„Florenz, edelste unter den Städten Italiens…“ – so beginnt Giovanni Boccaccio mit seiner Biografie über Dante Alighieri, dem berühmten florentinischen Poeten und „Vater der italienischen Sprache“. Und wahrlich war das späte 13. und frühe 14. Jahrhundert eine Zeit, in der Florenz aufblühte, in der die Stadt immer mehr zu jener wurde, wie man sie noch heute kennt. Die Einwohnerzahlen stiegen rasant, die Befestigungsmauern der Stadt mussten erweitert werden und für zahlreiche, heute so berühmte Bauwerke, wurde der Grundstein gelegt. Ende des 13. Jahrhunderts wurde der Bau an der Kathedrale Santa Maria del Fiore, am Palazzo Vecchio und an den Basiliken Santa Croce und Santa Maria Novella, begonnen. Sie sollten das Stadtbild nachhaltig prägen.
Doch neben all den Errungenschaften gab es auch eine Schattenseite. Florenz und die Toskana waren dem Schussfeuer ausgesetzt und geplagt von steten Kämpfen zwischen allerlei verfeindeten Parteien – die Guelfen kämpften gegen die Ghibellinen, die Kirche gegen das Kaiserreich, und selbst untereinander zogen sich die Fehden durch. Die Zeit war geprägt von Diffamierungen und innerparteilichen Kämpfen, man galt als des einen Anhänger und somit als Feind des anderen. Blutvergießen und Verwüstungen, ständige Feuer und die weiter voranschreitende Zerstörung der Städte gehörten zur Tagesordnung. Dem konnte sich auch Dante nicht entziehen und musste letztlich schwere Konsequenzen ziehen.
Dante Alighieri wurde 1265 in Florenz geboren, in eine Familie, die dem guelfisch gesinnten Stadtadel angehörte. Über seine Familie, seine Eltern und ebenso seine Frau Gemma Donati, mit der er vier Kinder hatte, ist jedoch nur wenig bekannt – sie wurden in seinem Werk geradezu übergangen.
Dantes Leben ist von diversen politischen Auseinandersetzungen gekennzeichnet. Neben dem Anstreben einer politischen Karriere, dem Aufstieg und der Beteiligung in diversen Stadträten, beteiligte er sich am Kampf der guelfischen Bürgerwehr in der Schlacht von Campaldino (1289–1290), bei der die Florentiner Guelfen den zuvor an die Macht gekommenen Ghibellinen eine schwere Niederlage zufügten.
Er zählte sich zu den kirchenfreundlichen, die Ansprüche des Papstes vertretenden Guelfen, die sich jedoch um 1300 untereinander, in die Neri (schwarze Guelfen, die Autonomie Florenz gegenüber dem Papst wollten) und Bianchi (die kompromissbereiter und gemäßigter eingestellten weißen Guelfen) spalteten. Zu den letzteren zählte sich auch Dante, obwohl der Anführer der Schwarzen, Corso Donati, der Cousin seiner Frau Gemma war.
Die immer weniger überschaubaren politischen Lager, Spaltungen untereinander in gemäßigte und radikalere Anhänger, gipfelten um die Jahrhundertwende, nach Besuch eines päpstlichen Legaten in Unruhen, woraufhin die Stadt mit dem Kirchenbann belegt wurde. Da Dante und seine politischen Mitstreiter sich dem päpstlichen Willen widersetzen, wurde er schließlich 1302 aus Florenz verbannt. Für den Fall seiner Rückkehr drohte der Tod auf dem Scheiterhaufen. Seine Frau und Kinder folgten ihm nicht.
Aus seinem geliebten Florenz verbannt, befand er sich in jener Mitte seines Lebens, wie er es in den ersten Versen der Göttlichen Komödie beschreibt: vom rechten Wege abgekommen.
La Commedia oder La Divina Commedia, wie sein wichtigstes Werk erst posthum betitelt wurde, ist nicht nur das bedeutendste Werk der italienischen Literatur, sondern auch nicht aus der Weltliteratur wegzudenken. Es brachte ihn anhaltenden Ruhm und den Titel „Vater der italienischen Sprache“ ein. Die Göttliche Komödie schrieb er nicht, wie damals üblich, in Latein, sondern in der italienischen Volkssprache, genauer im toskanischen Dialekt, und begründete diese so als Schriftsprache in der Literatur.
Neben der Commedia gehören wohl seine Rime und Vita Nuova zu den bekanntesten Werken. Beide beschäftigen sich mit der Liebesthematik, aber besonders in seinem Jugendwerk Vita Nuova (Das neue Leben) berichtet von der so schicksalshaften Begegnung mit Beatrice, „la gloriosa donna della mia mente“ (der hehren Herrin meiner Seele). Sie wird zur Muse und zum Idealbild des Weiblichen erhoben und schien ihn Zeit seines Lebens nicht mehr loszulassen. Auch sie ist es, die ihn zusammen mit dem römischen Dichter Vergil durch die drei Jenseitsreiche geleitet und am Ende in eine Art Gotteserkenntnis gipfelt.
Doch beginnen muss er seine Reise durch die Totenreiche mit der Hölle und dem Weg durch das Purgatorium und beeinflusste die westliche, christlich geprägte Vorstellung vom Jenseits nachhaltig. Zahlreiche Künstler*innen ließen sich von diesem Versepos zu ebenso fantasievollen wie erschreckenden Illustrationen inspirieren. Von Sandro Botticelli, über Gustave Doré bis hin zu Salvador Dalì – sie alle geben nicht nur Einblick in Dantes Höllenvisionen, sondern auch in die eigenen Seelentiefen.
Dante, gleichermaßen Autor und Protagonist, beschreibt diese Reise als Folge einer Krise, einer mid-life crisis sozusagen, die wohl nicht zuletzt auf sein Exil zurückzuführen ist und die er, wie die ersten Zeilen des Inferno verraten, in der Mitte seines Lebens antritt:
“Nel mezzo del cammin di nostra vita
mi ritrovai per una selva oscura
che' la diritta via era smarrita.”
(Auf der Hälfte des Weges unseres Lebens
fand ich mich in einem finsteren Wald wieder,
denn der gerade Weg war verloren.)
Die Hölle des Dante Alighieri ist ein riesiger Trichter, der sich bis zum Erdmittelpunkt erstreckt und welcher, laut Dante, durch Luzifers Fall auf die Erde geformt wurde. Die Masse, die der riesige Krater freigab, formte den Läuterungsberg, auf dem die toten Seelen ihre Sünden bereuen.
Nicht nur die Persönlichkeiten, denen Dante und Vergil begegnen zeichnen ein eindrucksvolles Bild der florentinischen Gesellschaft des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts, auch die Architektur des Inferno, dem bekanntesten der drei Teile, mit seinen neun Höllenkreise, der Vorhölle und zahlreichen Zwischenstufen (wie z.B. im berüchtigten Malebolge, dem achten Höllenkreis), in die Dante akribisch alle Sünder nach Vergehen und Schwere ihrer Schuld verteilt, lassen auf ein Magnum opus schließen, dessen man sich nur langsam erschließen kann. Dante scheint die Konflikte seiner Zeit, die weit verzweigten und komplexen Auseinandersetzungen der verschiedenen politischen Lager und deren Angehöriger auf einfache Weise einordnen zu wollen. Aber auch Einzelpersonen finden bei ihm Gehör, wobei er seine eigenen Gefühle nicht immer unterdrücken kann. Von mitleidsvoller Trauer beim Anblick Francesca da Riminis bis hin zu wütenden Ausbrüchen in den Verbrechern in dem Malebolge erlebt er auf seiner Höllenreise alle Gefühlsregungen. Er ist kein unparteiischer Richter, sondern allzu sehr von seinen eigenen Empfindungen geleitet, jedoch ohne zu moralisieren – er entschuldigt nicht, beschuldigt aber auch nicht.
Eine besonders bedrückende theatralische Drohkulisse ist der tiefste Kreis des Infernos. Hier brennt kein ewiges Höllenfeuer, es herrscht eisige Kälte. In diesem Kreis sieht Dante die Verräter und lässt Luzifer als dreiköpfiges Biest erscheinen – mit den Köpfen des Judas, Brutus und Cassius – die Verräter an Jesus und Cäsar. Doch Luzifer selbst äußert sich nicht. Er schweigt und so schnell sie am untersten Punkt angekommen sind, verlassen sie ihn wieder. „E quindi uscimmo a riveder le stelle.“ („Die Dichter verlassen die Hölle und sehen wieder die Sterne“) – so endet das Inferno plötzlich – ohne Fazit, ohne Moral.
Dante überlässt es oft seiner Leserschaft, über das Erlebte selbst zu urteilen. Die Commedia ist voller politischer Anspielungen, Zeitbezüge und voller Persönlichkeiten, die er bewundert, aber auch jene, die er verabscheut. Es ist ein Universum, das es zu erforschen gilt, bei dem sich Dantes persönliche Ansichten erschließen, wie beispielsweise am Ende der Szene mit Ugolino della Gherardesca, als er Pisa verwünscht und man in diesen grausamen Fluch leidenschaftlichen Hass auf die Feinde erkennt, die jegliche Aussicht auf seine Rückkehr in seine Heimatstadt Florenz zunichte machen.
Bei der Frage nach Dantes Bedeutung als Philosoph sind die Meinungen gespalten. Während er für manche als erste große Dichterpersönlichkeit der Neuzeit gilt, betrachten andere sein Denken als veraltet und teilweise von seinen Vorgängern überkommen. Zu Dantes weiterem Werk gehören moralphilosophische und politische Schriften, wie De Monarchia und Il convivio (Das Gastmahl), aber auch philologische Abhandlungen über die italienische Sprache, wie De vulgari eloquentia. Besonders im Gastmahl, dem ersten bedeutenden, in italienischer Volkssprache abgefassten philosophischen Werk, das sich besonders an Laien richtet, scheinen seine philosophischen Ansichten durch. So beschreibt er, wie nach dem Tod Beatrices die Philosophie zur neuen „Herrin seines Geistes“ wurde. Die Philosophie gilt hier als Suche nach der Wahrheit, dessen Zweck es sei „jene hocherhabene Liebe, die keine Unterbrechung und keinen Mangel kennt, die wahres Glück ist, das in der Betrachtung der Wahrheit erworben wird“. Dante, als frommer Christ, redet von der Liebe zu Gott und sieht Religion und Philosophie als „liebevollen Umgang mit der Weisheit“ eng verwoben. Für ihn ist Gott weise und gerecht und hat die Hölle aus Liebe zu eben dieser Gerechtigkeit eingerichtet. In ihr bewegt sich Dante als Irrender, aber auch Lernender, und macht sich zum Protagonisten seiner eigenen Werke und seiner eigenen Wahrheitssuche. Immer im Hinblick auf das gesellschaftliche und politische Geschehen seiner Zeit wird er zum Chronisten, wenn auch stilisiert, und ist dabei nicht nur erzählendes und lyrisches Ich, sondern auch lehrendes Ich – stets mit hohem ethischen Anspruch.
Dantes Bedeutung war bereits wenige Jahre nach seinem Tod gefestigt – zahlreiche Kommentare zur Commedia entstanden und durch Boccaccios Biografie wurde sein Vermächtnis nochmals untermauert. Dieser war es auch, der seinem Hauptwerk den Zusatz „Divina” gab – ein wahrlich göttliches, inspirierendes Werk von höchster dichterischer Qualität.
Die Göttliche Komödie formte nicht nur die Vorstellung der Hölle im Mittelalter und der bevorstehenden Neuzeit, sondern inspirierte seitdem zahlreiche Künstler*innen, nicht bis zuletzt ins 21. Jahrhundert. So gibt es zahllose literarische Referenzierungen – von John Milton über T.S. Eliot bis hin zu Dan Brown; Visualisierungen seiner Höllenvisionen in bildender Kunst, Auguste Rodins Höllentor sei hier als eines der beeindruckendsten Beispiele genannt – die Aufarbeitung des Danteschen Stoffs ist mannigfaltig.
Und auch die klassische Musik konnte sich dem Faszinosum Commedia nicht entziehen. Von Opern wie Puccinis Gianni Schicchi, der bei Dante nur kurz erwähnt wird bis hin zur wahrlich schauerlichen Dante-Symphonie Franz Liszts – die musikalischen Verarbeitungen sind epochenübergreifend. Die Oper Frankfurt führte erst kürzlich Lucia Ronchettis Auftragswerk Inferno auf, welches Dantes Höllenreise zwar ohne seinen Begleiter Vergil beschreiten lässt, dabei aber besonders auf seine innere Stimme in den Fokus legt.
Auch 700 Jahre nach Dantes Tod im Exil in Ravenna bleibt seine Göttliche Komödie ein Werk, das uns in seinen Bann zieht. Wie kein zweites ist es phantastisch und exzessiv, unvergleichbar und hoch politisch. Und auch das Leben und Wirken seines Autors, seiner fortwährenden Liebe für Beatrice und seine politischen Verstrickungen lassen uns nicht kalt – sie faszinieren, sie berühren und sie inspirieren!