Auch wenn die meisten Bachkantaten für den August – und damit insbesondere den Leipziger Ratswechsel, der traditionell am letzten Montag dieses Monats gottesdienstlich zelebriert und von Bach 27-mal musikalisch bestückt worden war – verloren gegangen sind, haben sich Werke erhalten. Darunter also noch auffindbare Kantaten zum Antritt des neuen Stadtrats, von denen sicherlich BWV29 mit ihrem „Gratias“-Satz für die spätere h-Moll-Messe und BWV120 mit ihren ebenso wirkungsvollen Trompeten- und Paukenchören (letztere enthält das „Et expecto“ der Hohen Messe) sowie BWV119 mit dem herausstechenden Quartett an glänzendem Blech und der größten Besetzung aller Werke abseits der Trauungs- und Huldigungskantaten (dicht gefolgt von BWV31, Michaelis und Pfingsten) Grund genug für eine Vorstellung wären. Da sie allerdings in ihrem Anlass, den ich bereits bei BWV71 für die politische Spitze in Mühlhausen erwähnt hatte, identisch sind, möchte ich Ihnen jetzt eine andere Kantate näherbringen, die ebenfalls ihre auffallenden Reize hat und mir ohne Blasphemie appellativ die Worte aus dem Mund nimmt: Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist, BWV45, uraufgeführt am 11. August 1726.

Die korrekte Antwort dieser titel-theologischen Erziehungsmaßnahme des Propheten Micha, der eine Gerichtsrede Gottes wiedergibt, folgt mit der aufrichtigen Ehrfurcht und Frömmigkeit („Gottes Wort halten“), der „Liebe“ und der „Demut“ sofort im Dictum des Eingangschors, der wieder einmal komplex gearbeitet ist und in Bachs Genie emotionale, klare Ansprache mit dem verständlichen Bewusstsein verbindet, dass gerade diese im Leben des einzelnen Menschen verlangten Maximen wahrlich nicht einfach umzusetzen sind. Das anschließende Tenorrezitativ nickt die Vorgabe Michas ganz wissend und hierarchisch ab, bedienen sich die einsichtig-untertänigen Worte doch dem Bild des „treuen Knechts“, der die weisen Vorgaben im Angesicht des Herrn genau und gehorsamst befolgt. Dies führt die angekoppelte, natürlich abermals die zweiseitigen Grundaffekte von richtiger, erlösender Rechtschaffenheit und schwierigen Konsequenzen aufnehmende Arie „Weiß ich Gottes Rechte“ aus, die den ersten Teil der Kantate beschließt, in der der Knecht die Losung für seine nach Ziel und positiver Belohnung verlangende Seele vorgibt, um so dem strengen, angedrohten Urteil Gottes zu entkommen.

Mittelpunkt der Kantate ist die mahnende Stimme Christi „Es werden viele zu mir sagen“, der Beginn des zweiten Parts, den Bach mit Arioso überschrieben hat. So ernst die in Matthäus festgehaltene Zitierung der bergprediglichen Weisung, das Bekennen und wirkliche Tun müsse aus tiefstem Herzen kommen, so wunderbar sinnfällig ansprechend und eben durch ihre geschickte Eingängigkeit die Kritik unterstützend ist die Komposition. Da sie ausgerechnet im zur Verfügung gestellten Hörbeispiel, das die übrige Kantate in meinen Ohren bestens interpretiert (Gardiner), leider unglücklich besetzt ist, verweise ich gerne noch auf eine wesentlich passendere Stilistik in einem Extraausschnitt (Suzuki), der zugleich Tempo und Ausdruck der Streicher samt Continuo im zugrundeliegenden Concerto focoso aufgreift.

Im Folgenden wiederholt sich das Schema des ersten Teils. Die Alt-Arie „Wer Gott bekennt“ bezieht sich wiederum auf die Lehre des Vorangegangenen und verbaut dem lediglich oralen statt inneren und innigen Bekennens mit drastischem „denn der muss ewig brennen“ den Weg ins Himmelreich, wobei die Traversflöte die Schärfe abschwächt und den Fokus auf das verlockende höhere Versprechen legt, das einen noch zu jeder Zeit ereilen kann. Selbstzweifel ob eines tatsächlich belegten „Wandels“ der Gläubigen räumt nun das Rezitativ aus, das Gottes Beistand gewiss werden lässt, den die Gemeinde im Schlusschoral jedenfalls eindringlich herbei bittet.