Es war noch nie leicht als Komponist seinen Lebensunterhalt zu verdienen, besonders wenn man keinen reichen Förderer hat. 1791 verstarb Mozart verarmt in Wien. Ein Jahrzehnt später kam Ludwig van Beethoven in derselben Stadt gerade so über die Runden. Er genoss die gelegentliche Schirmherrschaft und verkaufte einen Teil seiner Musik an Verleger, aber was er wirklich brauchte, war ein Benefizkonzert – kurzum, ein Fundraising-Konzert für sich selbst.
Es dauerte Jahre, bis man sich ein solches Konzert verdient hatte, aber im Dezember 1808 ergab sich die Möglichkeit am Theater an der Wien. Es war ein ausgezeichnetes Theater, gerade einmal sieben Jahre alt, groß, mit einer hinreißenden Akustik. Die Allgemeine musikalische Zeitung bezeichnete es als das „gemütlichste und befriedigendste in ganz Deutschland” (zu der Zeit waren damit alle deutschsprachigen Gebiete gemeint). Etliche Werke Beethovens wurden hier uraufgeführt, unter anderem die Zweite und die Eroica-Symphonie, das Violinkonzert und Leonore, die originale Fassung seiner einzigen Oper, Fidelio, er kannte das Theater also sicherlich gut. Tatsächlich bewohnte er sogar einige der Räumlichkeiten zwischen 1803-04 während er seine Oper komponierte (worauf eine Gedenktafel an der Fassade des Theaters hinweist).
Leider waren die einzigen verfügbaren Termine während des Advents oder des Lenzes (wenn Opernvorstellungen verboten waren) und die Konkurrenz war gnadenlos. Joseph Hartl, Direktor des Theaters, erlaubte Beethoven schlussendlich das Theater für sein Konzert am 22. Dezember 1808 zu benutzen. Am 17. Dezember erschien eine Anzeige in der Wiener Zeitung, die das Konzert als „musikalische Akademie”, ein damals gebräuchlicher Ausdruck für ein Konzert, beschrieb.
Und was für ein Konzert es war! Stellen Sie sich vor, die Fünfte Symphonie zum ersten Mal zu hören, einem ikonischen Werk zu begegnen, das den symphonischen Staub abschüttelte und die musikalische Welt in Aufruhr versetzte. Und jetzt stellen Sie sich vor, diese im gleichen Konzert wie die Pastorale zu hören. Und dem Vierten Klavierkonzert. Und der Chorfantasie. Heute unvorstellbar, wurden alle vier Werke bei der Akademie 1808 uraufgeführt, sogar mit Beethoven als Solopianisten, aber das war noch nicht alles. Er füllte das Programm mit weiteren Werken: der Konzertarie „Ah! Perfido”, einer improvisierten Solofantasie für ihn selbst am Klavier, und zwei Sätzen (Sanctus und Gloria) aus seiner Messe C-Dur, welche 1807 in Eisenstadt Premiere gefeiert hatte. Diese zwei Sätze wurden jedoch nicht im Vorhinein angekündigt, da die Aufführung von Kirchenmusik in Theatern verboten war! Kein Wunder also, dass der Abend über vier Stunden dauerte! Derartig lange Programme waren damals jedoch üblich, es lag also nicht daran, dass Beethoven versuchte, so viel wie möglich an einem Abend unterzubringen.
Die Ansetzung eines vierstündigen Konzerts nur einige Tage vor Weihnachten führte zu einem unausweichlichen Problem – es gab keine Heizung im Theater an der Wien und es war bitterlich kalt, die Bedingungen für das Publikum und das Orchester waren eine Zumutung. Die Sopranistin zitterte vor Kälte, obwohl in ihrem Fall waren es vielleicht doch die Nerven, da sie sehr kurzfristig eingesprungen war, um „Ah! Perfido” zu singen. Beethoven hatte die ursprünglich vorgesehene Sopranistin, Anna Milder, vergrämt.
Beethoven hatte auch Probleme, ein anständiges Orchester zusammenzuwürfeln. Normalerweise hätte er Zugang zum professionellen Orchester des Theaters an der Wien gehabt, aber viele Mitglieder hatten sich bereits der Tonkünstler-Societät verpflichtet, einer wohltätigen Gesellschaft für die Witwen und Waisen von Musikern, die am selben Abend ein Konzert am Burgtheater gaben. Amateurmusiker mussten daher die Lücken im Ensemble füllen. Dieses Benefizkonzert könnte ebenfalls Einfluss auf die Größe des Publikums bei der Akademie Beethovens gehabt haben, sowie auch der Ticketpreis: zwei Gulden waren mehr als ein Wochenlohn vieler Arbeiter.
Unter diesen Umständen war es nicht weiters verwunderlich, dass sein ehrgeiziges Konzert nicht ganz so gut wie erhofft ankam. Erstens gab es viel neue Musik zu verdauen. Der Kritiker der Allgemeinen musikalischen Zeitung schrieb: „Alle diese Stücke nach dem ersten Hören zu beurteilen, vor allem wenn man die Sprache von Beethovens Werken berücksichtigt, und dass alle hintereinander gespielt wurden, und beinahe alle so gewaltig und lang waren, ist regelrecht unmöglich.”
Selbst unter den Anhängern Beethovens gab es Zweifel. Komponist und Kritiker Johann Friedrich Reichardt beschrieb das Konzert als Beweis „dass man zu viel des Guten haben kann, besonder von etwas so Mächtigem”.
Das Orchester, das Beethoven zusammengekratzt hatte, hatte wahrlich keinen gelungenen Abend, ein Kritiker ging sogar noch weiter und beschrieb es als ”in jeder Hinsicht mangelhaft”, aber es war Beethoven selbst, der die schärfste Kritik abbekam. Der Komponist war zu dieser Zeit beinahe vollkommen taub. Tatsächlich war die Akademie seine letzte öffentliche Vorstellung als Pianist. Seine Aufführung des Klavierkonzerts Nr. 4 G-Dur schien gut zu laufen, wie auch die improvisierte Fantasie (die später niedergeschrieben und als Fantasie g-Moll, Op.77 veröffentlicht wurde).
Aber die Chorfantasie – komponiert, um alle Mächte des Abends in einem großen Finale zu bündeln – war ein komplettes Desaster. Sie war kaum vollendet, die Tinte war noch feucht, als Beethoven die Partitur mit den Musikern in einer nur allzu kurzen Probe durchging. Dabei hatte Beethoven zugestimmt, die zweite Variation ohne Wiederholungen zu spielen… aber in der Hitze des Gefechts vergaß er darauf und spielte die Wiederholung, unbeirrt vom Orchester, das ohne ihn weiterspielte! Beethoven verlangte wütend, nochmals von vorne zu beginnen. (Er gab später seinen eigenen Fehler zu, um das Orchester in Schutz zu nehmen.)
Trotz all dieser Irrungen und Wirrungen berichtet Reichardt, dass Beethoven durch die Akademie „seinen ersten und einzigen Gewinn des gesamten Jahres” einnahm. Stellen Sie sich vor, die Umstände wären anders gewesen, wenn es wärmer im Theater gewesen wäre; wenn das Orchester des Theaters an der Wien verfügbar gewesen wäre und es ausreichend Probenzeit gegeben hätte.
In dieser Jubiläumssaison, zum 250. Geburtstag Beethovens, stellen viele Orchester diese Akademie von 1808 nach – unter anderem die Wiener Symphoniker, das Philharmonia Orchestra London, das Balthasar-Neumann-Ensemble, das BBC NOW und die Welsh National Opera – aber sie werden das Programm (hoffentlich!) gewissenhaft einstudieren und das Publikum wird bequem in einem warmen Konzertsaal sitzen. Und wie viele Besucher werden diesen Meisterwerken zum ersten Mal begegnen? Nun, das wäre eine Erfahrung, die wahrlich schwer nachzustellen wäre.
Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.