Bis zu welchem Zeitpunkt in meinem Leben ich sämtlich erhaltene Bachkantaten durchgehört hatte, kann ich trotz allen musikalischen Gedächtnisses und meiner Liebe zum Komponisten gar nicht mehr genau erinnern. Ich weiß allerdings, dass die Kantate, die ich Ihnen zu Ostern mit meinen Worten beschreiben darf, eher stiefmütterlich von mir behandelt wurde. Die fehlende Beachtung änderte sich schlagartig, als ich Christ lag in Todesbanden, BWV4, tatsächlich das erste Mal live, noch dazu in einer Doppelerfahrung aus Probe mit Erläuterungen Sir John Eliot Gardiners und anschließender Konzertaufführung samt Publikumschoral, erleben konnte. Die direkte Aufnahme anstatt jener von der Platte beeinflusst die Sicht- und Hörweise gewaltig, da verrate ich natürlich keine überraschende Erkenntnis.

Ob die Kantate, basierend auf dem Osterlied Martin Luthers, wirklich am heutigen 24. April uraufgeführt wurde und damit am Ostersonntag des Jahres 1707, liegt nach wie vor im Reich der Spekulationen. Ich habe das bisher meist angenommene Datum dennoch zur Grundlage der Erscheinung des Artikels genommen, da es das überhaupt früheste für die gottesdienstliche Klangpremiere sein kann, dabei nähren gewisse Umstände Zweifel an dieser Jahreszahl allein dadurch, dass Bach ausgerechnet an jenem Feiertag sein Vorspiel an der Orgel von Divi Blasii in Mühlhausen absolvieren musste. Sollte Bach auch noch eine Kantate fertiggestellt haben, obwohl er sich nicht als Kantor beworben hatte und bis auf Ausnahmen – ich erwähnte es bei Kantate BWV71 im Februar – kaum Figuralmusik komponierte? Dass das Werk aus Mühlhausen oder aus den ersten fünf Dienstjahren in Weimar stammt, ist dagegen eindeutig, zu sehr beschränkt die Anlage als vorneumeisterliches/-dedekindliches Choralkonzert die mögliche Entstehungszeit.

Für Weimar spräche ja die einfache Besetzung ohne die zu damaliger Zeit österlich eigentlich üblichen Stimmen von Trompeten und Pauken, die die Kantate allein schon unter den Auferstehungsvertonungen – wie die überaus anregenden Kantaten BWV31, BWV66 oder das sogenannte Osteroratorium abseits der bedächtigeren, allerdings immerhin noch mit Bläsern bestückten BWV6, BWV134 und BWV145 – somit ziemlich einzigartig in Bachs Œuvre macht. Erst bei seiner zweiten Leipziger Präsentation hatte der Komponist schließlich einen vierstimmigen Posaunenchor (also mit Zink als Diskant) hinzugefügt, den es jedoch – diese Hybris meinerseits muss hier mal Platz nehmen – zur Eindrücklichkeit von Sinfonia und den sieben Versi mit jeweils beschließendem „Halleluja“ wirklich gar nicht bedarf. Denn die typisch für die Form einleitende Sonata über der Choralmelodie vermittelt in seinem Ernst schon eine unfassbar warme Geborgenheit und eine das wunderliche Ereignis ankündigende Spannung, wenngleich ein zwingender Rückblick auf den Tod im Vordergrund steht, um den daraus entstehenden, dramatisch erbaulichen Coro des Ostertitels mit seinem alla breve-Freudenjubel verständlicher erscheinen zu lassen.

Gleichwohl geht der folgende Duett-Vers von Sopran und Alt mit Continuo nochmal auf die Sinfonia und den rudimentären Anlass des Todes mit dem Sündenfall zurück, ehe die Tenor-Strophe mit unisono-angestachelten Violinen und Continuo, dem Innehalten der sündennehmenden Überwindung des Todesschmerzes und der erlösenden Halleluja-Feier die tröstliche Osterbotschaft wiederholt. Gesteigert wird sie im zentralen Chor „Es war ein wunderlicher Krieg“, der den „verschlungenen“ Tod theatralisch verspottet. In beruhigender Weise darf der Bass danach abermals kontrastiert das blutrünstige Scheiden am Kreuz zum Osterlamm, nein Osterbraten, zubereiten, bevor das Sopran-Tenor-Duett die Auferstehung mit den hüpfenden Rhythmen der Instrumente zum wahren Fest erhebt, zu dem im Schlusschoral noch der tischgebetliche „Fladen“ gereicht wird.