Unter den Komponisten des 20. Jahrhunderts sticht Béla Bartók als wahrhaftiger Weltenbummler hervor. Zudem wurde er geradewegs zum Symbol: Man kann ihn als den von nostalgischer Sehnsucht nach seinen Wurzeln erfüllten Exilanten sehen, als missverstandenes Genie, oder sogar als den kämpferischen Komponisten der Arbeiterklasse. All diese Mythen um Bartók können als Erklärung dafür dienen, warum es heute ein Dutzend Bartók-Statuen in aller Welt gibt. In dieser Zeit, in der das Reisen stark eingeschränkt ist, möchten wir Ihnen eine kleine Weltreise anbieten, auf der wir uns auf die Suche nach verschiedenen Büsten und Statuen dieses größten der ungarischen Komponisten machen. Schnallen Sie sich an!
Natürlich kann man so eine Reise nur in Budapest beginnen. Bartók ist dort eine wahre Legende und es gibt jährlich zahllose Veranstaltungen, die ihm Tribut zollen – jüngst beispielsweise die Internationalen Bartók-Frühling-Kunstwochen, die bemüht sind, das Scheinwerferlicht auf selten gespielte Werke wie das Konzert für Orchester, alle Streichquartette und den Holzgeschnitzten Prinzen zu richten.
Nach seinem Studium – wo er Bekanntschaft mit Dohnányi und Kodály machte – wurde Bartók bald zum Klavierlehrer am Budapester Konservatorium ernannt. Aber wussten Sie, dass er, neben seinem beliebten Librettisten Béla Balász, auch ein aktives Mitglied des sogenannten „Sonntagskreises“ gewesen ist? Wenn Sie je die Gelegenheit bekommen, Budapest zu besuchen, würde ich wärmstens empfehlen, das Széchenyi-Heilbad für ein paar Stunden zu verlassen und Bartóks Haus in den Hügeln über der Stadt zu besuchen. Man kann es kaum verfehlen: eine lebensgroße Statue des Komponisten, gestaltet durch den großen ungarischen Meister Imre Varga, steht davor. Im Haus werden Sie die berühmten Wachsrollen entdecken, mit denen Bartók Volkslieder seines Heimatlandes aufgenommen hat... aber auch einen alten Holzschuh, in dem Bartók seinen gemahlenen Kaffee aufbewahrte. Ideal für das Aroma! Und jetzt werden Sie auch verstehen, warum die Franzosen schlechten Kaffee als jus de chausette – wörtlich „Strumpfsaft“ – bezeichnen!
Schon früh bekam Bartók Reisefieber. Er ging nach Rumänien, wo er versuchte, Folklorekonzerte mit Bauern zu organisieren. Wenngleich dies in einem Desaster endete, hinterließ Bartók einen dauerhaften künstlerischen Eindruck im Land, wie die Büste beweist, die im Zentrum der hübschen, mittelalterlichen Stadt Târgu Mureș steht.
Von allen Ländern, die er besuchte, war England dasjenige, dem er am meisten gab, und von dem er am meisten zurückbekam. Alles begann mit Bartóks erstem großen Orchesterwerk, Kossuth, einer schillernden, nationalistischen Hymne, in der eine Parodie von Haydns Gott erhalte Franz den Kaiser erklingt. Es gab da nur ein Problem: die deutschen Musiker in Budapest weigerten sich, diesen Teil des Werkes zu spielen! Das wiederum weckte die Aufmerksamkeit János Richters, Direktor des Hallé Orchestra in Manchester. Und so kommen wir ins Jahr 1904, in dem Bartók seine erste Reise nach Großbritannien unternahm. Zu Lebzeiten haben in diesem Land 50 ausschließlich Bartóks Werken gewidmete Konzerte stattgefunden, besonders in London, das der Komponist mindestens 16 Mal besuchte. Wenn Sie neugierig genug sind, um das Haus Nummer 7 am Sydney Place zu besuchen, werden Sie ein durch eine blaue Plakette gekennzeichnetes Kulturdenkmal finden, das von der tiefen Freundschaft zwischen Bartók und seinem britischen Gastgeber, dem Diplomaten Duncan Wilson, zeugt. Nur einen kurzen Fußmarsch entfernt, neben der U-Bahnstation South Kensington, gibt es zudem eine schöne Statue Bartóks (ebenfalls Vargas Werk).
Wilson war leidenschaftlicher Musikliebhaber, der Rostropowitsch und Britten zu seinen engen Freunden zählte, und dessen Tochter den großen Pianisten Radu Lupu heiratete. Und wenn Sie nun noch weitere Beweise brauchen, dass die Welt klein ist, lassen Sie mich von einer Romanze erzählen zwischen Bartók und Jelly D’Arányi, bekanntes Wunderkind an der Violine und Enkelin des ungarischen Violinisten Joseph Joachim. Sie begegneten sich in frühen Jahren in Budapest und wurden 1922 in London wieder vereint. Bartók war darüber so glücklich, dass er seine ersten beiden Violinsonaten für sie schrieb. Die Premiere in London war spannungsgeladen. Ein französischer Komponist im Publikum war so begeistert, dass er beschloss, ein Konzertstück für D’Arányi zu schreiben, das auf zentraleuropäischer Folklore basiert. Dies war die Geburtsstunde der heute weltberühmten Tzigane von Maurice Ravel.
Bartók hatte in der Tat auch eine tiefgehende Beziehung zu Frankreich. In Paris gibt es eine Statue (abermals von Varga) an einem nach ihm benannten, öffentlichen Platz. Dort findet man interessanterweise auch eine bildhauerische Transkription zu den Studien des Komponisten über tonale Harmonien. Bartóks Pariser Abenteuer begann jedoch nicht sehr positiv: Er reiste 1905 zum ersten Mal als Kandidat für den Rubinstein-Kompositionswettbewerb in die Stadt. Er gewann zwar den Wettbewerb nicht, erntete dafür aber den Respekt der französischen Musikgebildeten, den Komponisten der „Group de 6“, die seine Werke 1919 auf ihr Programm setzten. Drei Jahre später, 1922, brachte ein legendärer Abend Bartók wieder mit Strawinsky, Ravel, Szymanowski, Poulenc, Auric und Satie zusammen. Sie alle schätzten Bartók sehr, was sich nach dessen Tod in allgemeinem Erfolg niederschlug. Um es mit den Worten des französischen Komponisten Florent Schmitt zu sagen, „Ils sont tous bar-toqués!“ („Sie sind alle verbartókt!“ – ein Wortspiel basierend auf dem französischen Wort „toqué“, das „verrückt“ bedeutet).
Im Kontext des Kalten Krieges versuchte die kommunistische Partei, sich Bartóks Musik zunutze zu machen. Er wurde sogar zum Symbol des Kampfes der Arbeiterklasse. Dieser ideologische Streit machte Bartóks Werk subversiv und ansprechend; eine Studie führte ihn 1957 als einen der beliebtesten Komponisten unter jungen Studenten. Heutzutage wird Bartók vor allem als der Komponist betrachtet, der mutig genug war, sich gegen den Faschismus zu stellen und den Weg ins Exil zu wählen. Im prächtigen Koerner Saal des Royal Conservatory of Music in Toronto trägt eine Bartók-Statue (immer und ewig Varga) das schmerzliche Zeichen seines Exils: sie wurde dem Haus in den 2000er Jahren von Tamás Fekete angeboten, einem ungarischen Einwanderer, der seit 1956 in Kanada lebte!
Spricht man über Bartóks Exil, so schweifen die Gedanken bald zu seinen letzten Jahren in den Vereinigten Staaten. Die Beziehung zwischen Bartók und den USA war nicht immer einfach: 1927 war er nach Philadelphia eingeladen worden, um einige seiner Kompositionen zu präsentieren. Das Konzert jedoch war eine Katastrophe – aufgrund einer vergessenen Partitur! Das Publikum zeigte sich unzufrieden über die Programmänderungen in letzter Minute und hielt seine Verstimmtheit darüber nicht zurück... Danach aber wuchs Bartóks Erfolg in den Vereinigten Staaten stetig, wie die Schöpfung seines Stückes Contrasts in der Carnegie Hall mit Joseph Szigeti (einem der bedeutendsten Violinisten seiner Generation) sowie Jazzklarinettist Benny Goodman zeigt. Es war ein herausragender Erfolg. Dies motivierte den Komponisten, 1940 nach Amerika umzusiedeln, als die Nazis begannen, seine Konzerte zu unterbinden. Er ließ sich in New York City im Haus 309 W. 57th Street nieder, wo man heute eine Büste des Komponisten und eine ihm gewidmete Gedenktafel findet.
Um ehrlich zu sein war Bartók in New York jedoch nie wirklich glücklich. In einem sehr berührenden Artikel verrät der türkische Komponist Ahmet Adnan Saygun, dass Bartók ihn, als er Ungarn verließ, fragte, ob es eine Möglichkeit für ihn gäbe, in der Türkei Arbeit zu finden. Bartóks Verbindung zur Türkei geht ins Jahr 1936 zurück, als er auf der Suche nach Volksliedern eine unglaubliche Reise durch das Land machte. Sayguns lebhafte Erzählung berichtet, wie Bartók über alles staunte: „Einmal blieb er vor einem Laden stehen, in dem er eine Frucht bemerkte, die er noch nie zuvor gesehen hatte. [...] Ich sehe noch vor mir, wie er sie ansah, als wir vorbeigingen, und dann stehenblieb, [...] um mich zu fragen, ob es Lieder mit Texten gäbe, die diese Frucht beschrieben. So öffnete sich ein neues Gesprächsthema – Früchte und Folklore.“ Und wie oft mussten die beiden dem schon fahrenden Zug hinterherlaufen, mit ihren Koffern voller traditioneller Gegenstände...
Bartók war so verblüfft von der Ähnlichkeit ihrer beiden Sprachen, dass er und Saygun versuchten, einen Satz zu finden, der in beiden Sprachen gleich ausgesprochen würde. Wenn Sie eine nette Anekdote brauchen, die Sie beim nächsten schicken gesellschaftlichen Anlass teilen können, hier dieser Satz:
Auf Ungarisch: „Pamuk tarlon sok arpa, alnia, teve, sator, balta, esizma, kicsi kecske van.”
Auf Türkisch: „Pamiik tarlasinda çok arpa, alma, deve, çadir, balta, çizme, küçüh keçi var.”
Übersetzt heißt das „Auf den Baumwollfeldern gibt es viel Gerste und viele Äpfel, Kamele, Zelte, Äxte, und junge Ziegen.“
Wenn Sie das nächste Mal nach Ankara reisen, nehmen Sie sich zudem die Zeit, um das Staatskonservatorium zu besuchen. Hier erinnert eine Bartók-Büste im Vorhof an dieses großartige, kulturübergreifende Abenteuer.
Letztendlich ist Bartók ein durch und durch europäischer Musiker, und die letzte Statue auf unserer Weltreise steht tatsächlich in Brüssel. Man findet sie auf dem Spanienplatz, ein Ort, der passend auch „Kreuzung Europas“ genannt wird, und wenn man nach dem Bildhauer fragt... nun, wenn Sie diesen Artikel aufmerksam gelesen haben, können Sie sich sicher denken, wer es ist.
Unsere belgischen Freunde werden sich vielleicht auch an den Namen Paul Collaer erinnern. Collaer war ein enormer Bartók-Bewunderer und Chef der flämischen Station des Belgischen Radios. Ihm hat man zu verdanken, dass Bartóks Musik zu belgischen Ohren kam, denn Collaer spielte Bartók zuerst durch sein Pro Arte-Orchester in den 30ern, dann, während des Krieges, in Konzerten im Untergrund. Nach dem Krieg war er es, der das Belgische Rundfunkorchester mit der europäischen Premiere von Bartóks Konzert für Orchester beauftragte.
Liebe Passagiere, wir sind nun am Ende unserer virtuellen Reise angelangt. Wo immer auf der Welt Sie sich befinden, vielleicht nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um ein bisschen Bartók zu hören und an die vielen Reisen zu denken, die er unternommen hat. In einer Welt, in der Nationalismus Grenzen zwischen allen Ländern errichtet, blieb Bartók immer daran interessiert, wie eine bestimmte Kultur einer anderen begegnen kann. So nimmt es nicht Wunder, dass man sein nachdenkliches Gesicht heute an beliebigen Straßenecken oder ruhigen Stadtplätzen auf aller Welt finden kann.
Dieser Artikel wurde gesponsert von Wavemaker Hungary.
Aus dem Englischen übertragen von Hedy Mühleck.