Bratschisten sind für Geiger was die Deutschen für Österreicher sind: (sehr angenehme) Nachbarn, über die wir uns gerne lustig machen. Es gibt einige Witze, die ein hartnäckiges Gerücht verbreiten: Bratschisten können nicht richtig stimmen, oder, um das Thema von einem anderen Blickwinkel zu betrachten, die Bratsche ist ein natürlich unstimmiges Instrument. Heutzutage gibt es ausreichend Gründe, um diese kindischen Sticheleien zu verwerfen. Dank virtuosen Solisten und großartigen Orchestermusikern hat die Bratsche viele Meister. Aber warum bleiben diese Witze so beliebt?

Antoine Tamestit
© Julien Mignot

Lassen Sie uns eine Zeitreise machen. Eine mögliche Antwort stammt aus einem Aufsatz des Flötisten Johann Joachim Quantz aus 1752. Geschrieben auf Französisch, verwendet Quantz nicht die moderne Bezeichnung „alto” (das bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht gebräuchlich war), aber es bestehen keine Zweifel daran, dass er über dieses Instrument spricht:

„Grundsätzlich wird die Violette (Viola da braccio) nicht als sehr wichtig in der Musik betrachtet. Der Grund dafür ist, dass sie anscheinend nur von Leuten gespielt wird, die nur mittelmäßige musikalische Talente besitzen, oder nicht talentiert genug sind, um herausragend auf der Violine zu werden; oder dass dieses Instrument denen zu wenig Möglichkeiten bietet, die dieses spielen, und aus diesem Grund wollen begabte Musiker nicht damit arbeiten.”

Quantz hat den Bratschisten ein Etikett zugeschrieben, dass über die Jahre hartnäckiger kleben bleibt als das Pflaster auf Kapitän Haddocks Finger in Tim und Struppi: Bratschisten sind nichts außer gescheiterte Violinisten. Der Akademiker bestärkt seine Theorie durch die Beschreibung eines Teufelskreises: Bratschisten sind mittelmäßig, deshalb versuchen Komponisten es nicht einmal, dieses Instrument hervorzuheben – das Gegenteil eigentlich – und als Folge davon, halten die langweiligen Partituren die Künstler in ihrer Mittelmäßigkeit fest. Und Quantz beendet seine Ausführung mit einem tödlichen Schlag: „Falls sie sich bemühen würden, könnten sie Schritt für Schritt ihr Glück finden, aber stattdessen stagnieren sie mit ihren Violettes bis ans Ende ihrer Tage.” Laut dieser These sind Bratschist der Abschaum der Musikgesellschaft und dazu verdammt, elendig auszusterben, erdrückt von ungestimmten Tönen.


Obwohl es keine offiziellen Aufzeichnungen gibt, die Quantz’ Aussagen über die Mittelmäßigkeit der Bratschisten seiner Zeit verifizieren könnten, bietet uns ein kurzer Blick in die Partituren dieser Epoche ein besseres Verständnis seiner Anschuldigungen. Bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts war das primäre Genre der Kammermusik die Triosonate, ein Ensemble, bei dem zwei „dessus” (Hauptmelodien) in mehr oder weniger gleichberechtigten Stimmen gespielt wurden, begleitet von einem Bass und einem polyphonen Instrument (wie zum Beispiel das Cembalo); die „dessus” waren oft zwei Geigen anvertraut, die im Grunde ein Quartett mit dem Cembalo bildeten, aber, wesentlich interessanter… ohne Bratsche. Später, als das Streichquartett zum essentiellen Kern der Orchestermusik wurde, wussten Komponisten zu Beginn oft nicht, was sie mit der Bratsche anstellen sollten. Sie setzten sie mehr oder weniger erfolgreich als harmonischen Füller ein, was nicht gerade zur Entwicklung des Instruments beitrug: Bratschisten blieben die lautlose Minderheit im Orchester.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts halfen einige frühe große Konzerte bei der Entwicklung der Bratsche, aber sie konnte noch immer nicht aus dem erdrückenden Schatten der Violine treten. Das beste Beispiel dieses Paradoxons ist die berühmt Sinfonia concertante von Mozart, wo die Geige und die Bratsche ausnahmsweise auf Augenhöhe spielen: in diesem innovativen Werk bedient sich der Komponist einer List, und empfiehlt dem Bratschisten, dass er sein Instrument um einen Halbton höher als üblich stimmt, um einen helleren Klang zu erzielen. Also um mit der Geige zu konkurrieren, muss die Bratsche ihrer eigenen Natur widersprechen? Mozart hat anscheinend einen musikalischen Darwinismus gestartet: Muss die Bratsche ihren genetischen Code verändern, um überleben zu können?

Autograph von Harold in Italien
© domaine public

Eine verneinende Antwort kommt von Hector Berlioz: Als der berühmte Violinist Niccolò Paganini ihn damit beauftragte, ein Konzert für Viola zu schreiben, weigerte sich der französische Komponist, ein Werk zu verfassen, das den damals üblichen Ansprüchen eines Geigenvirtuosen gerecht wurde. In Harold in Italien (1834) denkt sich Berlioz eine maßgeschneiderte Rolle für den vierten Musketier aus: Anstatt frenetisch Sechzehntelnoten aneinander zu reihen, glänzt die Bratsche als melancholischer Antiheld.

Berlioz verstand die einzigartige Ausdrucksstärke der Bratsche, etwas, das er zehn Jahre später in seinen Treatise on Instrumentation theoretisieren würde: „Von allen Orchesterinstrumenten ist das, dessen exzellente Eigenschaften am meisten missachtet werden, die Viola. Sie ist genauso flink wie die Geige, ihr Klang in den tiefen Lagen hat einen speziellen Biss, die hohen glänzen mit einem schwermütig leidenschaftlichen Akzent und ihr allgemeiner Klang besitzt eine tiefe Melancholie, anders als alle anderen Streichinstrumente.” Beeinflusst von Berlioz’ Theorien und den großartigen Anwendungen in Harold in Italien, haben es sich viele Komponisten erlaubt, von dieser „violistischen” Identität verführt zu werden. Ein jüngstes Beispiel ist das Viola Concerto von Jörg Widmann, ein wahrer Harold in Italien des 21. Jahrhunderts.


Obwohl die Bratsche in der Mitte des 19. Jahrhunderts an Anerkennung gewann, galt dies nicht für Bratschisten und die Witze auf ihre Kosten machten noch immer die Runde. In der Hierarchie der Musiker bleibt die Viola eine Art Ersatzrad des Geigers. Erst 1894 wurde erstmals eine Violaklasse am Conservatoire de Paris angeboten, das die Wichtigkeit eines spezialisierten Lernwegs abseits der Geige offiziell anerkannte. Schon bald erschienen die ersten großen Bratschenmeister in allen vier Winkeln Europas: Lionel Tertis (England), Paul Hindemith (Deutschland), Maurice Vieux (Frankreich) oder Vadim Borisovsky (UdSSR).

Anderthalb Jahrhunderte später hat sich der von Quantz beschriebene Teufelskreis in einen virtuosen Zirkel verwandelt: immer brillanter und beliebter inspirieren Bratschisten Auftragskompositionen, die das Repertoire erweitern… und inspirieren dadurch wiederum neue Meister dieses Instruments. Die Bratsche belegt nun einen speziellen Platz im Katalog wichtiger Komponisten, wie Béla Bartók oder Benjamin Britten. Dmitri Schostakowitsch hat 1970 sein Quartett Nr. 13 dem Bratschisten Borisovsky gewidmet und stellt ihn für den Großteil des Stücks ins Rampenlicht. Die Zeiten der Triosonate scheinen längst vorüber zu sein.


After the second part of the last century, viola players therefore happily “stagnate” with their instruments, when they are not leaving them to explore other avenues: Mathieu Herzog (ex-Quatuor Ébène) and Maxim Rysanov have recently added conducting to their list of artistic accomplishments. One could even start to get worried: after having endured for centuries the bullying of the other musicians, could it be that the mysterious viola players' faction might have gone off to conquer the world? It’s not impossible: the new Japanese Emperor, Naruhito, has already admitted openly that he is part of the circle of the viola practitioners…

Nach der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts „stagnieren” Bratschisten deshalb glücklich mit ihren Instrumenten, wenn sie diese nicht gerade verlassen, um andere Abenteuer zu bestreiten: Mathieu Herzog (ex-Quatuor Ébène) und Maxim Rysanov haben vor kurzem das Dirigieren ihrer Liste an künstlerischen Fertigkeiten hinzugefügt. Man könnte sogar anfangen, sich Sorgen zu machen. Nachdem sie jahrzehntelang das Schikanieren anderer Musiker ertragen haben, könnte es sein, dass sich eine mysteriöse Splittergruppe von Bratschisten aufgemacht hat, um die Welt zu erobern? Es scheint nicht unmöglich: der neue Japanische Kaiser, Naruhito, hat bereits offen zugegeben, dass er Mitglied dieses Zirkels an Violapraktikern ist…


Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.