Die Idee, an einem Abend durch die Aufführung dreier einaktiger Opern ein tragisches, ein lyrisches und ein heiteres Stück zu verbinden, begleitete Giacomo Puccini schon seit dem Jahr 1904. Ursprünglich hatte der Komponist vor, die Handlungen dieser geplanten drei Werke Dante Alighieris Göttlicher Komödie zu entnehmen, verwarf dieses Vorhaben aber, nachdem ihn 1912 die Inspiration für die erste der drei Opern – Il tabarro – während eines Theaterbesuchs in Paris ereilte. Basierend auf dem Stück La Houppelande von Didier Gold verfasste Giuseppe Adami das Libretto zum ersten, dem tragischen, Teil des Triptychons und Puccini stellte die Partitur 1916 fertig. Die Suche nach Stoffen für die weiteren Opern gestaltete sich in dieser Zeit allerdings als schwierig – geplante Kooperationen mit Librettisten verliefen im Sand und selbst die Suche nach Inspiration bei Charles Dickens, einem von Puccinis Lieblingsautoren, blieb erfolglos. Als ihm der junge Journalist und Autor Giovacchino Forzano jedoch einen Entwurf für ein in einem Kloster spielendes Stück zeigte, den er für eine fahrende Theatertruppe verfasst hatte, war der Komponist sofort begeistert und begann die Arbeit am lyrischen Werk seines Projekts: Sour Angelica.

Entwurf für ein Booklet-Cover von Peter Hoffer
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Kurz darauf war es wiederum Forzano, der Puccini für die Geschichte des Gianni Schicchi begeisterte und ihn so für den heiteren letzten Teil des Projekts auch wieder zurück zum ursprünglichen Plan, nämlich Inspiration bei Dante zu finden, führte. Das im April 1918 vollendete Werk blieb übrigens das erste und einzige, für das Puccini den Stoff eines klassischen italienischen Autors als Grundlage wählte; ein entscheidender Faktor dürfte die zunehmende Popularität Dantes zu jener Zeit gewesen sein. Während im 19. Jahrhundert nur vereinzelt Opern oder Theaterstücke auf Stoffe von Dante zurückgingen, entstanden alleine zwischen 1900 und 1920 über hundert solcher Bühnenwerke. In den Jahrhunderten davor galten eher Giovanni Boccaccio oder Francesco Petrarca als Inbegriff der italienischen Literaturtradition, seit der Einigung Italiens erlebten Dante Alighieri und sein Werk allerdings einen – auch durch politische und nationalistische Bestrebungen unterstützen – Aufschwung. 

„Der Poltergeist ist Gianni Schicchi; In seiner Wut zerfleischt er wen er antrifft. [...] unternahm Buoso Donati fälschend vorzustellen und so für ihn letztwillig zu verfügen.“ So kurz und knapp wird der Erbschleicher Gianni Schicchi im 30. Gesang des Inferno in Dante Alighieris Göttlicher Komödie im Achten Kreis der Hölle vorgestellt. Die Vorlage zu dieser Figur bildete der historische Ritter Gianni Schicchi de' Cavalcanti, der im 13. Jahrhundert lebte und dessen Geschichte zur Entstehungszeit der Göttlichen Komödie rund um Florenz vermutlich wohlbekannt war, sodass keine nähere Erläuterung notwendig war. Dass Dante angesichts einer vergleichsweise harmlosen Betrügerei rund um ein gefälschtes Testament Schicchi als wütenden Poltergeist direkt in den vorletzten Kreis der Hölle – nur ein weiterer Kreis der Hölle ist für noch schlimmere Verbrechen reserviert – verbannt, kann auf mehrere Gründe zurückgeführt werden. So sind persönliche Gründe denkbar, denn seine Frau Gemma stammte aus der Familie der über den Tisch gezogenen Donati; der Dichter rühmte sich überdies gerne seiner reinen, bürgerlichen Florentiner-Abstammung und verachtete den niedrigeren Stand, dem Gianni Schicchi wohl angehörte; außerdem war Dante ein Anhänger der Lehre von Thomas von Aquin, in dessen Theologieverständnis die Annahme einer falschen Identität ein Werk des Teufels ist. 

Florence Easton als Lauretta in der Premiere von Gianni Schicchi, 14. Dezember 1918
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Jenen Lesenden, die mit den historischen Ereignissen rund um Gianni Schicchi nicht vertraut sind, bietet erst ein im Anhang einer Ausgabe von 1866 erschienener Kommentar, als dessen Quelle ein anonymer Florentiner des 14. Jahrhunderts genannt wird, die nötige Hintergrundinformation, um die Vorgeschichte des Poltergeistes zu verstehen. Zugetragen haben soll sich nämlich Folgendes: Der schwerkranke Buoso Donati wollte ein Testament verfassen, wurde aber von seinem Sohn Simone immer wieder vertröstet, bis er schließlich starb. Aus Angst, dass sein Vater vor seiner Krankheit aber schon ein – für ihn selbst unvorteilhaftes – Testament verfasst haben könnte, hielt Simone den Tod zunächst geheim und bat Gianni Schicchi um Rat. Dieser war ein Meister der Nachahmung und ein guter Freund Donatis, weshalb er vorschlug, dass er als Buoso Donati verkleidet einem Notar das Testament nach Wunsch Simones diktieren würde. Tatsächlich vermachte Schicchi aber sich selbst im Rahmen dieser Farce auch ein kleines Vermögen und das beste Pferd im Stall; Simone konnte allerdings in Anwesenheit des Notars nicht widersprechen, da der Schwindel sonst aufgeflogen wäre.

Diese Version der Ereignisse nahm sich auch Giovacchino Forzano zum Vorbild, als er das Libretto für Giacomo Puccinis Opera buffa schrieb; statt eines einzigen Sohnes sind in der Opernhandlung aber mehrere Verwandte, von Neffen über Cousins und Cousinen bis hin zum Schwager, präsent – allerdings gibt es keine direkten Nachkommen, denn auch Simone ist hier lediglich ein Cousin. Im Gegensatz zur Vorlage findet die gierige Verwandtschaft nach Donatis Tod hier auch tatsächlich ein Testament, laut dem das gesamte Vermögen der Kirche vermacht wurde. Für den romantischen Touch sorgen zusätzlich die Figuren Lauretta, die Tochter Gianni Schicchis, und der aus der Donati-Familie stammende Rinuccio, die heiraten wollen. Die Zustimmung zur Hochzeit ist jedoch von seiner Tante Zita und dem angestrebten üppigen Erbe abhängig, da keine Mitgift von der zukünftigen Braut zu erwarten ist. Auch in der Oper vermacht sich Gianni Schicchi schließlich den Großteil des Vermögens selbst; die Verwandtschaft ist wutentbrannt, aber machtlos, Lauretta und Rinuccio können allerdings endlich heiraten und bekommen ihr Happy End. 

Das Libretto ist dabei voll von bösen Seitenhieben, die die Meute der Verwandtschaft in keinem guten Licht erscheinen lassen: So überbieten sie sich zunächst gegenseitig in falscher Trauer, nach dem Fund des Testaments stellt Zita etwa resignierend fest „Wer hätte je geglaubt, wenn Buoso unter die Erde kommt, daß wir echte Tränen weinen!“ und nach der Testamentsfälschung versucht sich die Familie beim Verlassen des Hauses auch noch schnell das Silber unter den Nagel zu reißen. Die Sympathien von Forzano liegen dabei klar auf der Seite von Schicchi, für den er am Ende der Oper deutlich Partei ergreift: „Hätte Buosos Vermögen in bessere Hände kommen können? Für diese Schelmerei hat man mich in die Hölle geworfen. Es sei! Aber mit Erlaubnis des großen Vaters Dante, wenn ihr euch heute Abend unterhalten habt, gewährt ihr mir wohl... mildernde Umstände.“

Bei der Komposition von Gianni Schicchi wählte Puccini eine – für seine Verhältnisse fast schon radikale – musikalische Sprache, in der Dissonanzen und harsche, unmelodische Passagen prägend sind; die Stilistik des Werks ist dabei unkonventioneller und durch vielfältigere Einflüsse geprägt, als jene früherer Schaffensperioden. Dennoch greift er auch in dieser Oper auf wiederkehrende Motive zurück, um Figuren, Situationen und Stimmungen zu charakterisieren. So erklingt etwa zu Beginn das Trauer-Motiv, das mit übertriebenen und vor allem unehrlichen Seufzern der anwesenden Verwandtschaft gespickt ist; später wird das Motiv von Schicchi zunächst durch Rinuccio eingeführt, als er die Idee hat, ihn um Rat zu fragen; es kehrt wieder, als der Protagonist an die Tür klopft. Die Sympathien Puccinis werden auch durch die Wahl der Tonarten klar, denn während rund um Gianni Schicchi, Lauretta und Rinuccio helles Dur dominiert, wird die Scheinheiligkeit der Donatis häufig durch gedämpftes Moll ausgedrückt. Die Gegensätze der aufeinanderprallenden Figuren verdeutlicht der Komponist außerdem, indem die musikalisch spitzen und harten Motive der hinterhältigen Donatis im starken Kontrast zur lyrisch-romantischen Klangwelt des Liebespaares Rinuccio und Lauretta stehen. 

So bietet die Arie „O mio babbino caro“, der veritable Schmachtfetzen, der für sich alleine stehend dank Präsenz in Werbung und Filmen mittlerweile viel bekannter ist als die ganze Oper, die volle Dosis an melodischem Herzschmerz. Gewieft manipuliert Lauretta ihren Vater Gianni Schicchi – und das Publikum gleich mit – mittels auf die Spitze getriebener opernhafter Melodramatik. Ob Puccini nun der Versuchung, einen (Kassen-)Schlager in idealer Schallplattenlänge zu komponieren, schlichtweg nicht widerstehen konnte, oder ob er mit der Arie ganz bewusst eine augenzwinkernde Parodie auf die zuweilen völlig absurde und naive Gefühlswelt von Opernfiguren schaffen wollte, sei an dieser Stelle dahingestellt. Denn aus welchem Grund auch immer: Emotionale Erpressung kann wohl nicht schöner klingen als in der von den Streichern süßlich begleiteten Ankündigung von Lauretta, im Arno sterben zu wollen, wenn sie Rinuccio nicht heiraten darf.