Ab Februar haben Sie die Möglichkeit, drei Opern von Giacomo Meyerbeer an der Deutschen Oper Berlin zu sehen, im März sogar an drei aufeinanderfolgenden Abenden: Le prophète, Les Huguenots und Dinorah. Es ist das erste Mal seit mindestens einem halben Jahrhundert, dass es eine solche Vorstellungsdichte seiner Werke gibt, aber warum sollte uns das überraschen? Immerhin war Meyerbeer vermutlich der erfolgreichste und einflussreichste Opernkomponist des 19. Jahrhunderts, noch vor Verdi, Wagner und sogar Donizetti: im Utrechter Museum Speelklok für selbstspielende mechanische Musikinstrumente finden Sie dutzende Spieluhren, die seine Melodien spielen. Also warum ist er von der Weltbühne verschwunden und warum sollten wir ihn wieder anhören?

Während die große Menge ergriffen wird von der inneren Gewalt, von der Passion der Hugenotten, bewundert der Kunstverständige die Meisterschaft, die sich in den Formen bekundet. Dieses Werk ist ein göttlicher Dom, dessen himmelstrebender Pfeilerbau und kolossale Kuppel von der kühnen Hand eines Riesen aufgepflanzt zu sein scheinen.

Giacomo Meyerbeer, Druck nach einem Foto von Pierre Petit, 1865
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Diese Worte aus dem Jahr 1837 stammen von niemand geringerem als Heinrich Heine. Sie finden sich heute wieder, als ich mit Enrique Mazzola spreche, der Le Prophète und Dinorah in Berlin dirigieren wird: „Es ist eine Art der Oper, an die wir nicht mehr gewöhnt sind. Wir hören dramaturgisch schnelle italienische Opern wie Barbiere oder L'elisir d'amore oder sogar Rigoletto, oder diese majestätisch langen Wagner-Opern, wo man 250 Takte in Es-Dur haben kann, was Sinn macht, und man sich einfach zurücklehnen und die Harmonien auf sich wirken lassen kann. Aber zwischen diesen beiden ist ein Komponist, der die Dimension der Dramaturgie zu einem großen Raum-Zeit-Kontinuum entwickelt hat, wir haben fünfaktige Opern mit einer Genauigkeit für Details, die den italienischen gleichkommen. Er hat eine sehr komplexe Art, die Dinge zu entwickeln.”

Man kann die Wichtigkeit und das Ausmaß, in dem Meyerbeer die Oper verändert hat, nicht genug würdigen. Mazzola meint: „Man kann zwei komplett verschiedene Strömungen erkennen. 1843 gab es Don Pasquale ebenfalls in Paris, eine recht seichte Komödie, und dann haben Sie plötzlich diese Klangkathedrale, monumentale Akte, monumentale Szenen. Was macht Meyerbeer so einzigartig? In gewisser Weise ist er der Vater der Grand opéra, er bestimmt die Regeln der Grand opéra, und das hat zu dieser Zeit nicht nur das Leben der Pariser sondern auch das der internationalen Zuhörer verändert.”

Meyerbeer ist auch, verglichen mit anderen Komponisten seiner Zeit, einzigartig was das internationale Ausmaß seines Lebens und seines Werks angeht. Er wurde in eine reiche jüdische Familie in Berlin geboren, er genoss die beste Ausbildung, die für Geld zu haben war, er nahm den deutschen Stil vollkommen in sich auf, bevor er nach Italien zog, wo er wiederum den italienischen Stil annahm (wie auch den italienischen Vornamen), und ging anschließend nach Paris, um Ruhm zu erlangen. „Meyerbeer war, was ich ein Chamäleon nenne”, erklärt Mazzola. „Er war zunächst ein deutscher Opernkomponist. Aber dann wurde er einer der besten Belcanto-Komponisten, was bis heute wenig bekannt ist. Ich will wirklich gerne Il Crociato in Egitto und seine Semiramide dirigieren, weil er sich wirklich den Belcanto-Stil aneignete – und zwar nicht nur nebenbei, er war Experte. Ich habe einige der Arien dirigiert, die Ouvertüren und ich kann Ihnen versichern: es ist sehr, sehr italienisch. Und dann geht er nach Paris, liefert eine der besten Opéras-comiques seiner Zeit und beginnt ein ganz neues Genre. Es ist so dermaßen faszinierend, wer war dieser Meyerbeer?”

Die Verschmelzung von Stilen ist beim Hören seiner späten Opern klar erkennbar: die Köstlichkeit der Belcanto-Melodie und -Dekoration, verbunden mit der französischen Vorliebe für coups de théâtre und die deutsche Orchestrierung, die weit über die „große Gitarre” des traditionellen italienischen Opernorchesters hinausgeht. Meyerbeer beanspruchte die Idee des Gesamtkunstwerks lange vor seinem Protegé – und späteren Nemesis – Wagner, argumentiert Musikwissenschaftler David Charlton: „Für gewöhnlich denken wir an Wagner, wenn das Wort Gesamtkunstwerk fällt; aber die offenkundige Verschmelzung aller möglichen Elemente der Theaterkunst war der überwältigende Eindruck, den Giacomo Meyerbeers Robert le diable 1831 an der Opéra hinterließ.”

Die boshaften Attacken Wagners und seiner Anhänger gegen Meyerbeer waren vermutlich der ausschlaggebende Faktor für die kritische Neubewertung als Leichtgewicht und sein anschließendes fast vollkommenes Verschwinden von der Opernbühne. Zweifellos spielte Antisemitismus eine große Rolle in der Kritik sowie der einfache Grund, dass Wagner die alte Ordnung aufbrechen musste, um seine eigene Karriere voranzutreiben. Man kann aber auch durchaus sagen, dass ein Teil des Stils Meyerbeers (und der seines Librettisten Eugène Scribe) ein Geschöpf seiner Zeit war, etwas, das Franz Liszt 1837 in einem Brief würdigte:

Im Gegensatz zu Metastasio, gehörte Scribe einer Epoche an, in der Übertreibung einen Teil der Literatur darstellte… Angsteinflößende Geister, furchtbare Erscheinungen waren en vogue. Dichter strebten das Exzentrische an, das gierig von der Öffentlichkeit aufgenommen wurde. Die extremen Themen reichten kaum aus, um den Leser schaudern zu lassen, so gewöhnt waren sie an den Horror.

Mazzola weist auf die Veränderungen des Geschmacks und des sozialen Umfelds hin. „Meyerbeer ist gewissermaßen der erste Komponist, der durch die Oper große moralische Fragen stellt, wie das Machtverhältnis zwischen Staat und Kirche: das ist der wesentliche Unterschied zu Wagner, der diese Art von Fragen nicht gestellt hat. Das war wirklich notwendig an diesem Punkt der Geschichte in Frankreich: nach der Restauration, dann der Revolution und dem Zweiten Kaiserreich unter Napoleon III. Mit Beginn des neuen Jahrhunderts verlor dies vermutlich an Bedeutung. Der Verismo hat gewissermaßen alles gelöscht, eine Art tabula rasa; der Grund, ins Theater zu gehen, hatte sich verändert. Die Leute gingen, um La bohéme zu sehen und um Mimì sterben zu sehen, um in Pagliacci zu weinen. Es war also ein völlig anderer Grund, in die Oper zu gehen.”

Seit 2000 scheint das Pendel jedoch wieder zurückzuschwingen: obwohl die Vorstellungsreihe an der Deutschen Oper Berlin die prominenteste ist, tauchen immer mehr Meyerbeer-Inszenierungen an unterschiedlichen Häusern auf. Warum geschieht das gerade jetzt? „Ich bin ein Bärenreiter-Kind, was meiner Meinung nach eine neue Generation an Dirigenten kennzeichnet, die mit kritischen Ausgaben aufgewachsen ist, mit einer Liebe zum Detail und nicht zuletzt einer Liebe zur Forschung. Nach Jahren der Recherche über diese Generation haben wir einen Komponisten entdeckt, der eine so wesentliche Rolle spielt, dass wir ihn nicht länger umgehen können, wir können nicht sagen,OK, wir sprechen nicht über diese Dinge’. Aber auch, weil wir leider wieder in einer Zeit leben – persönlich sage ich das– in der wir wieder über die Beziehung zwischen Staat und Religion sprechen. Wenn wir sehen, was zum Beispiel in manchen muslimischen Ländern geschieht, hinterfragen wir die Beziehung zwischen Religion und Staat in unserem öffentlichen und privaten Leben, es gibt also auch einen politischen und sozialen Grund, um auf Meyerbeer zurückzukommenund das, was er uns dazu zu sagen hat.” In Dinorah hingegen verweist Mazzola auf den Humor, den die Opéra-comique ausweist, anders als die Grand opéra, auf. „Alle Szenen werden von sehr leichten gesprochenen Dialogen begleitet – keinen Rezitativen – die tatsächlich sehr lustig und sehr gut geschrieben sind.”

Die Deutsche Oper Berlin bietet eine angemessen glänzende Besetzung auf und Mazzola ist froh, dass die Besetzung von Le prophète, angeführt von Gregory Kunde, Clémentine Margaine und Elena Tsallagova, großteils unverändert von der erfolgreichen Premiere 2017 ist. Aber anstatt einzelne Sänger hervorzuheben, richtet er lieber ein Kompliment an das Orchester der Deutschen Oper, die „so stark, so gut ausgebildet sind, dass sie jedes Mal eine großartige Show bei diesem Repertoire liefern, was unglaublich schwierig ist. Ich muss zugeben, dass im Unterschied zu Wagner, Meyerbeer die ununterbrochene Aufmerksamkeit des Orchesters verlangt. Alle paar Takte gibt es eine Änderung des Tempos, im Gegensatz dazu haben Sie bei Wagner womöglich 42 Takte lang ein Des und das Schwierige daran ist, bis 42 zu zählen, nicht das Spielen an sich. Der Einsatz der Holzbläser, die Soli in den Streichern, das Tutti mit dem Blech, es ist einzigartig und verlangt vom Orchester viel, es zu meistern.”

Seine Lieblingsstelle? „Der Moment, wo ich immer Gänsehaut bekomme, ist das Bacchanal am Ende von Prophète. Alles steht in Flammen, das Schloss ist kurz vor dem Einsturz. Es ist komplett verrückt, es ist der eindrucksvolle Kontrast zwischen dem Rhythmus des Bacchanals und dieser Katastrophe, die Welt bricht auseinander, Menschen sterben und in den Flammen ist dieses verrückte Bacchanal. Wenn ich es dirigiere, denke ich ,Oh Gott, wohin gehen wir? Was kommt als Nächstes?’ Aber es sind die letzten zehn Minuten der Oper, also habe ich keine Antwort darauf.”

Und was kommt als Nächstes? Ich erwähne, dass die Deutsche Oper Berlin Robert le diable bis jetzt noch nicht in Angriff genommen hat. „Ich habe mit meinem Freund Christof Loy gesprochen; wir haben gerade erst einen neuen Don Pasquale in Zürich gemacht, Sie wissen schon, Cappuccino-Pausen sind die kreativsten Momente, und wir haben gemeint, ,die Oper, die wir auf die Bühne bringen müssen, ist Robert le diable’.” Hört jemand zu, Deutsche Oper?

Klicken Sie hier für alle Meyerbeer-Inszenierungen an der Deutschen Oper Berlin.

Dieses Interview wurde von der Deutschen Oper Berlin gesponsert.


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.