Dagmar Manzel
© Janine Guldener

„In einer Welt ohne Melancholie würden die Nachtigallen anfangen zu rülpsen“, zitiert Dagmar Manzel den schönen Satz Emile Ciorans und lacht. „Das ist auch der jüdische Humor, der mir in den Liedern immer so entgegenkommt. Der öffnet mir mein Herz. Ich will diese Musik einfach singen. Ich möchte nicht ohne diese Lieder leben wollen.“ Und das tut sie zum Glück auch nicht. Manzel ist eine der vielseitigsten Bühnenkünstlerinnen unserer Zeit und ist sowohl für ihre Theater- und Opernauftritte als auch für ihre Fernsehrollen bekannt. Sie sprach mit mir über ihre Liebe zur Musik und zu Texten der Weimarer Zeit, ihren Weg vom Schauspiel zum Singen und warum es auch heute noch wichtig ist, das Erbe der 20er und 30er Jahre hochzuhalten.

Für ein ganz besonderen Abend macht sich die Berlinerin im September nach London auf: Weimar Berlin: To the Cabaret! mit dem Philharmonia Orchestra. „Ich freue mich natürlich sehr, dass ich gemeinsam mit dem Philharmonia Orchestra arbeiten darf, und zwar mit Esa-Pekka Salonen. Ich verehre ihn sehr, und dass wir zusammen ein Konzert machen, ist natürlich eine große Freude!“ Selbstverständlich werden Lieder aus den 20er und 30er gesungen; die nur 15 Jahre während der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen war eine vor Kreativität nur so sprudelnde Ära. Das Philharmonia Orchestra widmet dieser Zeit eine ganze Reihe mit Konzerten, Vorträgen und Filmvorführungen: Weimar Berlin – Bittersweet Metropolis. Da passt es doch, dass Dagmar Manzel sich quasi darauf spezialisiert hat, wie sie selbst sagt. Von Liedern bis Operette, von Paul Abraham bis Oscar Straus widmet sie sich dieser besonderen Zeit schon lange und das vor allem in Berlin.

Wenn es zur Songauswahl für so einen Abend geht, „so ist es ganz folgerichtig, dass alle Komponisten, deren Lieder ich singe, jüdische Komponisten sind. Die großen Komponisten der 20er und 30er Jahre waren fast alle jüdischer Herkunft.“ Auch das Berlinerische darf dabei nicht fehlen. „Das ist meine Heimat, das sind meine Wurzeln. Natürlich bin ich dadurch sehr verbunden, auch, weil ich häufig im Haus des früheren Metropol Theaters singe. Alle großen Künstler haben dort auf der Bühne gestanden, von Fritzi Massary angefangen. Im Orchestergraben standen Straus und Abraham und dirigierten. Ihre Musik singen wir, ihre Stücke spielen wir. In ihre Fußstapfen treten kann man zwar nicht sagen, aber es ist unsere Aufgabe, diese Kunst und diese Musik zu bewahren.“

„Die Begegnung mit Werner Richard Heymann und Abraham, Friedrich Hollaender und Hanns Eisler hatte ich sehr früh, schon als junges Mädchen.“ Sie war auch von den unglaublich starken Biographien beeindruckt und was für eine widersprüchliche, aber auch aufregende Zeit es war, sieht man nicht zuletzt an den Texten. „Da hätte ich gern mal Mäuschen gespielt“, sagt sie freudig. „Aber 1933 veränderte sich schlagartig alles. Viele Künstler sind gegangen, emigriert und viele leider auch umgekommen. Da ist so viel in Vergessenheit geraten.“ Dabei blühte das kulturelle Berlin gerade in dieser Zeit auf. „Damals haben Schauspieler im Deutschen Theater gespielt, sind noch in den Nachtclub gegangen, haben dort gesungen. Nachts haben sie dann synchronisiert und am nächsten Morgen, nach drei Stunden Schlaf, sind sie aufgestanden und haben gedreht. [Manzel lacht] Also das ist schon was anderes jetzt.”

„Auch die UFA (Universum Film AG), was da für Filme gemacht worden sind! Heymann war der UFA-Komponist. Viele kennen den Namen nicht mehr, aber alle kennen seine Lieder: Irgendwo auf der Welt oder Das gibt’s nur einmal. Die Nazis haben versucht, diese Musik unsichtbar zu machen, aber nicht mit mir!“

Auch wenn Musik in der Familie keine große Rolle spielte, wollte Dagmar Manzel immer Sängerin werden. „Ich habe immer parallel zum Schauspiel auch an Liedern gearbeitet, für mich gesungen und hatte dann das große Glück, dass ich einem Freund begegnet bin, der Opernsänger ist. Er sagte ,Lass uns doch mal einen Abend zusammen machen.'“ Und das haben sie dann auch gemacht. „Eine Sehnsucht, egal wonach hieß er, nach Hollaender. Da habe ich dann schon Gesangsunterricht genommen. Bei dem Lehrer habe ich immer noch Unterricht, seit mittlerweile über 20 Jahren.“

„Nur Musik im Theater hat mir irgendwann nicht mehr gereicht. Aber ich kann ja auch kein Mozart singen und auch nicht den großen Offenbach. Ich bin ja keine Opernsängerin.“ Zu ihrem Glück wurde die Komische Oper auf sie aufmerksam, wo sie Barrie Kosky kennenlernte und zusammen viele Stücke aus der Weimarer Zeit auf die Bühne gebracht haben. „Wir haben es natürlich ein bisschen anders gemacht. Ich bin keine Cleopatra, ich bin jetzt 60, also irgendwie is ma au jut“, sagt sie in charmantem Berlinerisch. „Das ist für mich eine wirkliche Erfüllung. Ich muss da viel für arbeiten, aber ich liebe es!“

Ihre Theaterarbeit hat ihre Musik aber immer bereichert. „Da ich ja nun vom Schauspiel komme, habe ich immer einen schauspielerischen Interpretationsansatz. Ich kann es nicht einfach nur schön singen. Es gibt Textzeilen, wo man wirklich den Gesang auskosten kann. Du kannst es aber auch wieder brechen, indem du dann zum Teil sprichst oder die Texte verhauchst.“ Als Vorbereitung hat sie sich Aufnahmen von berühmten Weill-Darstellerinnen angehört, von Opernsängerinnen, „und das geht für mich gar nicht.“ Manzel imitiert Kurt Weills Klops-Lied ironisch mit Opernstimme. Dabei müssen wir beide herzhaft lachen. „Da geht es nur über den Vokal und die Gestaltung über die Musik. Boah das geht nicht. Ich kann das nicht. Da komm ich ganz vom Schauspiel und fahre eher runter, als dass ich mich da sängerisch raufsetze“.

Dagmar Manzel
© Janine Guldener

„Erst recht, wenn man weiß, dass Heymann mit ein paar Reichsmark in der Tasche emigrieren musste und nicht wusste, ob er überleben würde. Wenn man weiß, dass Hollaender in ein anderes Land kam und sagte ,Wir leben in einem Land mit Menschen, die unsere Sprache nicht sprechen und sie lachen über Dinge, die wir nicht lustig finden. Wir verstehen ihre Seele nicht, weil wir ihre Sprache nicht verstehen.' Das sind Schicksale, die mich zutiefst berühren. Wenn ich heute Wenn ich mir was wünschen dürfte singe und es heißt ,Man hat uns nicht gefragt, als wir noch kein Gesicht. Ob wir leben wollten oder lieber nicht. Jetzt gehe ich allein, durch eine große Stadt, und ich weiß nicht, ob sie mich lieb hat', dann ist das immer noch aktuell, grad im Hinblick auf die Menschen, die hierherkommen und versuchen in Europa ein neues Leben zu beginnen. Deshalb liebe ich diese Texte, so wie Walter Mehrings An den Kanälen. Diese Wortgewalt und diese starken Bilder machen mich einfach sprachlos.“

„Lieder sind ja oft von einer heiteren Melancholie geprägt. Es kann aber auch harte Brüche geben und zu ganz anderen Farben, Temperaturen und Stimmungen kommen. Im Konzert merkt man sofort, man kommt in die Herzen der Zuhörer, weil Stimmungen und Sehnsüchte in diesen Liedern benannt werden, die jeder kennt.“

Neben den melancholischen gibt es aber auch die Kraftprotze unter ihnen. „Da ist zum Beispiel die Ballade von der Höllen-Lili. Das sind so Ohrfeigen. Das singe ich auch wirklich sehr gern. Das wird fürs Orchester auch schön sein.“ Sie singt die schnelle, rhythmische Begleitung und man merkt, wie sehr sie mit dieser Musik verbunden ist, was für eine Leidenschaft bei ihr dahintersteckt. „Das ist ein Tempo und eine Kraft, Weill eben.“

„Solche Form des Liedguts und in so einer Sprache, so etwas gibt es einfach nicht mehr – so reich und intelligent, unterhaltsam und doch so politisch, immer im besten Sinne die Menschen anregend. Deshalb kehrt man immer wieder dahin zurück.“

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Dieses Interview wurde gesponsert vom Philharmonia Orchestra.