Wie in der letzten Bachkantate für März aufgrund der gesicherten Zuordnung nur zweier Werke für diesen Monat erwähnt, erwarten Sie jetzt zu Recht die Vorstellung der Palmsonntagskantate Wie schön leuchtet der Morgenstern, BWV1. Doch erlaube ich mir, eine Kantate an ihrer – dann ganz bestimmt nächstes Mal kommenden – Stelle zu platzieren, deren Uraufführungsdatum von einigen Forschern (u.a. dem berüchtigten Alfred Dürr) zunächst auf den 15. Juli 1714 oder einen unbestimmten Tag in der Überlegung einer in-ogni-tempo-Kantate gelegt worden war, nach der Entdeckung des 1711 verfassten Textes von Georg Christian Lehms in dessen Band Kirchen-Opffer in einem gantzen Jahr-Gange Andächtiger Betrachtungen über die gewöhnlichen Sonn- und Festtags-Texte allerdings noch auf den Sonntag Oculi verzeitlicht werden kann. Entweder auf den unwahrscheinlichen 4. März 1714, weil Bach beschriebene BWV182 für Palmsonntag als erste in der Funktion des Konzertmeisters komponierte, ein Jahr später auf den 24. März oder früher auf den 8. März 1713, wofür ich mich in Übereinstimmung mit der Ansicht des ehemaligen Forschungsdirektors des Bach-Archivs Leipzig, Christoph Wolff, zu dieser Veröffentlichung entschied.
Es geht um die einmalige Kantate Widerstehe doch der Sünde, BWV54, Bachs erste Solokantate für Alt, an deren Vollständigkeit auch einige Zweifel hatten, aber die nun – neben aller üblichen Vollkommenheit Bachs Musik – in der Dreisätzigkeit nach Neumeisters kürzesten Fassung einer „Geistlichen Cantate“ für komplett gehalten wird; und die recht unstrittig in ihrer Stilistik und Tonsprache, Besetzung, den Abschriften der ansässigen Organisten Walther und Krebs sowie aufgrund der anderen lebensläuflichen Begebenheiten und Besonderheiten eben nur in die gerade genannte Zeit des Komponisten in Weimar verortet werden kann. Ein zeitlicher und damit örtlicher Aspekt macht sich nämlich gleich mit dem ersten Ton der titelgebenden, in der Stimme symbolisch an den Kanten des Lebens kratzenden Arie I bemerkbar, dem dissonanten Dominantseptakkord, den Bach hier erstmals so verwendet. Gehört hatte er ihn – ich fügte es einst in einer meiner Rezensionen an, diesmal auf Vorlage von Erkenntnissen des Forschungsreferatsleiters und Bachfest-Intendanten Michael Maul – just 1711 im Leipziger Opernhaus am Brühl in Telemanns Arie „Harte Fesseln, strenge Ketten“ der Oper Die syrische Unruh. Bach benutzte den Effekt des „Falschen“ für die teuflisch-marternden und geißelungswürdigen Schritt-und-Tritt-Sündenschläge später erneut in der Parodie einer Arie in seiner Markus-Passion (die ich Ende nächster Woche hier übrigens rezensieren werde).
Dass der Sünder wirklich „vom Teufel ist“, demonstriert Bach in Arie II „Wer Sünde tut“ mit angehängter zitierter, theologischer Gedankenkonsequenz durch einen in Abwärtsstiegen unisono und fugiert makaber-aberwitzigen Tanz auf dem im Verbindungsrezitativ „Die Art verruchter Sünden“ aufgetanen „übertünchten Grab“. Er kommt allerdings ähnlich wie im ersten Satz da gleichfalls durch Stimmung und das Wörtchen „doch“ samt Tempo für die rechtschaffende, erlösende Andacht gewieft auflockernd daher. Lauschen Sie daher dieser Kantate – das ist ja gerade gewiss keine Sünde!