In der Episode, die eigentlich die vorletzte des langjährigen, amerikanischen Krimis Columbo sein sollte, erschien der schottische Schauspieler und Comedian Sir Billy Connolly als Findlay Crawford, ein Hollywood-Filmmusikkomponist, und zufälligerweise auch Tatverdächtiger. Er erklärt Peter Falks beliebtem, schmuddeligen Detektivcharakter, dass man Filmmusik nur dann bemerke, wenn sie schlecht sei. Denn ist die Musik, wie sie sein soll, dann bleibe sie nie im Gedächtnis, aber man erinnere sich daran, was sie zeige.
Komponist und Filmmusiker Bence Farkas war ein kleiner Junge in Ungarn, als diese Folge 2001 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, doch er erwähnt dieses Zitat in unserem Gespräch. „Ich glaube, das stimmt überhaupt nicht, aber viele Leute sagen es“, widerspricht er. „Ich will die tieferliegenden Schichten der Protagonisten zeigen, nicht nur, was man auf dem Bildschirm sieht, sondern, was in ihren Köpfen vorgeht. Ich mag es nicht, dass sich manche Leute gar nicht um das Publikum kümmern. Mein Ziel ist es, Zuschauern zu helfen, den Film besser zu verstehen und Details wahrzunehmen, die mir erst aufgefallen sind, als ich den Film ein paar Mal gesehen hatte.“ Die Schichten in Farkas‘ Musik werden am 15. Mai glanzvoll zu sehen sein, wenn seine Musik für den Stummfilm Az aranyember (Deutsch: Ein Goldmensch, 1918) vom Philharmonischen Orchester Győr unter der Leitung von Gergely Dubóczky im Rahmen der virtuellen Internationalen Bartók-Frühling-Kunstwochen aufgeführt wird.
Trotz des offensichtlichen frühen Einflusses fiktiver Filmkomponisten wollte Farkas nicht immer Musiker werden. Er wuchs in Várpalota, einer ehemaligen Minenstadt in Westungarn, in einer musikalischen Familie auf. Er ist das jüngste von drei Kindern; sein Vater lehrte Violine, seine Mutter Musiktheorie. Sein Bruder ist Perkussionist und seine Schwester Violinistin. Er bekam mit sechs Jahren zum ersten Mal Klavierunterricht, war jedoch überzeugt, dass er überhaupt nicht Musiker werden wollte, „Meine Eltern wollten aber, dass ich ein Instrument lernte“, erinnert er sich. „Zum Geburtstag wünschte ich mir immer, dass ich die Musikstunden aufgeben durfte.“
Nach zehn Jahren wurde sein Wunsch erfüllt und er lernte stattdessen in Budapest das Handwerkszeug zum Ton- und Elektroingenieur. Doch Farkas wurde schon bald wieder unruhig. Ihm wurde bewusst, dass er die Musik vermisste. Als er sein Studium an der Franz-Liszt-Musikakademie, wo er bei Hollywood-Komponist Ádám Balász studierte und dabei mit Studenten der Universität für Theater und Filmkunst und der Metropol-Universität Budapest arbeitete, beendet hatte, hatte er nun eine solide Basis in Komposition und Technologie und war bestens für die Feinarbeit der Filmmusikkomposition ausgerüstet.
„Wenn ich für den Film arbeite, habe ich einen technischen Standpunkt, deswegen benutze ich Computer und dessen elektronisches Rüstzeug, und das gefällt mir“, sagt er. „Computer haben mich immer interessiert, und ich benutze meinen oft. Ich bin vielleicht nicht der beste Komponist unserer Zeit – bin ich definitiv nicht – aber ich kann meine Kompositionswerkzeuge ganz gezielt auswählen, und das verschafft mir einen Vorteil. Wenn ich beispielsweise ein Problem habe, das ich nicht mit dem lösen kann, was ich online finde, kann ich selbst ein kleines Programm schreiben.“
Farkas verweist hier als Beispiel auf seine Experimente im Serialismus. Er schrieb ein Computerprogramm, das genau festhielt, wie er seine Noten platzierte und dass er sich an die strikten Regeln der Form hielt, sodass er sich ganz auf die Musik konzentrieren konnte, die er hören wollte. Es sind dieselben Fertigkeiten, die es ihm erlauben, sich über die Komposition hinaus auch in die Prozesse von Aufnahme, Mastering, Sounddesign und andere Aspekte der Filmdarstellung einzubringen. Er hat als Arrangeur, Komponist oder Musikdirektor für eine Vielzahl von Filmen gearbeitet und auch Musik für das Komödientheater und das Noir-Theater Budapest geschrieben. Auf Kommission des Bartók-Theaters Dunaújvaros komponierte er ein neues Musical, das auf Dickens‘ Oliver Twist basiert.
Farkas nutzt seine technischen Fähigkeiten auch für die Produktion von „Symphonic Live“-Veranstaltungen mit so prominenten, ungarischen Popbands wie Blahalouisiana und Brains, doch seine Arbeit bewegt sich überwiegend im Bereich Film und Theater. Seine Arbeitsmethoden reichen vom Sitzen am Computer über Komponieren auf Papier bis zur Rückkehr ans Klavier. Sie alle kamen während seiner Arbeit an „Blend 2020“ zum Einsatz, einem Gemeinschaftsprojekt des Fast Forward-Programms des Ungarischen Filminstituts und Voice Capture. Farkas wurde eingeladen, einen Teil eines Films musikalisch zu unterlegen – und das in nur fünf Stunden! Er erhielt den Auszug – ein 20-minütiger Ausschnitt aus Körhinta (Karussell, 1956) – am selben Morgen und machte sich an die Arbeit. Das Publikum konnte derweil nach Belieben ins Kino kommen und ihn beim Komponieren beobachten; die Vorführung war für den Nachmittag desselben Tages geplant. Diese Erfahrung, sagt Farkas, war nervenaufreibend. „Ich trage beim Arbeiten immer Kopfhörer und probiere viele verschiedene Sachen aus, die ich definitive niemandem zeigen will“, erzählt er mir. Lachend fügt er hinzu: „Ich habe ein bisschen geschummelt. Ich habe ein Thema von Schostakowitsch verwendet und es etwas verdreht.“
Ein Goldmensch, der Film, zu dem Farkas die Musik für die Internationalen Bartók-Frühling-Kunstwochen schrieb, verlangte nach einer ähnlichen Herangehensweise des Ausprobierens. Der Film aus dem Jahr 1918 (Regie: Sándor Korda) basiert auf einem bekannten Roman aus dem 19. Jahrhundert über einen Mann mit fantastischem Reichtum und gescheiterter Ehe, der nach dem Sinn des Lebens sucht. Farkas‘ Inspiration für seine Musik liegen sowohl in internationalen Traditionen und der klassischen Musik der Zeit als auch in zeitgenössischer Musik. Ein Goldmensch sei schon zum Ansehen ein anspruchsvoller Film, so Farkas. Wenngleich das generelle Tempo der Ereignisse langsam sei, könne es doch schwer sein, der komplexen Handlung und nicht-linearen Erzählung zu folgen. Die Herausforderung liege darin, die Musik so zu nutzen, dass sie dem Publikum den Film näherbringt. „Ich habe viele verschiedene Dinge ausprobiert“, sagt er. „Zuerst habe ich es mit einem Hollywood-Stil versucht, wie in einem zeitgenössischen Film. Das hat nicht funktioniert und ich habe nach zehn Minuten aufgegeben.“ Dann hat er es mit einer romantischen Herangehensweise probiert und, abermals unzufrieden, letztlich eine Vielzahl musikalischer Stile und Einflüsse vermischt.
Bei Dirigent Gergely Dubóczky liegt Farkas‘ Musik in den Händen eines Gleichgesinnten. Dubóczky arbeitet regelmäßig mit Bühnenwerken und ist ein Meister von Barock- sowie zeitgenössischer Musik. Wie Farkas weiß auch Dubóczky, dass verschiedenste Aufgaben auch verschiedenster Werkzeuge bedürfen. „Bence Farkas‘ Musik beschreibt wundervolle Welten und Charaktere, beschwört bekannte Welten verschiedener Kulturen und Komponisten herauf, aber auch unbekannte, neue Welten, die nur darauf warten, von uns entdeckt zu werden“, sagt der Dirigent. „Es ist eine großartige Herausforderung, diesen Reichtum darzustellen und diese zwei Kunstwerke aus einer zeitlichen Entfernung von 100 Jahren zusammen zu führen.“
Wenn ich mit den alten Stummfilmen und zeitgenössischer Filmmusik arbeite, suche ich immer nach den Verbindungen und wie die beiden Künstler einander reflektieren. Ich suche nach etwas Neuem, das ein aufregendes, neues Kunsterlebnis schafft. Natürlich sind wir strikt an die Zeit gebunden, mehr als üblich, doch das Schöne ist, die Freiheit in der Musik zu finden und all das natürlich und offensichtlich zu machen. Bences Musik verleiht Kordas Film ganz neue Dimensionen, und ich bin sehr dankbar für die Chance, die Premiere im Rahmen der Internationalen Bartók-Frühling-Kunstwochen am Budapester Kunstpalast (Müpa) zu dirigieren.“
Während man einem bereits existierenden Werk neue Dimensionen verleiht, sagt Farkas, so verbleibe die zentrale Verantwortung die gegenüber dem Publikum. Es gäbe Gelegenheit, herauszufordern, doch die größere Herausforderung sei, im Dienste der Narrative zu arbeiten. Und Findlay Crawfords Behauptungen gegenüber Lieutenant Columbo zum Trotz ergibt sich sehr wohl auch die Gelegenheit, denkwürdige Musik zu schreiben. „Zeitgenössische klassische Musik ist für Hörer sehr schwer verständlich, doch wenn man diese Art Musik in einen Film steckt, ist sie einfacher zu verstehen“, erklärt Farkas. „Eine Filmmusik funktioniert, wenn sie einem hilft, zusätzliche Ebenen eines Filmes zu verstehen.“
Dieser Artikel entstand im Auftrag von Wavemaker Hungary.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.