Kahler Kopf und schwarze, hochgeschlossene Konzertuniform – der erste Eindruck verleiht Christoph Eschenbach die mystische Aura eines Musikpredigers. Die dunklen Augen strahlen allerdings Warmherzigkeit aus und machen sofort deutlich, hier ist kein gestrenger Musikerzieher am Werk, sondern ein Musikerklärer, der mit seinen Musikern auf Augenhöhe musiziert und der sich gemeinsam mit ihnen auf die Spurensuche macht, nach dem Besonderen in der Musik.
Im Februar feiert Christoph Eschenbach seinen 80. Geburtstag und denkt als Chef des Berliner Konzerthausorchesters in seiner ersten Saison noch lange nicht ans Aufhören. „Ich habe noch einmal in Berlin begonnen, weil es eine neue Herausforderung ist“, gibt Eschenbach zu. Dabei reizt ihn auch das musikalische Klima in der Kultur-Weltstadt Berlin. „Das schöne in Berlin ist, dass es kein Konkurrenzdenken zwischen den Orchestern gibt. Alle haben den gemeinsamen Anspruch Weltklasse zu sein.“
Vielleicht ist es auch eine Art Nachhausekommen für den Globetrotter Eschenbach, der schon als Kind erfuhr, was es bedeutet seine Heimat zu verlieren. 1940 in Breslau als Christoph Ringmann geboren, lernt er seine Mutter nie kennen. Sie stirbt bei seiner Geburt. Der Vater Heribert, ein Musikwissenschaftler in Breslau, stirbt im Strafbataillon während des Zweiten Weltkriegs. Am Ende des Krieges flieht seine Großmutter, die sich seither um ihn kümmert, mit dem Jungen nach Mecklenburg-Vorpommern, stirbt dort aber in einem Flüchtlingslager. Eine Cousine seiner Mutter rettet den Fünfjährigen auf dramatische Weise vor dem im Lager grassierenden Typhus und schenkt ihm gemeinsam mit ihrem Ehemann nicht nur eine neue Heimat in Schleswig-Holstein, sondern auch ihren Nachnamen, Eschenbach. Die Pianistin Wallydore Eschenbach ist es auch, die die Liebe zur Musik in dem Jungen weckt, der von den Erfahrungen der Flucht völlig traumatisiert ist und erst wieder zu sprechen beginnt, als er Musik macht.
Eschenbach lernt Klavier zu spielen und beweist schnell sein Talent. Später folgt eine spektakuläre Karriere als Konzertpianist. 1965 kommt er das erste Mal zu den Bamberger Symphonikern und spielt Schumanns a-Moll-Konzert. Der Grundstein für eine einzigartige künstlerische Beziehung ist gelegt. Neun weitere Male ist er als Pianist bei den Bambergern zu Gast und das, obwohl er sich damals in Wirklichkeit gar nicht als Solopianist sah. „Ich wollte eigentlich immer dirigieren, ich habe es ja auch schon in meinem Studium gelernt“, bekennt Eschenbach und so nutzt er seine Kontakte als Pianist zu den großen Dirigenten. Er wird Assistent von George Szell und lernt bei Herbert von Karajan. Von beiden habe er viel gelernt, sagt Eschenbach. „Aber Szell und Karajan sind ja zwei unterschiedliche Seiten der Medaille. Szell hat mir gezeigt, was der Begriff ,Klangrede’ bedeutet, den später ja auch Harnoncourt in seinem Buch treffend erklärt hat. Das heißt, wie man Musik erzählen lassen kann und wie man eine Partitur transparent macht.“ Karajan sei dagegen der Maler gewesen, der mit der Kunst der Farbübergänge die Musik in ein Aquarell verwandeln konnte. Die Ochsentour mit Kapellmeisterstationen an verschiedenen Opernhäusern lässt Eschenbach aus. Er debütiert 1972 in Hamburg und wenige Jahre später hat sich auch in Bamberg herumgesprochen, dass man Eschenbach nicht mehr nur als Pianisten einladen könnte. 1977 dirigiert er das Orchester zum ersten Mal. Auf dem Programm stehen Mozart-Werke, definitiv die Haffner-Symphonie, erinnert sich Eschenbach. Die Zusammenarbeit zwischen dem alten Bekannten in neuer Funktion und den Bambergern gelingt auf Anhieb gut: „Das Orchester hat es mir sehr leicht gemacht, meine musikalischen Vorstellungen mit ihm umzusetzen.“ So vertieft sich die künstlerische Beziehung zwischen Eschenbach, der sich immer stärker auf das Dirigieren konzentriert, und dem Orchester aus Franken.
In den folgenden Jahren legt Eschenbach eine beeindruckende internationale Dirigentenkarriere hin. Feste Engagements folgen in Zürich, Houston, Philadelphia, Paris und Washington. Legendär sind seine Einspielungen von Bach- und Mozart-Klavierkonzerten mit Justus Frantz und dem damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt. Ob es wieder mehr Politiker bräuchte, die Bach spielen könnten? „Es wäre ja schon schön, sich vorzustellen, dass jeder Politiker morgens eine halbe Stunde Bach hört. Ich bin überzeugt, das würde sicherlich einige Entscheidungen verändern“.
Auch der Auftritt mit dem National Symphony Orchestra in seiner Heimatstadt Breslau, bei dem er sich im Konzertsaal in goldenen Lettern verewigen durfte, sind für Eschenbach Momente, die ihm besonders wichtig sind. Doch trotz seiner Verpflichtungen in aller Welt – nach Bamberg kehrt Eschenbach immer wieder gerne zurück. „Mir gefällt das enge Familienleben bei den Bambergern. Das liegt vielleicht auch daran, dass das Orchester beides kennt, sowohl die Atmosphäre einer Kleinstadt als auch die der weiten Welt auf den viele Tourneen“, vermutet Eschenbach.
Als Bayerische Staatsphilharmonie sind die Bamberger ein wichtiger Kulturbotschafter Bayerns. Konzertreisen sind daher fester Bestandteil des musikalischen Kalenderjahres und auch Eschenbach tourt mit dem Orchester. Die Konzertreisen führten um die halbe Welt nach Frankreich, Japan, Nord- und Südamerika. Das Orchester spielte sowohl in der altehrwürdigen Carnegie Hall als auch 2016 im königlichen Opernhaus Maskat im Oman, das zu dem Zeitpunkt gerade einmal zarte fünf Jahre alt war. „Klassische Musik in Ecken der Welt zu bringen, in denen sie noch als exotisch angesehen wird, ist immer spannend und das Opernhaus in Maskat ist ein wunderbarer Bau mit einer sehr guten Akustik.“ Auch wenn man in der Carnegie Hall wie auf einem Präsentierteller sitzt, erinnert sich Eschenbach noch gut an das Konzert mit den Bambergern dort: „Wir haben damals Mahlers Fünfte gespielt, also ein Werk, das das New Yorker Publikum nun schon mehr als einmal gehört hat, aber das Orchester hat phänomenal gespielt mit großem Ausdruck und dann hatten wir am Ende stehende Ovationen. Das war ein sehr besonderer Moment.“
Seine Art, mit den Musikern auf Augenhöhe zu musizieren, obwohl Eschenbach in einer Zeit das Dirigieren gelernt hat, als das Bild der Pultautokraten, die ihre Orchester mit straffer Hand regierten, dominierte, bringt ihm viel Respekt ein. „Es gab Momente, die ich bei Szell beobachtet habe, die mir gar nicht gefallen haben“, erinnert sich Eschenbach. Doch seither habe sich einiges getan, was vor allem daran liege, dass die Orchester mit ihren Gewerkschaften für mehr Demokratie gesorgt hätten. „Karajan war ganz anders. Er war einer der ersten, der nicht mehr diktatorisch gearbeitet hat. Außerdem haben Dirigenten sowieso andere Dinge zu tun, als auf Musikern herumzutrampeln.“
Gerade diese warme, herzliche Art schätzt man auch in Bamberg, wo Eschenbach 2016 zum Ehrendirigenten ernannt wurde. Eine Position, die auch Herbert Blomstedt inne hat. Und auch zu seinem 80. Geburtstag gratulieren die Bamberger Eschenbach mit einem Konzert, das er selber leiten wird. Dass dabei überwiegend Beethoven auf dem Programm steht, ist für Eschenbach weniger Verpflichtung im Jubiläumsjahr des Komponisten, als eine Herzensangelegenheit. „Beethoven ist der besonderste aller symphonischen Komponisten“, sagt Eschenbach und eine gewisse Ehrfurcht mischt sich in seine Stimme. Neben Beethovens Fünfter Symphonie steht auch das Flötenkonzert des polnischen Komponisten Krzysztof Penderecki auf dem Programm. Die zeitgenössische Musik ist Eschenbach wichtig und die Musik von Penderecki schätzt er besonders.
Es ist kein Zufall, dass mit Stathis Karapanos ein junger Künstler an Eschenbachs Seite steht. „Karapanos ist ein weiteres Talent aus meinem Stall von jungen Künstlern“, schmunzelt Eschenbach. Das Fördern von jungen Talenten ist dem Dirigenten ein wichtiges Anliegen, da er selbst von seinen Mentoren so profitiert hat. „Ich hatte mit Szell und Karajan zwei der besten Mentoren, die man sich wünschen kann. Das möchte ich gerne weitergeben.“ Im Anschluss an das Geburtstagskonzert geht es dann für das Orchester mit seinem Dirigenten und dem Programm auf eine weitere Tournee, diesmal nach Warschau, Krakau und Stettin.
Auf die Frage, welches Werk er mit den Bamberger Symphonikern unbedingt noch aufführen möchte, sprudelt es aus Eschenbach regelrecht heraus. Im Moment beschäftige ihn Schostakowitschs Achte sehr. „Ich glaube, mit den Bambergern habe ich noch nie Schostakowitsch gespielt, das würde mich durchaus reizen und was manch einer vielleicht nicht vermutet, die Bamberger Symphoniker können auch französische Musik sehr gut.“ Es gibt also noch viel zu tun.
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Dieses Interview ist gesponsert von den Bamberger Symphonikern.