Wie Sie in meiner letzten Vorstellung erfahren haben, steht für mich Johann Sebastian Bachs h-Moll-Messe und darin ganz besonders das „Cum sancto spiritu“ als dasjenige Werk heraus, welches mich berührt wie kein anderes. In welcher Intensität es insbesondere dieser Satz tut, beziehungsweise dass er doch in der musikalischen Umsetzung überhaupt so verlockend auf mich wirkt, liegt am Ausmaß des Tempos, des Ausdrucks und somit des – für mich bei Bach immanenten und damit bar eines etwas trockenen, vermeintlich frommen Verständnisses – überschwänglich tänzerischen Empfindens. Denn eines dürfte Ihnen so gehen wie mir: beweglich schnell, frisch ins Herz gehüpft lässt sich die Botschaft viel besser aufnehmen und verstehen, als sie prediglich vertont in die Länge gezogen und uninspirierter „aufgesagt“ zu bekommen. Selbiges gilt demnach für Bachs erste Neujahrskantate (zum 01. Januar 1724), Singet dem Herrn ein neues Lied, BWV190, deren Eingangschor für mich zu den Top 5 dieser Art zählt, vermittelt er doch in seiner feierlichen Zuversicht genau gerade Beschriebenes, nämlich Fürbitte und Gotteslob im Angesicht des neuen Jahres so anzustimmen, dass der Himmel und man selbst auf Erden davon überzeugt ist.

Bach stellt dafür ein Te Deum bereit, und zwar – wie es sich gehört – mit allen dafür geziemlichen und zur Verfügung stehenden Mitteln: Vierstimmiger Chor, Trompeten, Pauken, Oboen, Streicher und volles Basso continuo samt Fagott (im ersten Hörbeispiel sogar mit Laute). Präzise formuliert: er stellte es zumindest so vor, einmal zur besagten Uraufführung, dann mit Überarbeitungen und zwei Satzneukompositionen zur 200 Jahr-Festivität der Augsburger Konfession 1730 und nochmals in der Zeit um 1736-1740, allerdings fehlen für den so fabelhaften Chor und die folgende Bekräftigung durch Choral und alle drei Solisten – beides ungewöhnlich – sämtliche Bläser-, Pauken- und Continuostimmen. Damit ist man auf Rekonstruktionen angewiesen. Deshalb biete ich Ihnen zwei meiner nach oben skizzierten Kriterien favorisierten Darbietungen als Hörbeispiele an, wie Bachs Vertonung des von Martin Luther mit „Herr Gott, dich loben wir“ ins Deutsche übersetzte Te Deum geklungen haben könnte und in seiner stimmlichen Attitüde sollte.  

Der Tanzrhythmus bestimmt außerdem die erste Arie „Lobe, Zion, deinen Gott“, die der Alt mit der Streicher- und Bassbegleitung zum weiteren Dank und Lob singt und dabei die Freude über den Jahresbeginn in den Backen hat. Dass er eigentlich den über Jesu und dessen rufliche Benennung – Neujahr ist der Festtag zur Beschneidung und Namensgebung – vortanzen möchte, offenbart erst das Bass-Rezitativ, an dessen Ende der Name Jesus erstmals fällt und in den zweiten Teil zur Namensfeier überleitet. Tenor-und-Bass-Duett „Jesus soll mein alles sein“ sowie Tenor-Accompagnato „Nun, Jesus gebe“ rücken diesen Anlass jetzt in seiner ruhigeren, intimgläubigen Ansprache des Bekenntnisses unmissverständlich an vorderste Gedenk-Position. Wie der Anfang gibt das Duett – wie die Altarie ohne da Capo – dabei Rätsel auf: welches Instrument ist der Solostimme zur Orgelbegleitung zugeordnet? Oboe d'amore, Violine oder – wie Sie in Hörbeispiel 2 bei John Eliot Gardiner vernehmen – die Viola d'amore? Hinweise auf dem erhaltenen Titelblatt der Kantate gibt es jedenfalls keine. Ihnen kann ich aber sagen, nachdem ich noch den mit Fanfarenenden geschmückten Schlusschoral „Laß uns das Jahr vollbringen“ erwähnt habe: Mögen Sie bitte auch zuversichtlich, gut, beschwingt und mit der Kraft Bachs in das neue Jahr starten!