Es war die letzte Premiere von Generalmusikdirektorin Joana Mallwitz am Staatstheater Nürnberg, bevor sie zur kommenden Saison 2023/24 zum Konzerthausorchester nach Berlin wechselt. Und endlich mit Mozart, seiner großartigen Opera buffa Le nozze di Figaro, der ersten seiner drei gemeinsamen Bühnenwerke mit dem kongenialen Librettisten Lorenzo da Ponte, der dafür das Schauspiel La folle journée des französischen Schriftstellers Pierre Augustin de Beaumarchais einrichtete. Zwei Grundmotive, Liebe und Recht, bestimmen die Handlung; zwei entgegengesetzte Kräfte in einer Gesellschaft, die von der Vergangenheit zugewandten Adligen und gewitzten dienenden Angestellten wie Graf Almaviva und Figaro polarisiert wird und auch Mozarts eigene Erfahrungen thematisiert.
So kommt Wehmut auf beim Nürnberger Opernpublikum, das Meistersingerhalle und Opernhaus oft bis zum letzten Platz füllte, um die unmittelbar anrührenden Interpretationen von Mallwitz zu erleben, der zur Hochform auflaufenden Staatsphilharmonie zu lauschen ebenso wie der von jugendlichen Stimmen geprägten Sängerschar des Musiktheaters. Prokofjews Krieg und Frieden, Verdis Don Carlos, Monteverdis Orfeo oder Strauss’ Frau ohne Schatten seien hier genannt; und allen ist gemein, dass Jens-Daniel Herzog, Staatsintendant der Nürnberger Bühnen, für die Inszenierungen verantwortlich war. Pandemie-Gründe haben verhindert, dass in Nürnberg der Figaro bereits früher herausbracht werden konnte; nach den zwischenzeitlichen Erfolgen ihrer Mozart-Dirigate bei den Salzburger Festspielen wurde der neue Figaro in Nürnberg begeistert akklamiert, und wiederum führte Herzog die Regie.
Herzog siedelt das Geschehen in einer unbestimmten Gegenwart an, Graf Almaviva ist zu Reichtum gekommen. Gewohnt Anweisungen zu erteilen, kümmern ihn die Schäden seiner Dominanz wenig, die so einspurig wirkt wie sein blauer Anzug. Er lebt in einer weiträumigen Villa, deren Räume durch schwenkbare Wände dem Spiel angepasst werden können und herrliche Paralleleinblicke ermöglichen (imponierendes Bühnenbild von Mathis Neidhardt). Figaro ist einer seiner engagierten Mitarbeiter, hat viele praktische Talente. Für ihn und Susanna, seine Verlobte, wird es zwischen den gräflichen Wänden oft eng; so muss er anfangs ausmessen, ob die spartanische Matratze, unter der später noch Versteck gesucht wird, überhaupt Platz findet. Susanna geht Rosina, der Gräfin, zur Hand; diese wirkt empathisch, hilfsbereit; und schwankt in ihren Stimmungen wie in ihrer Garderobe, die modern im leuchtend grünen Hosenanzug mit Lederjacket ausfallen kann oder rückwärts gewandt im wehenden Brokatmantel. Passend dazu ein vergoldeter Barocksessel im Gemach der Gräfin, dagegen ein moderner schwarzer Würfelsessel in strengem Metallgestänge auf Almavivas Seite. Als dieser sich in Susanna verliebt, legt er sich mächtig ins Zeug. Doch auch die Frauen können Ränke schmieden, und erst kurz vor dem Abgrund kommt Almaviva zur Besinnung.
Mit einem Kunstgriff gelingt es Herzog, das Spannungsfeld zwischen Graf und Gesinde zu erweitern: in der stummen, aber sehr agilen Rolle der gräflichen Tochter, die genau beobachtet und in ihren kindlichen Reaktionen geradezu seismografisch die Eheprobleme abbildet, wird das ohnehin turbulente Geschehen mit einer amüsanten wie hintersinnigen Facette erweitert. Dass Herzog bei der Zeichnung der Figuren auf grelle Verzerrungen verzichtet, gibt dem Spiel die Ausstrahlung, die alltäglich wirkenden Charaktere an sich herankommen und wirken zu lassen. Liebe ist dabei kein Besitz, das Gegenteil von Sicherheit. Sie bedeutet Bewegung in alle Richtungen, ist nie festzuhalten; ein immer heftiger drehendes Karussell, wie die Wanduhr in Figaros Kammer, die sich schneller dreht als die Zeit. Herzog verliert dabei nicht aus den Augen, neben dem mahnenden Zeigefinger die Opera buffa ebenso als Reiz des Lachmuskels aufzuschließen; gerade die „räumliche Doppelbödigkeit“ macht für den Zuschauer das Spiel von Irrungen und Wirrungen aufwühlend erlebbar.