Beethoven und Haydn standen auf dem Programm, mit dem das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks in eine Spielzeit startete, die die erste geplante Corona-Saison sein wird. Es ist die 88. Symphonie von Joseph Haydn, eine Symphonie, deren ohrwurmartige Leichtigkeit so stark im Kontrast steht zur deprimierenden Situation, in der sich die Kultur im Moment befindet. Leonard Bernstein hat sie in den frühen 80er-Jahren bei den Wiener Philharmonikern dirigiert. Den letzten Satz, das Allegro con spirito, dirigierte er dabei eigentlich gar nicht, beziehungsweise nur mit seinen Augen und einem verschmitzten Lächeln – eine wahre Sternstunde des Nicht-Dirigierens. Wenn man dann den vollbesetzten Saal des Musikvereins in Wien im Hintergrund sieht, wird einem schmerzlich bewusst, wie anders die Kultur in der Saison 2020/21 werden wird.

Ja, die neue Saison hat für viele Orchester und Theater in Deutschland wieder begonnen. Aber statt Unbeschwertheit bestimmen aktuell der rechte Sitz von Masken, die Abstände zwischen den Zuhörern und die permanente Durchlüftung der Konzertsäle das Geschehen. Welche Regeln dabei allerdings gelten, ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich und hängt darüber hinaus damit zusammen, welche Hygienekonzepte die einzelnen Spielstätten erarbeitet haben. Seit dem 1. September spielt man auch wieder im Großen Saal der Elbphilharmonie vor bis zu 628 Zuschauern. Das Programm ist dabei vielerorts auf maximal 90 Minuten gekürzt. Besonders in den Opernhäusern sorgt das für Kopfschmerzen und kreative Wege gleichermaßen. In der Semperoper gibt es konzertante „Opern- und Ballett-Essenzen“, die in 90 Minuten das Wesentliche auf den Punkt bringen. Im Oktober sind das zum Beispiel Madama Butterfly, Tosca oder Don Giovanni.

Auch das BRSO hat umdisponiert. Großbesetzte Werke von Bruckner oder Mahler wird es bis Jahresende sicher nicht geben. Nicht optimal, allerdings vielleicht auch eine Chance. „Natürlich erwartet das Publikum das spätromantische Repertoire von uns, zurzeit sind aber eben Werke von Mozart, Haydn oder auch Bach viel eher zu realisieren und man hat die Möglichkeit, als großes Orchester auch mal ein Repertoire zu spielen, das sonst vielleicht zu kurz kommt“, sagt Norbert Dausacker, Hornist und Mitglied im Vorstand des Orchesters. Etwas bürokratisch heißen die Programme des BRSO bis zum Jahresende „Alternativkonzerte“ und auch in der Münchner Philharmonie werden die Musiker vorerst in spärlich besetzte Reihen blicken müssen. Aktuell sind 200 Gäste zugelassen. Womöglich könnten es bald 500 werden. Und so traurig es ist, dass es kaum Publikum gibt, das größere Problem liegt für die Musiker auf der Bühne. „Wir Blechbläser müssen zwei Meter Abstand halten, die Streicher wenigstens eineinhalb Meter. Im Fußball würde man sagen, wir müssen uns auf die alteingesessenen Laufwege verlassen. Klassische Musik ist dazu gedacht, dass man sich quasi gegenseitig auf dem Schoß sitzt und aufeinander hört. Aktuell ist das unglaublich schwierig“, sagt Dausacker. Außerdem sind Konzertsäle akustisch darauf ausgelegt, dass das Auditorium mehr als nur sporadisch besetzt ist. „Aber obwohl die Situation allgemein natürlich furchtbar ist, auf der Bühne herrscht für uns Musiker dieselbe Energie, als wenn wir für ein volles Haus spielen.“

Das ist erstaunlich, vor allem wenn man sich klar macht, welche bürokratischen Hürden hinter jeder einzelnen Aufführung stecken. Beim Bayerischen Rundfunk prüft eine interne Task Force die Projektplanung, prüft, ob Hygienekonzepte und Bühnenpläne den behördlichen Vorgaben entsprechen und umsetzbar sind. Auch Mitarbeiter der Arbeitsschutzbehörde und der Betriebsarzt sind in den Prozess eingebunden. Und am Ende haben die örtlichen Gesundheitsbehörden auch ein Wörtchen mitzureden. Für die Musiker sind die Auswirkungen bisher noch gering. Natürlich gilt Maskenpflicht beim Auf- und Abtritt, striktere Konzepte, wie sie bei den Salzburger Festspielen zur Anwendung kamen, sind beim BRSO nicht geplant – vorerst. „Natürlich haben wir auch die Möglichkeit geprüft, eine Sicherheitsblase zu bilden, das heißt, regelmäßige Corona-Tests und ein Kontakttagebuch. Das Problem ist allerdings, dass unser Alltag nicht mit dem Salzburger zu vergleichen ist.“ Statt eines begrenzten Festivalzeitraums ist der Orchesterbetrieb des BRSO alltäglich.

Sir Simon Rattle dirigierte das BRSO im Juli
© Astrid Ackermann

Aber auch in München steigen die Fallzahlen mittlerweile so stark an, dass Oberbürgermeister Dieter Reiter sich gezwungen sah, wieder auf strikte Kontaktregelungen zu setzen. Pünktlich zum Saisonstart des BRSO reduzierte Reiter die Zahl der Personen, die sich gemeinsam im öffentlichen Raum aufhalten dürfen, von zehn auf fünf, ausgenommen selbstverständlich größere Familien. Das gilt vorerst für die kommenden sieben Tage und noch sind Veranstaltungen, wie Konzerte, nicht betroffen, da hier ein Veranstalter mit seinem Hygienekonzept für ausreichend Abstand sorgt. Dennoch, sollte sich die Situation dementsprechend weiter entwickeln, ist es fraglich, wie lange der Konzertbetrieb unter gleichen Bedingungen stattfinden wird. Orchestermanager Nikolaus Pont ist sich der Situation bewusst: „Durch die Erfahrungen während der schrittweisen Rückkehr zum Orchesterbetrieb nach dem Lockdown im März und April sehen wir uns dafür gewappnet, gegebenenfalls wieder verstärkt kleinere Aufführungsformate zu forcieren. Wenn das Orchester im Ernstfall wieder hinter verschlossenen Türen spielen muss, bietet der BR darüber hinaus einem großen Publikum die Möglichkeit, Konzerte und weitere Formate über seine diversen Ausspielwege zu erleben.“ Konkret heißt das, kommt es zum Äußersten, gibt es eben wieder Übertragungen aus dem digitalen Konzertsaal. Für Dausacker gilt es, das mit aller Macht zu vermeiden: „Meine Frau ist wie ich Musikerin und für uns beide gab es in unserem Leben keine derart lange Pause, in der wir unser Instrument nicht spielen konnten. Es ist nicht das Gleiche, nur für sich zu Hause zu spielen. Um Ihr Niveau halten zu können, brauchen Sie die Aufführungssituation.“

Pont wünscht sich als Zwischenfazit aus der andauernden Corona-Zeit, dass die Politik einsieht, dass der Kunst- und Kulturbetrieb nicht weniger wichtig ist als die Rettung von Fluglinien. „Es ist mir wichtig, dass wir es in dieser Saison schaffen, gemeinsam mit anderen Menschen in den Konzerten die Welt da draußen, wenigstens für eine kurze Zeit, Welt sein lassen.“

Ob die geplanten Konzertreisen des Orchesters klappen werden, ist fraglich. Mit Zubin Mehta soll es Anfang des Jahres eigentlich unter anderem nach London und Paris gehen. Wenn man bedenkt, dass das Gastspiel im Oktober in Köln schon wie ein Abenteuerausflug anmutet, ist die Tour durch Europa eher unwahrscheinlich. Dausacker freut sich jetzt erstmal darauf, überhaupt spielen zu dürfen: „Ich würde mir wünschen, dass die Saison trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer besonderen Umstände eine ganz besondere wird. Nach dieser langen Pause und den vielen wechselnden Besetzungen ist es tatsächlich richtig spannend zu erleben, wie das Zusammenspiel funktionieren wird.“ Und vielleicht motiviert das Gastspiel in Nordrhein-Westfalen dabei zusätzlich, denn anders als im strengen Bayern erlaubt das Hygienekonzept in der Kölner Philharmonie immerhin 1.000 Gäste – vorausgesetzt, die Lage bleibt stabil.