Wie im Dezember angekündigt, ist jetzt der Moment gekommen, eine Bachkantate zu präsentieren, deren wiederholter Choral definitiv zu demjenigen überhaupt zählt, mit dem der Hörer den Komponisten auf der ganzen Welt sofort in Verbindung bringt: Herz und Mund und Tat und Leben, BWV147, mit seinem 9/8-Hit „Wohl mir, dass ich Jesum habe“ beziehungsweise „Jesus bleibet meine Freude“. Dass er das ist, liegt an der gefälligen, wohligen Melodie mit ihrem trinitatisch-wiegenden Endlosschleifencharakter, die das ewige Band Marias zu Jesus und damit das im Sinne der Kirche bestenfalls gläubig-embryonal-instinkthafte, gelebte Tau der Menschen zum Herrn knüpft. Dass der Choral darüberhinaus zweimal seinen Platz im Stück findet, ist in der Zweiteiligkeit der Kantate begründet, da sie für Leipzig umgeändert werden musste; ein Umstand, den ich ganz knapp bei der Kantate BWV191 angerissen hatte.

Etwas näher erläutern kann ich hier, was es damit auf sich hat. Zum einen war es Usus bei Bach, Weimarer Kantaten bei seinem Arbeitspensum in Leipzig wiederzuverwenden und für die Voraussetzungen, Erwartungen und gesteigerten Fähigkeiten zu erweitern. Zum anderen, wie erwähnt, herrschte in Leipzig ab dem zweiten Advent tempus clausum, so dass Bach keine großbesetzte Kantate aufführte und vorherige Adventskantaten umdisponieren musste. In Weimar hatte er dagegen „normal“ musizieren dürfen und das schien er im Jahre 1716 besonders gerne getan oder geplant zu haben, schrieb er doch gleich drei Kantaten, obwohl er nur ein Werk pro Monat bereitstellen musste. Oder packte ihn die Arbeitswut, um einen erneuten Anlauf zu nehmen, nun aber den Posten des Hofkapellmeisters zu bekommen? Unter den dreien mit BWV147 befand sich auch eine meiner absoluten Lieblingskantaten, Wachet! Betet! Betet! Wachet!, BWV70, die ebenfalls einen zweiten Teil für die neue Aufführungsgelegenheit hinzubekommen hat und abzüglich einer Oboe (und seiner Modelle der d'amore und da caccia) die identische Besetzung wie Herz und Mund und Tat und Leben aufweist. Nämlich mit einer repräsentativen Trompete neben der Oboe über den natürlich grundbaustofflichen Streichern samt Continuo. 

Diese Trompete passt allerdings auch einfach zur Festlichkeit Mariä Heimsuchungs, die ihr Magnificat auf Jesus, das Bekenntnis für die Menschheit, vorträgt, das sich im Verlauf in außenstehenden, appellierenden Betrachtungen ergeht. Der Marienhymnus wird im Barock üblicherweise von Trompetenklängen verstärkt, so dass Eröffnungschor und Choräle übernommen und der Blechglanz – wie ebenso musterhaft, siehe BWV70 oder u.a. Weihnachtsoratorium I – der Bassarie „Ich will von Jesu Wundern singen“ im neuen Part beigefügt wurde. Das Tenor-Rezitativ „Gebenedeiter Mund“ stellt im wissenden (Heiligen-)Schein der Fehlbarkeit der Menschen die Verbindung von prediglicher Kirche und Gemeinde dar, nach dem die Arie für Altstimme, Oboe d'amore und Continuo das Verleugnungsmotiv der reellen Glaubensunsicherheit aufgreift. Bach vertont das Verleugnen dabei in einer weichen, manchmal den Takt negierenden, nicht nach oben komplettierten Linie der Verständlichkeit. So zu-, aber gleichzeitig ins Gewissen geredet, ist man eher „bereit“, dem weiteren inhaltlichen Aufruf des Magnificats, aus dem Herzen dem Wort Jesu für den Kampf gegen Ungerechtigkeit zu reden, im Rezitativ für den Bass und der anschließenden Sopran-Arie „Bereite dir, Jesu, noch itzo die Bahn“ (mit Solo-Violine) Folge zu leisten und die Richtigkeit des Tuns in der Erlösung zu erfahren.

In überzeugend gebetlicher Umsetzung wird im Teil II nach der Leipziger Predigt diesem Bekenntnis in Ich-Form vormachend Ausdruck verliehen, so dass das Verfangen des berüchtigten Schlusschorals – schon damals durch eifriges Mitsingen der Gemeinde – erst recht kein Wunder mehr ist.