Alexandre Tharaud kam mit der Veröffentlichung seiner Aufnahme von Rameaus Cembalo-Werke zu plötzlichem Ruhm. Endlich gab es einen Pianisten, der es wagte, seine Musik auf dem Klavier zu spielen und der seine CD dem Andenken Marcelle Meyer widmete, dessen Aufnahmen aus den 1930er und 1950er nach 20-jährigem Vergessen neu aufgelegt wurden. Es folgten Couperin, Scarlatti, Bach, Chopin, Thierry Pécou, Satie, Rachmaninow and Ravel, um eine umfassende Diskographie zu erstellen.

Vor seiner Europa-Tournee mit dem Orchestre Métropolitain of Montreal und dessen Dirigenten Yannick Nézét-Séguin, die Ende November beginnt, habe ich Tharaud vor der Comédie française getroffen, auf einer Bank nahe den Gärten des Palais Royal, unter den Bäumen, die einst der Philosoph Emmanuel Berl von der Terrasse seines Apartments betrachtet hatte.

AL: In ihrem Essay Montrez-moi vos mains („Zeigen Sie mir Ihre Hände”), sprechen Sie so über Yannick Nézet-Séguin, mit dem Sie bald Ravels Konzert für die linke Hand spielen werden, wie Solisten sonst selten über Dirigenten sprechen.

AT: Als ich zu schreiben begann, wollte ich über meine Erfahrung mit Dirigenten sprechen, aber das funktionierte nicht in einem Buch, da es sonst zu lange geworden wäre. Also entschloss ich es zu einem kurzen Kapitel zu reduzieren, über nur einen Dirigenten. Die Wahl fiel klarerweise auf Yannick, da er alles verkörpert, was ich in einem Dirigenten liebe. Ich erinnere mich gut an unser erstes gemeinsames Konzert, in Philadelphia. Konzert für die linke Hand; Proben; Beginn des Konzerts. Das Klavier setzt ganz plötzlich ein, mit diesem höllischen Lauf. Ok, ich spiele es so often, dass dieser Lauf schön langsam etwas weniger höllisch für mich irst. Aber dennoch, die Angst bleibt zu einem gewissen Grad. Ich tauche also ein – und ich sehe, wie mich Yannick genau beobachtet, mit den Fingern auf seinem Kinn. Er war da für mir, unterstützte mich, in dem was letztendlich doch ein Risiko ist. Und wir haben uns gut geschlagen.

Er macht viele Dinge, gibt viele Anweisungen, aber wenn er am Podium steht, ist er ein Dirigent, der zu 100% für dich da ist und dir zuhört. Ich haben ihn bei unserem ersten Zusammentreffen geliebt und diese Liebe hat sich jedes Mal bestätigt, wenn wir gemeinsam gespielt haben. Wenn man ein Solist ist, muss man unterstützt werden, manchmal sogar getragen. Ich habe bemerkt, wie er sich während den Proben verhält, wie er die Bedürfnisse anderer aufnimmt, sowohl die des Solisten, als auch die des Orchesters. Und das führt zu einer Atmosphäre, die weit über einen Zusammenhalt hinausgeht. Als Solist kann man sich völlig hingeben, ohne dabei die Kontrolle über sein Spiel zu verlieren.

Sie sprechen auch, ohne dabei Namen zu nennen, über weniger aufmerksame Dirigenten. Manche sind sogar dafür bekannt, dass sie die Solisten behindern oder hemmen.

Es gibt nur wenige Dirigenten, die inkompatibel mit Solisten sind, aber es gibt sie. Das Hauptproblem bei Konzerten ist die Probenzeit. Wenn man allein spielt, zeigt man sein eigenes Werk und man hat ausreichend Zeit, um sich vorzubereiten. Ein Klavierkonzert ist wie ein Heimwerker-Projekt, und das wirkt sich auf den Dirigenten aus. Es ist keine Frage des Alters, der Generation oder der Karriere, aber eine der Erreichbarkeit, der Persönlichkeit. Diese Dirigenten strahlen Wärme aus, andere eben nicht. Das ist alles. Es gibt Dirigenten, die manchmal nicht die beste Technik haben, aber die angestrengt zuhören und so präsent gegenüber dir und dem Orchester sind, das alles funktioniert. Dirigenten sind Menschen, die Anweisungen geben, aber zur gleichen Zeit auch ein Medium sind, durch das unsere Energie – die der Orchestermusiker und des Solisten – auf das Publikum übergreift.

Ist das Konzert für die linke Hand wirklich ein Konzert im traditionellen Sinne? Es ist zu kurz, um eine Sinfonia Concertante zu sein, aber es hat etwas unglaublich Unitäres an sich.

Es ist unglaublich zu sehen, wie Ravel eine weitere Herausforderung annimmt. Sie sagen, dass es vielleicht kein Klavierkonzert ist. In gewisser Weise stimmt das, aber betrachtet man es von einer anderen Seite, ist es komplett falsch, da es eine Art Über-Konzert ist. Andere Komponisten haben sich daran versucht, und obwohl es ungerecht wäre zu sagen, dass sie daran scheiterten, keiner von ihnen schrieb erfolgreich ein solches Meisterwerk wie Ravel. Wenn man es spielt, fühlt man sich in diesen großen Kadenzen vollkommen alleine, aber zur gleichen Zeit sind die Musiker hier für dich, sie hören zu und sind bereit, einzugreifen. Der Klavierpart ist genauso reich wie der des Orchesters und genauso laut, und das mit nur einer Hand! Es ist etwas wie ein Zaubertrick in diesem Werk. Kurz vor der finalen Kadenz, die mehr und mehr aufsteigt… hin zum Licht… und einmal mehr muss der Dirigent dem Solisten zuhören, ihn tragen, selbst wenn das Orchester nicht spielt und auf den Einsatz wartet. Yannick Nézet-Séguin ist immer da.

Es muss schwer sein, ein gutes Klavier für dieses Konzert zu finden: ein Instrument, das stark genug ist, aber auch singt, mit einem langen Nachhall und einer gefügigen Klaviatur…

Natürlich! Was das betrifft, ist es ein Grund, warum das Konzert nicht öfter gespielt wird. Und auch, weil es schwierig ist. Wenn man auf die Bühne kommt, hat man fast das Gefühl, beeinträchtigt zu sein, dass man kämpfen muss. Ich habe das Stück bestimmt schon hunderte Male gespielt, und ich konnte es jedesmal fühlen – aber das liebe ich auch an dem Stück.

Man braucht ein Klavier mit nur jeder erdenklicher Qualität, das gut eingestellt sein muss. Über die letzten Jahre habe ich eine große Verbesserung in diesem Bereich gesehen; es gibt eine größere Auswahl. Deshalb spiele ich oft auf einem Bösendorfer oder Yamaha-Flügel, um zu zeigen, dass es nicht nur einen Klavierbauer gibt: andere Klavierstile verdienen es, gehört zu werden, und man sollte nicht am gleichen Platz verharren. Und der Konzertsaal braucht eine günstige Akustik. Ich habe das Konzert erst kürzlich in Deutschland gespielt, mit dem NDR Orchester. In Kiel war die Akustik um einiges trockener und schwieriger als in Lübeck, wo die Akustik exzellent war. Es geschieht alles so schnell in diesem Konzert, und wenn man nicht von Anfang an die richtige akustische Balance findet, ist es später nicht mehr möglich, diese einzufangen. Andererseits ist es nicht so schwierig bei einem Mozart Klavierkonzert, aber bei Ravel hat man ein richtiges Gespür für die Aufführung, für die Herausforderung.

In der Philharmonie Paris haben sie zumindest eine exzellente Akustik…

Ich muss noch immer lernen, sie zu zähmen. Bis jetzt habe ich dort erst einmal mit einem Orchester gespielt, Rachmaninows Zweites Klavierkonzert. In den Proben klang alles hervorragend, aber im Konzert selbst hatte ich das Gefühl, dass man das Klavier nicht wirklich durch das Orchester hören konnte. Aber ich frage mich, ob das meine eigene Schuld war: da in den Proben alles so leicht klang, habe ich vielleicht beim Konzert nicht alles gegeben, um einen großen Klavierklang zu erreichen. Außerdem ist es etwas unbehaglich, 500 Zuhörer hinter einem zu haben: Ich spiele für die Konzertgänger und es ärgert mich, dass ich auch für einen Teil spiele, der mich nicht hören kann. Jedenfalls hat mich diese erste Erfahrung wachsam gemacht.

Die Linke Hand wird wesentlich seltener gespielt als das Konzert in G-Dur, und trotzdem hat es eine große Wirkung auf das Publikum…

Ich spiele es oft, weil es noch immer relativ unbekannt ist. Französische Musiker werden oft gefragt, französische Musik zu spielen, wenn sie reisen, also kann ich auch dieses Konzert wählen. In den Vereinigten Staaten ist es unglaublich beliebt; es hat eine große Wirkung auf das Publikum. Es ist die stürmische Natur dieser 18 Minuten dramatischer Entwicklung, die am Ende wie eine Guillotine zuschlägt, und der spektakuläre Effekt, mit nur einer Hand zu spielen.

Es ist schwer für den Pianisten, aber auch für das Orchester. Man kann den kleinsten Fehler hören, was es wesentlich schwieriger macht als Werke anderer Komponisten…

Man braucht virtuose Bläser, Musiker, die ihren Teil exzellent interpretieren können, einen Dirigenten, der sowohl exakt als auch romantisch und expressiv ist… Mit dem Orchestre Métropolitain und Yannick Nézet-Séguin stimmen alle Voraussetzungen. Ich habe das Konzert bereits in Philadelphia und Rotterdam gespielt, und ich freue mich, dass ich es mit seinem kanadischen Team spielen werde, die es verdienen, besser bekannt in Europa zu sein. Das Wichtigste ist, dass man gleichzeitig das Tempo hält und frei spielt, was nicht einfach ist. Man darf nicht langsamer werden und mit einer einzigen Geste spielen, besonders in der finalen Kadenz. Bei Ravel muss man alles geben und alles unter Kontrolle behalten.

Und es stimmt, bei Ravel wirken sich Fehler mehr auf die restliche Vorführung aus, als es zum Beispiel bei Debussy der Fall ist. Es ist wichtig, dass man Farben entwickelt, die oft im Orchester oder beim Pianisten fehlen. Man muss die ganze Zeit an Folgendes denken: die Farbpalette, die Klangfarbe, dass man das Klavier als Teil des Orchesters einsetzt und sowohl den Körper als auch die Brillanz des Instruments bedenkt.

Wollen Sie dieses Klavierkonzert aufnehmen?

Wir sprechen seit gut 15 Jahren darüber. Bis jetzt haben Terminprobleme dazu geführt, dass alle Projekte untergegangen sind, manchmal lag es auch an mir. Natürlich kann man auf Aufnahmen auch versagen. Ich sage „man”, aber eigentlich meine ich „ich”; die Sache ist die, es muss einfach alles passen, damit das Resultat so gut wie möglich ist. So viele Aufnahmen von Ravel Klavierkonzerten haben in den letzten Jahren das Ziel verfehlt, weil sie zu schnell waren, mit einem schlechten Orchester, ohne den richtigen Dirigenten oder weil die Plattenfirmen einen Solisten und ein Ensemble zusammengewürfelt haben, die nicht zueinander passen. Bei Aufnahmen taucht man in jedes kleine Detail ein, wohingegen man sonst für das große Ganze spielt. Es ist so schwer, all diese Optionen aufeinander abzustimmen, also warte ich bis alle Stars bereitstehen bevor ich mich an eine Aufnahme heranwage.

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Dieses Interview wurde vom Orchestre Métropolitain of Montreal gesponsert.

Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz