„Ich habe sehr früh gewusst, dass ich Dirigent werden möchte“, erinnert sich Pablo Heras-Casado und führt weiter aus: „Ich war begeistert davon, gemeinsam Ideen zu verwirklichen, eine kollektive Energie zu entwickeln und kreative Erfahrungen teilen zu können!“ Im Gespräch, das wir per Zoom-Video führen, wird genau diese positive Einstellung auch durch den Bildschirm greifbar – Heras-Casado ist ein Neugieriger, der ebenso enthusiastisch wie nahbar über seine große Leidenschaft für die Musik spricht und dessen Begeisterung ansteckend wirkt.
Zur beruflichen Heimat sind für ihn längst die Konzertsäle und Opernhäuser dieser Welt geworden, seine Homebase, so erzählt er, ist aber nach wie vor Granada – die Stadt, in der er geboren und aufgewachsen ist. Dort entdeckte er als Teenager seine Leidenschaft für Kunst im Allgemeinen und Musik im Speziellen, wobei er sich nie auf nur eine Epoche oder einige wenige Komponisten beschränken wollte, sondern alles in sich aufsaugte, was die Musikgeschichte zu bieten hat, um „ein möglichst breites Wissen zu erwerben“. Diese Vielseitigkeit zeichnet Heras-Casado bis heute aus, er dirigiert Repertoire vom Barock bis zur Moderne, symphonische Werke ebenso wie Opernproduktionen und lässt sich dabei kein Label umhängen – wobei genau das nicht immer leicht gewesen sei, weil „das Musikbusiness Künstler immer gerne mit ein oder zwei Schlagworten versieht.“ Allerdings gebe es hier zunehmend einen Paradigmenwechsel und die Bereitschaft, in weniger engen Grenzen zu denken, denn „ich bin sehr glücklich, dass mir mittlerweile auch Orchester und Theater von sich aus anbieten, am gleichen Haus beispielsweise sowohl Monteverdi als auch Ligeti zu dirigieren.“
Und so ist sein Kalender auch in den nächsten Monaten prall gefüllt mit den unterschiedlichsten Projekten, wobei zunächst eine Tour mit den Wiener Symphonikern ansteht, auf die sich der Dirigent aus mehrerlei Gründen freut: „Es ist faszinierend, mit diesem Orchester in seinem Kernrepertoire zu arbeiten und die beeindruckende Klangqualität zu erleben. Die Kombination aus reichem Klang, der nie zu schwer wird, sondern immer lyrisch und sensibel bleibt, und Flexibilität sowie Neugier ist wirklich ideal. Deswegen ist es eine große Freude, mit den Symphonikern in acht Konzerten Brahms Erste und Zweite Symphonie zu spielen. Ich glaube, es gibt kein anderes Beispiel von stärker im Kontrast stehenden Stimmungen – um die Erste zu komponieren, hat er fast 20 Jahre benötigt und die Zweite entstand innerhalb eines Sommer in einer freien, glücklichen und spontanen Laune.“ Genau deswegen fasziniere ihn die Entscheidung, diese zwei Werke in einem Konzert zu spielen, führt Heras-Casado weiter aus und ist sich sicher, dass „diese Tour eine der aufregendsten Erfahrungen in meinem Leben“ werde.
Im April steht dann wiederum eine Neuproduktion an der Wiener Staatsoper am Programm, denn der von Staatsoperndirektor Bogdan Roščić 2021 initiierte Monteverdi-Zyklus wird nun mit Il ritorno d’Ulisse in Patria vollendet. Zwar würde er in diesem Zusammenhang nicht unbedingt von einem Grande finale sprechen wollen, erzählt Heras-Casado, da alle drei Opern Monteverdis auf dem gleich hohen qualitativen Level anzusiedeln seien und diese „völlig individuellen Werke an der Staatsoper auch von verschiedenen Regieteams erarbeitet wurden“, aber „auf einer persönlichen Ebene ist dieser Abschluss für mich, das gesamte Team der Staatsoper und den Concentus Musicus natürlich sehr emotional.“ Für das Projekt sei es absolut notwendig gewesen, mit einem erfahrenen Originalklangorchester zu arbeiten, denn „obwohl man keine Grenzen zwischen Musik ziehen sollte – schließlich ist alles Musik, egal ob von Monteverdi, Händel, Mozart oder Verdi – ist in diesem Fall etwas mehr archäologisches Arbeiten nötig, um die Musik und den Stil zu dechiffrieren. Man muss viel Wissen über die Aufführungspraxis haben, die Partitur alleine gibt nur etwa 30% vor, da die Komponisten sich damals darauf verlassen konnten, dass die Musiker mit dem gängigen Stil ohnehin vertraut waren. Außerdem wäre die Aufführung mit einem modernen Orchester schon deswegen nicht realistisch, weil man Spezialisten für diese alten Instrumente braucht.“ Dass das einst von Nikolaus Harnoncourt gegründete Orchester dank dieses Projekts nun auch erstmals an der Wiener Staatsoper präsent ist, sei „eine große Freude und auch deswegen bewegend, weil es Harnoncourts Traum war, dass dieses Orchester in der Staatsoper spielen würde.“