen Verbund zu Gute kommen. Deswegen ist den Wiener Symphonikern ja auch allgemein die Kammermusik so wichtig.

Sie unterrichten an der Musik und Kunst Privatuniversität Wien und geben regelmäßig Meisterklassen. Was versuchen Sie, an junge Musikern weiterzugeben?

Neben eher technischen Kriterien sind mir wie gesagt der Wiener Klang, aber auch ein Verständnis für das Repertoire und ein Gefühl der Verantwortung, der Ehrfurcht gegenüber der Musikgeschichte sehr wichtig. Ich will vermitteln, dass wir letztlich nur ausführend und realisierend tätig sind und nicht schöpferisch im engeren Sinne. Als Orchestermusiker sind wir nur Diener in einer langen Traditionslinie.

In welcher Form werden Sie der Wiener Musikwelt erhalten bleiben?

Das kann ich noch nicht genau sagen. Natürlich ist es nicht leicht, das Orchester zu verlassen und dieses Kapitel, dieses Lebensgefühl zu schließen. Gleichzeitig freue ich mich sehr, auf das was kommt: Mein Garten, Zeit mit meiner Frau zu verbringen, Tanzkurse, Reisen. Und ich hoffe, dass ich der Musik nicht ganz abhandenkomme.