Wir befinden uns im Jahr 2020. Auf der ganzen Welt werden Kulturveranstaltungen in Folge der Corona-Pandemie abgesagt. Auf der ganzen Welt? Nein! Ein von unbeugsamen Kulturliebhabern bevölkertes Städtchen hört nicht auf, Widerstand zu leisten. Und so konnten auch in diesem Sommer die Salzburger Festspiele – zwar in einer deutlich abgespeckten Version, aber allen Widrigkeiten zum Trotz – stattfinden.

Salzburg
© Tourismus Salzburg GmbH | Günter Breitegger

Mitte März, als die österreichische Bundesregierung strenge Maßnahmen zur Eindämmung des Virus verkündete, schien die Absage aller Sommerfestspiele zunächst jedoch unvermeidlich, wurden doch sämtliche Großveranstaltungen verboten. Angeführt von Helga Rabl-Stadler, der ebenso resoluten wie optimistischen Festspielpräsidentin, wartete das Direktorium der Salzburger Festspiele dennoch ab und betonte stets, fest daran zu glauben, dass das 100-Jahr-Jubiläum stattfinden könne. Und tatsächlich zeichnete sich rund um den 15. Mai ab, dass es in Österreich zu schrittweisen Lockerungen kommen würde; im Juni wurde das neue, deutlich reduzierte und verkürzte, Programm bekanntgegeben und hunderttausende Kartenkäufe rückabgewickelt, bevor der neue Vorverkauf starten konnte. Beinahe trotzig muteten die in ganz Salzburg zu sehenden Plakate an, mit denen die Doch-noch-Jubiläums-Festspiele schließlich auch offiziell angekündigt wurden: „Wo der Wille nur erwacht, ist schon fast etwas erreicht“, war darauf zu lesen. Hugo von Hofmannsthal war es einst, der diese Worte schrieb und in Anbetracht der aktuellen Situation müsste man das Zitat lediglich um einen Nebensatz ergänzen: „wenn das Sicherheitskonzept umgesetzt wird!“ 

Helga Rabl-Stadler
© Bernhard Müller

Denn um Festspiele zu ermöglichen, ohne dabei die Gesundheit von Mitarbeitern, Künstlern oder Publikum zu gefährden, wurde im Hintergrund bereits ab Ende April an einem Präventions- und Sicherheitskonzept gearbeitet; unterstützt wurden die Festspiele dabei von einem Expertenbeirat, in dem Ärzte, Virologen, Epidemiologen und Hygieniker vertreten waren. Für den Schutz des Publikums wurde neben häufigen Reinigungs- und Desinfektionsmaßnahmen auf die Reduzierung von größeren Ansammlungen gesetzt. So wurde etwa die Anzahl der Spielstätten von 16 auf 8 reduziert und die Ein- und Auslasszeiten wurden so entkoppelt, dass Publikumsströme – etwa aus der Felsenreitschule und dem großen Festspielhaus – nicht aufeinandertreffen. Alle Vorstellungen wurden ohne Pause gespielt, die Buffets waren nicht geöffnet und die Sitzplätze wurden gemäß eines Schachbrettmusters belegt, um Abstände von einem Meter einhalten zu können. Ein Mund-Nasen-Schutz musste bis zum Beginn der Vorstellung und dann wieder bei Einsetzen des Schlussapplaus getragen werden; die nötigen Informationen zu Maskenpflicht und Fächerverbot (zur Vermeidung der Verbreitung von Aerosolen!) wurden auf Deutsch und Englisch von der diesjährigen Buhlschaft Caroline Peters eingesprochen. Die hohe Diszipliniertheit, die Forscher der Charité dem Klassikpublikum unlängst in einer Studie attestierten, zeigte sich übrigens tatsächlich – im Gegensatz zu Supermärkten oder öffentlichen Verkehrsmitteln sah man in Salzburg ausschließlich Personen mit korrekt angelegter Schutzmaske, die penibel auf die Einhaltung des Babyelefanten-Abstands achteten. 

Strenge Vorgaben wurden auch für die Mitarbeiter und Künstler ausgearbeitet. So wurde zunächst der Proben- und Spielplan ausgedünnt und ein negativer Coronatest, der nicht älter als vier Tage sein durfte, musste vor Beginn der Tätigkeit in Salzburg vorgelegt werden. Zusätzlich erfolgte die Einteilung in drei Gruppen, für die jeweils unterschiedliche Maßnahmen gesetzt wurden. In die rote Gruppe fielen Bühnenakteure, die aufgrund ihrer Arbeit die Abstandsregeln nicht permanent einhalten und bei ihrer künstlerischen Tätigkeit keinen Mund-Nasen-Schutz tragen konnten. Die rote Gruppe wurde regelmäßig getestet und es musste ein Gesundheits- und Kontakttagebuch geführt werden. Zur orangen Gruppe gehörten all jene, die bei ihrer Tätigkeit meist den Abstand einhalten und Mund-Nasen-Schutz tragen konnten. Sie mussten ebenfalls ein Gesundheits- und Kontakttagebuch führen. Der gelben Gruppe wurden Personen zugeordnet, die zu jeder Zeit die Abstandsregeln einhalten konnten; sie mussten auf allen Wegen und bei möglicher Unterschreitung des Mindestabstandes Mund-Nasen-Schutz tragen und sich an allgemeine Hygiene- und Abstandsregeln halten. Intern wurde außerdem eine ärztliche Corona-Hotline eingerichtet, die rund um die Uhr erreichbar war, zusätzlich wurde ein Bereitschaftsdienst von Testteams des Roten Kreuz organisiert.

Tanja Ariane Baumgartner (Klytämnestra) und Aušrinė Stundytė (Elektra)
© Bernd Uhlig | Salzburger Festspiele

Die erfolgreiche Umsetzung des Konzepts betont Tanja Ariane Baumgartner, die in diesem Sommer als Klytämnestra in Warlikowskis Inszenierung von Richard Strauss‘ Elektra brillierte. „Auf der Bühne konnten wir total normal arbeiten und durch das tolle Konzept habe ich mich sehr sicher gefühlt“, erzählt die Mezzosopranistin und ergänzt, dass es „ganz besondere Festspiele“ waren, bei denen zwar die „Angst, sich irgendwo anzustecken“ durchaus präsent war, aber das „sensiblere Miteinander“ die Arbeitsatmosphäre prägte. Zusätzlich zur Initialtestung wurden die Künstler während der Proben und nach jeder Vorstellung routinemäßig getestet, berichtet Baumgartner und fügt hinzu, dass sie „außer beim Arbeiten auf der Bühne“ konsequent Mund-Nasen-Schutz getragen hat – bei Proben in Form einer Maske und bei Vorstellungen in Form eines Gesichtsschilds, um das Bühnen-Make-up nicht zu ruinieren. Von „fünf Tests innerhalb von 26 Tagen“ berichtet Benedict Lea, Geiger bei den Wiener Philharmonikern, der ebenfalls der roten Gruppe zugeordnet war. Alle Musiker erhielten „Masken, die wir ständig tragen mussten – außer während wir tatsächlich spielten.“ Im Gesundheits- und Kontakttagebuch, das täglich ausgefüllt werden musste, wurde erfasst, „ob Symptome einer möglichen Infektion vorliegen und mit wem wir länger als 15 Minuten in Kontakt waren.“ Obwohl Lea die Arbeitsatmosphäre als „definitiv anders als in den vergangenen Jahren“ beschreibt, betont auch er, wie gut das Konzept funktioniert hat und fügt hinzu, wie sehr er es genossen hat, wieder „mit exzellenten Musikern und Dirigenten anspruchsvolle Programme“ spielen zu können. 

Oper Graz im Juni
© Isabella Steppan

Dass in Österreich in diesem Sommer doch noch Kulturveranstaltungen stattfinden konnten, war dem zunächst zögerlichen, aber schließlich doch an Fahrt aufnehmenden, Bekenntnis der Politik zum hohen Stellenwert von Kunst und Kultur zu verdanken. Omnipräsent war dabei Bundespräsident Alexander van der Bellen, der nicht müde wurde, die Systemrelevanz der Kultur zu betonen und in Vertretung der Bundesregierung im ganzen Land Veranstaltungen besuchte und Festspiele eröffnete. Denn auch abseits der Salzburger Festspiele wurde in Österreich sehr früh wieder gespielt – die Grazer Oper, der Wiener Musikverein und das Konzerthaus, die Wiener Staatsoper sowie etliche weitere Veranstalter boten bereits im Juni erste Konzert- bzw. Liederabende für maximal 100 Leute an. Als erstes Sommerfestival fand die Styriarte im Juli einen kreativen Weg aus der Krise, indem die je einstündigen Programme pro Abend dreimal hintereinander zu erleben waren; den Vorteil des großen Parks und der Open-Air-Location nutzte hingegen das Grafenegg-Festival, das sein Publikum in verschiedene, bunt markierte Wartebereiche lotste, um ein geordnetes Einnehmen und Verlassen der Sitzplätze gewährleisten zu können. 

Wolkenturm in Grafenegg
© Alexander Haiden

Ob sich der Aufwand dabei finanziell immer gelohnt hat, darf bezweifelt werden, aber nach dem außergewöhnlichen Festspielsommer fällt zumindest die künstlerische Bilanz positiv aus – dank disziplinierter Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen konnte die Kultur in Österreich wieder auferstehen, ohne Corona-Cluster nach sich zu ziehen. Das erfolgreiche Hygienekonzept der Salzburger Festspiele wird nun gar zum internationalen Vorbild; im benachbarten Bayern führen einige Orchester in einem offenen Brief die österreichische Erfolgsgeschichte an, um zu unterstreichen, dass sich Gesundheit und Kultur in der aktuellen Situation nicht ausschließen müssen. Und auch in vielen anderen Opern- und Konzerthäusern im In- und Ausland erwacht neben dem Willen nun auch wieder die berechtigte Hoffnung auf einen kulturreichen Herbst.