Normalerweise würden wir Sie auf Bachtrack in die Konzert- und Opernhäuser dieser Welt locken. Schließlich haben wir als Webseite für Live-Veranstaltungen begonnen und jeden Monat suchen Tausende von Ihnen nach Veranstaltungen. Aber nicht jeder lebt in der Nähe eines Konzertsaals, weshalb wir 2017 unseren Video-Bereich ins Leben gerufen haben, auf dem wir Livestreams und Videos-on-Demand von unseren Partnern anbieten – zurzeit sind das die Göteborger Symphoniker, Bergen Philharmonic und die Royal Stockholm Philharmonic. Und in der aktuellen Situation mit massiven Einschränkungen und Zwangsschließungen von Konzertsälen und Opernhäusern, haben wir das Netz weit ausgeworfen, um diverse Streaming-Angebote für unsere Leser zu finden. Und es gibt unendlich viele! Ich habe ganz ungeniert die besten Rosinen für Sie herausgepickt.

OperaVision hat eine großartige Auswahl an Inszenierungen, die on-Demand von verschiedenen Häusern verfügbar sind. Unterstützt vom Programm Kreatives Europa der Europäischen Union arbeitet OperaVision mit 29 Partnern aus 17 Ländern zusammen, und jeder bietet eine seiner Inszenierungen – kostenlos – für eine begrenzte Zeit an (normalerweise sechs Monate, manchmal länger). Im aktuellen Katalog lassen sich einige wahre Schmankerl finden, unter anderem die heiter-beschwingte Inszenierung von Die verkaufte Braut aus Garsington, Jenůfa aus Brünn, La Cenerentola (Tara Erraught in sprudelnder Form mit der Irish National Opera) und die erst kürzlich hinzugefügte Inszenierung von Turn of the Screw der Opera North. Aber es gibt auch wirklich selten gespieltes Repertoire: Korngolds Violanta (Teatro Regio Torino), Schrekers Der ferne Klang (Royal Swedish Opera) und Moniuszkos Halka (Poznan Opera).

Ildebrando D'Arcangelo in Don Carlos
© Opéra Royal de Wallonie-Liège

Liebhaber des Barocks werden mit Händel-Inszenierungen der Göttinger Festspiele verwöhnt, die auf der Webseite des NDRs gestreamt werden können. France TV bietet eine Anzahl an Inszenierungen von Wallonie-Liège, unter anderem der neue Don Carlos (die vollständige fünfaktige französische Version), den Ako Imamura sehr positiv für uns rezensiert hat. Ein anderer neuer Don Carlo (diesmal Verdis vieraktige italienische Überarbeitung) fand großen Anklang bei Laura Servidei und wird von La Fenice auf Youtube angeboten. OperaStreaming – zugegeben nicht der kreativste Name, aber er hält, was die Verpackung verspricht – bietet Streams/Videos-on-Demand von Opernhäusern in der italienischen Emilia-Romagna. Modenas La bohème ist besonders interessant, da sie vom Star-Bariton Leo Nucci inszeniert wurde. L’Opéra de Paris wird einen Teil ihres Archivs streamen. Bis zum 22. März verfügbar, kann ich es kaum erwarten die Neuinszenierung von Massenets Manon anzusehen, mit Pretty Yende, Benjamin Bernheim und Ludovic Tézier. Ein weiterer Leckerbissen der France TV Culturebox – erst letzte Woche in Versailles gefilmt – ist ein Konzert von Les Siècles unter der Leitung von François-Xavier Roth, mit zwei Beethoven Symphonien am Programm.

Katrin Röver und Jennifer Davis in Leonore
© Wiener Staatsoper | Michael Pöhn

Arte hat ein ansehnliches Angebot (nicht immer in allen Regionen verfügbar), unter anderem die Neuinszenierung von Leonore (die Originalversion von Fidelio), inszeniert von Amélie Niermeyer an der Wiener Staatsoper. Eine kontroverse Produktion, in der Jennifer Davies (Leonore) ein Schauspiel-Double hat, das die Stimme ihres Bewusstseins ist. Ich fand, dass es ganz gut funktioniert, bis zu einer skurrilen Wendung im zweiten Akt… David Karlin war letztes Jahr begeistert von Franc Aleus neue Turandot am Liceu, besonders von den Videoaufnahmen. Er wird das Erlebnis zweifelsohne nochmal durchleben, besonders da der Stream die A-Besetzung bietet, die er verpasst hatte.

Arte hat auch eine hervorragende Auswahl an Konzerten. Es gibt einige Angebote der Wiener Symphoniker von der kürzlichen Rekonstruktion Beethovens Akademie von 1808. Aber es gibt auch leichtere Kost, unter anderem ein Programm des Orchestre Philharmonique de Radio France aus dem reizenden Maison de la Radio in Paris, das Les Six gewidmet ist, mit Darius Milhauds surrealistischem Ballett Le Bœuf sur le toit

Artes France Musique Broadcast


Londons Kammermusik-Juwel Wigmore Hall streamt einige Konzerte aus dem Archiv kostenlos sowohl auf ihrer eigenen Webseite als auch auf Youtube. Ich kann es kaum erwarten, Stephen Hough und das Castalian String Quartet nochmal mit Carl Frühlings wunderbaren – und beinahe unbekannten – Klavierquintett zu hören und Francesco Piemontesis Schubert-Klavierabend ist auch etwas ganz Besonderes. 

In Deutschland bietet SWR Classic einige Konzerte mit dem SWR Symphonieorchester an. Probieren Sie Mahlers Neunte mit dem Enfant terrible / Genie / Rebell (je nachdem wie Sie zu ihm stehen) Teodor Currentzis. Auf der anderen Seite der (mittlerweile geschlossenen) Grenze, streamt France Musique eine Auswahl an Konzerten, unter anderem dirigiert Barbara Hannigan das OPRF in einem paprikascharfen  ungarischen Programm.

Diana Damrau und Juan Diego Flórez in La traviata
© Marty Sohl | Met Opera

Viele Abonnement-Services haben schnell gehandelt und ihre Archive kostenlos geöffnet. Die Metropolitan Oper bietet auf „Met on Demand” täglich eine andere Opera während der Coronavirus-Schließung an. Und es gibt einige Leckerbissen. Diese Woche allein gibt es die 2018 Neuinszenierung von Traviata (mit Diana Damrau und Juan Diego Flórez), den Robert Carsen-Klassiker Eugene Onegin (mit Dmitri Hvorostovsky und Renée Fleming von 2007), und Lucia di Lammermoor (mit Anna Netrebko von 2009 bevor sie begann, sich den großen Verdi-Rollen zu widmen). Die abendlichen Met Opera-Streams beginnen um 19:30 EDT, aber keine Sorge falls Sie in Europa sind und befürchten, die Nacht durchschauen zu müssen; jede Oper ist für 20 Stunden online. Sollten Sie als keine Nachteule sein, können Sie die Oper bequem zum Frühstück ansehen.

Das „live@home”-Angebot der Wiener Staatsoper wird nun auch täglich erneuert und kostenlos zur Verfügung gestellt. Wenn möglich versucht das Haus, das ausgefallene Programm mit Streams zu reproduzieren, freuen Sie sich also auf Sven-Eric Bechtolfs Ring-Inszenierung, Otto Schenks bezaubernde L’elisir d’amore (mit Olga Peretyatko) und Jean-Louis Martinotys Le nozze di Figaro (mit Adam Platchetka und Andrea Carroll). Meine eigene Reise nach Wien fiel leider ins Wasser, aber ich freue mich, dass ich Margarethe Wallmanns klassische Tosca-Inszenierung (1958!) gleich dreimal bis Ende März ansehen kann… jedes Mal mit einer anderen Besetzung! Wählen Sie von María José Siri, Sondra Radvanovsky oder Karine Babajanyan aus… oder aber auch alle drei!

Was Konzerte anlangt, ist die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker nun komplett gratis zugänglich. Besuchen Sie die Seite und benützen Sie den Gutscheincode BERLINPHIL bis zum 31. März, um großartige Konzerte zu genießen, die bis zur Herbert von Karajan-Ära zurückreichen. Kurz nach der Ankündigung ist der Server der DCH zusammengebrochen, aber mittlerweile hat sich die Lage stabilisiert.

The Royal Ballet in Christopher Wheeldons Alice's Adventures in Wonderland
© ROH | Johan Persson

Von den klassischen Seiten hat Medici ein hervorragendes Angebot an Opern, Ballett und Konzerten. Einige Sachen sind als „Replay” verfügbar, für die Sie sich nur registrieren müssen. Der Großteil des Archivs ist (momentan) nur als Teil eines Abos verfügbar. Wir haben einige der wunderbaren Opern- und Ballettinszenierungen hinzugefügt. Mein Favorit ist David McVicars herausragender „Britischer Raj trifft Bollywood”-Giulio Cesare von Glyndebourne, George Balanchines Jewels aus dem Mariinsky Ballet und Lauren Cuthbertson in unwiderstehlicher Form in Christopher Wheeldons Alice’s Adventures in Wonderland. Aber wie auch bei Alice, wenn Sie erst einmal in das Kaninchenloch gefallen und in die Welt des Streamings hineingezogen wurden, sind Sie gefangen. Für Tage. Wochen. Was Sie für die nächste Zeit beschäftigen sollte, den Umständen entsprechend...

Ins Deutsche übertragen von Elisabeth Schwarz.